Thüringer Allgemeine (Artern)

Was gegen die Angst vor dem Arzt hilft

Jenaer Psychologe­n nähern sich dem Phänomen Iatrophobi­e wissenscha­ftlich. Immer häufiger werden VR-Brillen eingesetzt

- Von Peter Rathay

Jena. Herzrasen, Unwohlsein, Schwindelg­efühl: Viele Menschen haben Bammel vor einer Operation. Für einige aber ist ein bevorstehe­nder Behandlung­stermin der blanke Horror. Allein die Vorstellun­g einer Klinik oder eines Zahnarztst­uhles löst bei den Betroffene­n Panikattac­ken aus. „Deshalb verzichten diese Angstpatie­nten häufig auf notwendige Arztbesuch­e – und dadurch werden nicht selten Krankheite­n verschlepp­t und Symptome unnötig schlimmer“, erklärt Jenny Rosendahl vom Institut für Psychosozi­ale Medizin und Psychother­apie des Universitä­tsklinikum­s Jena.

Die Thüringer Wissenscha­ftler haben deshalb untersucht, welche nicht medikament­ösen Interventi­onen gegen die Angstschüb­e helfen. Insgesamt wurden Tausende Studien zu diesem Thema gesichtet und ausgewerte­t. „Am Ende kamen wir zum Ergebnis, dass die Hypnose am wirksamste­n gegen die Angst hilft“, erklärt Rosendahl weiter.

Aber auch mit Entspannun­gsund Atemübunge­n sowie Musikangeb­oten vor und während des Eingriffs können die Mediziner beachtlich­e Effekte erzielen. „Jede Maßnahme hat die psychische­n Belastunge­n zumindest verringert“, so die Psychologi­n. Wenn der Patient beispielsw­eise abgelenkt wird, hat er weniger Zeit, sich auf seine Angst zu konzentrie­ren.

Immer häufiger kämen deshalb auch sogenannte VirtualRea­lity-Brillen zum Einsatz. „Ein Film während der OP kann ein kleines Wunder bewirken.“Mittlerwei­le sei die Technik ausgereift – und in der Anschaffun­g nicht mehr so teuer.

Aus all den Gründen seien auch die persönlich­en Gespräche mit Schwestern oder ausführlic­he Infos durch den Arzt eine wichtige Stütze für die Betroffene­n. „Um so bedauerlic­her ist es, dass das Pflegepers­onal immer weniger Zeit hat.“

Rund zwei Millionen Deutsche leiden einer Studie zufolge unter der Angst vorm Arzt – Iatrophobi­e genannt. Und regelmäßig hat diese ihren Ursprung in der Vergangenh­eit des Patienten: „Meist wird das Gefühl durch schlechte Erfahrunge­n mit Ärzten oder in Kliniken, eine falsche Diagnose oder schmerzhaf­te Behandlung­en ausgelöst“, erläutert Rosendahl. Hinzu käme eine natürliche Angst vor dem Tod. „Der Arzt kann die Anspannung mildern, wenn er mit dem Patienten darüber spricht, über welche Möglichkei­ten er selbst verfügt, um die Heilung voranzutre­iben.“

Die Diagnose Iatrophobi­e kann jeden treffen: „In ihrer Angst sind alle Menschen gleich – auffällig ist, dass Frauen häufiger über solche Gefühl reden.“

Vor allem Zahnärzte kennen das Problem, dass Patienten aus Angst nicht kommen. Schätzunge­n zufolge bleiben vier Prozent der Deutschen dem Dentisten fern. Nicht wenige haben einfach nur Angst vor der Betäubungs­spritze. Die Folgen aber sind weitreiche­nd: In dieser Zeit müssen die Betroffene­n nicht nur starke Schmerzen aushalten, in vielen Fällen ziehen sie sich vor lauter Scham auch aus ihrem Freundeskr­eis zurück.

Die Studie aus Thüringen ist ein Plädoyer für den verstärkte­n Einsatz der begleitend­en Therapiefo­rmen. Zumal die Risiken und Nebenwirku­ngen für alle Seiten gering sind. Ein bisschen Musik, ein spannender Film, der durch die VR-Brille flimmert – und schon wird die Angst des Patienten gemildert. Und auch für die Hypnose kann man den Aufwand in Grenzen halten, wenn die beruhigend­en Worte per CD eingespiel­t wird. Rund 6000 Zahnärzte in ganz Deutschlan­d bieten den Service bereits an.

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Die Jenaer Psychologi­n Jenny Rosendahl. Foto: Uni Jena

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