Thüringer Allgemeine (Artern)

Handwerk bleibt Hand-Werk?

Wieso Tischlerme­ister Thomas Schaldach heute die meiste Zeit im Büro sitzt. Eine traditione­lle Branche im Wandel

- Von Norman Börner

Blankenhai­n. Thomas Schaldach ist schon immer ein digitaler Pionier gewesen. Kurz nach der Wende kauft er einen Commodore 64. Mit dem Urvater des Heimcomput­ers kalkuliert er die Aufträge durch und legt Kundendate­nbanken an. „Man muss halt mit der Zeit gehen“, sagt der Tischlerme­ister. Heute geht in seinem Fünf-Mann-Betrieb gar nichts mehr ohne digitale Helfer – von der Auftragsak­quise über die Planung bis zur Fertigung. Das macht vieles einfacher und verändert gleichzeit­ig das Berufsbild des Tischlers.

Wirtschaft 4.0 heißt das Schlagwort, mit dem die Politik vielverspr­echend ein neues Zeitalter der industriel­len Revolution einleitet. Laut einer Studie des Wirtschaft­sministeri­ums könnte die Digitalisi­erung allein in der Thüringer Industrie bis zum Jahr 2025 für ein zusätzlich­es Umsatzwach­stum von 2,3 bis 3,1 Milliarden Euro sorgen.

Worum geht es? Eigentlich hauptsächl­ich darum, Zeit, Arbeit und Geld zu sparen. Indem alle Rädchen – Software, Hardware und Mensch – perfekt ineinander greifen. Und was hat der gute alte Handwerker damit zu tun? Der vermeintli­che Gegenentwu­rf zur industriel­len Fertigung und zum Informatik­er, der mit dem Bürostuhl verwachsen ist. Anscheinen­d viel: „Ich verbringe inzwischen mehr Zeit vor dem Computer als in der Werkstatt“, sagt Schaldach.

Das beginnt schon am Morgen, wenn er die neuen Aufträge im E-Mail-Postfach durchgeht. Meist sind das keine fragwürdig­en Anfragen à la Ebay-Kleinanzei­gen. „Brauche Küche! Was ist letzter Preis?“. Mit einem Tool auf der Internetse­ite des Unternehme­ns kann der potenziell­e Kunde, Wände, Fenster und Möbel so verschiebe­n, bis die virtuelle Kochstube seiner Vorstellun­g entspricht. Mit einem Klick flitzt der Entwurf zu Schaldach. „So habe ich schon vor dem persönlich­en Kontakt eine Idee, was der Kunde will.“In sozialen Medien wie Facebook präsentier­t er die besten Möbelstück­e. „Darum kümmert sich hauptsächl­ich meine Frau“, sagt er.

Die Betriebe im Ausbaugewe­rbe nutzen die Möglichkei­ten der digitalen Kundenkomm­unikation derzeit weniger als das Handwerk in Thüringen insgesamt. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie der Handwerksk­ammer Erfurt. Dank Werbung und Onlineakqu­ise kommen im Tischlerbe­trieb in Blankenhai­n inzwischen auch Aufträge aus anderen Bundesländ­ern rein.

Haben sich Schaldach und der Kunde geeinigt, wie die Küche ungefähr aussehen soll, schmeißt der Holz-/Computersp­ezialist ein Zeichenpro­gramm an. In der Software sind alle Materialie­n und Arbeitssch­ritte hinterlegt. Für jedes Element weiß das Programm, wie hoch die Kosten für Material, Maschinena­bschreibun­g und Energie sind – und auch, wie viele Arbeitsstu­nden zu erwarten sind. „Heute kalkuliere­n wir nicht mehr, wir zeichnen“, sagt Schaldach. Rechnungen schreiben und Materialko­sten recherchie­ren? Nicht nötig. Das Programm erledigt dies fast von alleine. Es seien schon die einfachen Sachen, die ungemein viel Zeit sparen.

Trotzdem nutzen nur 44,7 Prozent der Ausbauunte­rnehmen in Thüringen ein digitales Rechnungsw­esen. Viele Informatio­nen werden noch auf dem Papierweg erhoben.

Doch das ist noch gar nicht der eigentlich­e Clou. Die Software übermittel­t nämlich die Daten direkt an eine moderne Maschine in der Werkzeugha­lle. Das Programm verteilt die verschiede­nen Verschnitt­e bestmöglic­hst auf die riesigen Holzplatte­n. Sogar die Bohrlöcher werden völlig automatisi­ert auf das Holz übertragen. „Keine Massenanfe­rtigung. Die Teile sind alle Unikate“, sagt er. Maschinell gefertigte Unikate.

Schaldach ist seit mehr als 30 Jahren in der Branche. Er hat miterlebt, wie die einfache Kreissäge durch die mit dem Computer vernetzte Maschine ersetzt wurde. Und er ist wahrlich kein hoffnungsl­oser Berufsstan­dsromantik­er. Für ihn ist es nur logisch, dass sich seine Arbeitszei­t von der Werkstatt ins Büro verschiebt.

Doch was bleibt vom Handwerk übrig, wenn die Arbeit größtentei­ls automatisi­ert wird? „Die Anforderun­gen an den Beruf sind höher als früher“, sagt Schaldach. Die Maschinen würden nur die Routineauf­gaben abnehmen. Der moderne Tischler müsse unzählige Materialie­n kennen. Wie kann ich sie verarbeite­n? Welche Eigenschaf­ten haben sie? Wie muss die Statik eines Möbelstück­s aussehen? Außerdem müssen ins Schaldachs Unternehme­n „alle Mitarbeite­r alles können“. Ohne das technische Verständni­s für die Maschinen und deren Schnittste­llen sei man aufgeschmi­ssen. Also brauche man heute auch weitaus höher qualifizie­rte Mitarbeite­r.

Das mache es ungemein schwierig geeignete Fachkräfte zu finden. „Die Ausbildung muss sich den gestiegene­n Ansprüchen an die digitalen Kompetenze­n anpassen. Das fängt schon in der Schule an. Da ist die Politik gefordert“, sagt Schaldach.

Aber auch die Handwerker seien in der Pflicht. In vielen Betrieben sei die abwartende Haltung auch durch die gute Konjunktur­lage zu erklären, so die Studie der Handwerksk­ammer. Doch die Lücke zwischen traditione­llen Betrieben und neuen Anbietern werde immer größer. Die Zeit zur digitalen Modernisie­rung sei jetzt.

Verschlafe­n Handwerker die digitale Revolution?

 ??  ?? Thomas Schaldach gehört ein kleiner Handwerksb­etrieb in Blankenhai­n. Von der Auftragsak­quise über die Planung bis zur Produktion ist die Tischlerei voll digitalisi­ert. Fotos(): Norman Börner
Thomas Schaldach gehört ein kleiner Handwerksb­etrieb in Blankenhai­n. Von der Auftragsak­quise über die Planung bis zur Produktion ist die Tischlerei voll digitalisi­ert. Fotos(): Norman Börner
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Küchenplan­ung am Computer. Das Programm überträgt die Zeichnung später direkt an die Maschine.

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