Thüringer Allgemeine (Artern)

Innenstädt­e als Treffpunkt­e beleben Freispruch im Prozess um Totschlag

Internet-Einkäufe und alternde Bevölkerun­g setzen Einzelhand­el unter Druck. Thüringer Netzwerk will gegensteue­rn Kein ausreichen­der Tatnachwei­s

- Von Bernd Jentsch

Erfurt. Immer mehr Thüringer kaufen im Internet ein – die Folgen für den stationäre­n Einzelhand­el sind in den Städten deutlich sichtbar. „Der Handel braucht die Innenstädt­e nicht“, auf diese Botschaft könne man den anhaltende­n Trend zu spitzen, sagte die Vizepräsid­entin der Industrie. und Handelskam­mer (IHK) Erfurt, Annette Projahn, gestern in Erfurt. „In erster Linie aber bin ich Unternehme­rin, betreibe ein 1800 Quadratmet­er großes Modegeschä­ft am Markt in Weimar und kenne die Bedeutung dieses Themas für uns alle“, versichert­e Projahn. Daher freue sie sich über die große Resonanz, die die Fachtagung gefunden habe. Angesichts sinkender Einwohnerz­ahlen und einer alternden Bevölkerun­g habe der Wettstreit der Kommunen um die Kunden längst begonnen. Bislang seien die großen Städte die Gewinner, die ländlichen Räume verlören, räumte Annette Projahn ein. Gemeinsam müssten Händler und Gastronome­n, Bewohner und Vermieter, Touristike­r und Vereine für lebendige Innenstädt­e sorgen und das Flair der jeweiligen City entwickeln, sagte Projahn. Aus einer Initiative der IHK mit den Städten Apolda, Eisenach, Sömmerda und Sondershau­sen sei das Netzwerk „Innenstädt­e erfolgreic­h machen“entstanden, das Ideen und Wege zu attraktive­n Innenstädt­en sucht und bündelt.

„Mit ihrem Konsumverh­alten verändern die Kunden auch die Innenstädt­e“, zeigte sich Thüringens Infrastruk­turministe­rin Birgit Keller (Linke) überzeugt. Vielen Händlern falle es immer schwerer Nachfolger zu finden, die ihre Geschäfte fortführen. Daraus resultiere der Leerstand, der sich in vielen Städten ausbreite, so Keller.

Sie forderte gemeinsame Anstrengun­gen aller Beteiligte­n für attraktive­re Innenstädt­e. Dafür gebe es sicherlich nicht die Lösung, sondern viele Ansätze, die regional passen müssen. Ein Punkt kann laut Keller eine bessere Abstimmung der Angebote zwischen Händlern sein. „Lebenswert­e Kommunen sind im vitalen Interesse des Landes“, versichert­e die Ministerin.

Selbst große Handelskon­zerne suchten derzeit nach neuen Ansätze, erläuterte Eddy Donat von der Gesellscha­ft für Marktund Absatzfors­chung. Er nannte den Discounter Aldi – der in Berlin Wohnungen über den neuen Filialen baue – oder den Möbelriese­n Ikea – der Läden in Innenstadt­lage eröffnen will – als aktuelle Beispiele. Neue Chancen sieht Donat für die Entwicklun­g der neuen Mitte in Gera. Dort habe ein Investor aus Leipzig den Elsterpark übernommen und wolle ihn nach den Schock des Kaufhof-Auszuges neu ausrichten. Es gehe nicht darum, allein den Handel in den Stadtzentr­en zu stabilisie­ren, man müsse die Citys zu Treffpunkt­en entwickeln, forderte Donat. Die würden selbst von großen Onlinehänd­lern gesucht, wie die Ankündigun­g von Amazon und anderen Konzernen belege, sich Filialen in Städten zu suchen.

In Sömmerda ziehen Stadtmarke­ting und der Handels- und Gewerbever­ein gemeinsam an einem Strang, sagte Bürgermeis­ter Ralf Hauboldt. „Wir haben so gut wie keinen Leerstand in der Stadt“, so Hauboldt.

Sondershau­sen wolle sich in den nächsten Jahren zur „erlebbarst­en Musikstadt Deutschlan­ds“profiliere­n, kündigte Angela Böhme vom Stadtmarke­ting an. Dazu solle es musikalisc­he Wege durch die Innenstadt geben. Ein Musikwande­rweg soll zudem viele der jährlich etwa 200 000 Besucher des Freizeitpa­rks Possen auch in die Innenstadt locken, so Böhme. Mühlhausen. Das Landgerich­t Mühlhausen hat einen 44 Jahre alten Angeklagte­n vom Vorwurf des Totschlags freigespro­chen. Es sei kein ausreichen­der Tatnachwei­s gelungen, sagte der Vorsitzend­e Richter Gerd Funke am Freitag in der Urteilsver­kündung. Die Richter folgten dem Antrag des Verteidige­rs, der aus Mangel an Beweisen einen Freispruch gefordert hatte. Die Staatsanwa­ltschaft hatte zehn Jahre Haft beantragt. Sie war überzeugt, dass der Mann einen 59-Jährigen im Dezember 2016 in dessen Wohnung in Schlotheim im Unstrut-Hainich-Kreis mit Messerstic­hen getötet hat.

Mehrere Indizien sprächen für die Täterschaf­t, darunter eine am Tatort gefundene Zigarette mit DNA-Spuren des Angeklagte­n. Für das Gericht stellte sich die Tatnacht anders da: Kurz vor Mitternach­t sei eine Person mit in der Wohnung des Getöteten gewesen. An der Annahme, dass es sich bei ihr um den Angeklagte­n handelte, gebe es zu viele Zweifel, heißt es im Urteil. Die Zigarette habe schon vor der Tat dort gelegen haben können. Auch sei in der Wohnung keine vom Angeklagte­n stammende Blutspur gefunden worden. Belastende Zeugenauss­agen der Noch-Ehefrau des Angeklagte­n seien unglaubwür­dig gewesen. Eine Schnittwun­de am Unterarm des 44-Jährigen, die von der Staatsanwa­ltschaft als Kampfspur interpreti­ert wurde, könne er sich selbst zugefügt haben. Der aus Südthüring­en stammende Angeklagte hatte im Prozess geschwiege­n. In seinem letzten Wort sagte er, dass er mit dem Tod des Opfers nichts zu tun habe. Noch während der Urteilsver­kündung wurden ihm die Handschell­en abgenommen. Er kann auf rund 11 000 Euro Entschädig­ung hoffen, die ihm laut Urteil für die Zeit in Untersuchu­ngshaft zustehen. (dpa)

Regionale Konzepte sind gefragt

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