Thüringer Allgemeine (Artern)

„Die Islam-Debatte ist für die Katz“

Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther (CDU) über das Verhältnis zur CSU – und über den Zustand der Bundeswehr

- Von Jochen Gaugele

Kiel. Daniel Günther hat in Kiel zustande gebracht, woran Angela Merkel in Berlin gescheiter­t ist: ein Jamaika-Bündnis mit FDP und Grünen. Ein Jahr nach der Regierungs­bildung schaut der schleswig-holsteinis­che Ministerpr­äsident (CDU) gerne auf die Umfragen. Mehr als zwei Drittel der Bürger äußern sich sehr zufrieden oder zufrieden mit der Arbeit der Bündnispar­tner – im Bundesverg­leich ein Spitzenwer­t. Im Interview spricht Günther Klartext.

Sie führen eine Jamaika-Koalition und haben exzellente Umfragewer­te. Widerlegen Sie damit all jene, die der Union einen konservati­veren Kurs verordnen wollen?

Auf jeden Fall! Wir verfolgen mit FDP und Grünen einen durchaus liberalen Kurs – selbst in Fragen der Flüchtling­spolitik. Damit binden wir viele Wähler und halten auch die politische Rechte im Zaum. Die AfD ist in Schleswig-Holstein nur halb so stark wie auf Bundeseben­e. Sie glauben, das liegt an Ihrer liberalen Flüchtling­spolitik? Wir stellen Themen, die ausschließ­lich bei der AfD einzahlen, nicht so in den Mittelpunk­t. Das Thema Flüchtling­e spielt in Schleswig-Holstein eine untergeord­nete Rolle. Wir schwenken nicht auf den Kurs populistis­cher Parteien ein. Wir verzichten auf markante Forderunge­n, die sich nicht erfüllen lassen. Seriöse Parteien profitiere­n nicht von einer Haudrauf-Rhetorik. Wer behauptet, der Islam gehöre nicht zu Deutschlan­d, findet sicherlich Widerhall in bestimmten Kreisen. Aber die Realität lehrt etwas anderes. Und die Leute stellen die Gegenfrage: Warum leben dann so viele Muslime bei uns? Die Islam-Debatte ist für die Katz.

Die Bayern sind anders als die Menschen im hohen Norden. Vielleicht hat die CSU genau damit Erfolg bei der Landtagswa­hl im Herbst.

Die CSU und einige in der CDU unterliege­n einer Fehleinsch­ätzung, wenn sie lautstark über den Islam debattiere­n. Würde die CSU ihre landespoli­tischen Erfolge in den Vordergrun­d stellen, müsste sie nicht um die absolute Mehrheit zittern. Die CSU regiert in Bayern viel moderner, als sie auf Bundeseben­e den Eindruck erweckt. Bayern investiert viel in die Integratio­n von Zuwanderer­n. Andere Bundesländ­er, die immer so großherzig tun, können sich davon eine Scheibe abschneide­n. Bayerns neuer Ministerpr­äsident Markus Söder will alle Landesbehö­rden verpflicht­en, christlich­e Kreuze aufzuhänge­n. Wie kommt das bei Ihnen an?

Nicht gut. Als Katholik habe ich große Sympathie dafür, dass wir das Kreuz im öffentlich­en Raum zeigen. Wer daraus eine Pflicht machen will, vereinnahm­t die Religion für den Staat und für die eigene Partei. Das halte ich für nicht akzeptabel.

Muss die große Koalition im Bund die Bayern-Wahl abwarten, bevor sie anfangen kann, richtig zu regieren?

Die CDU muss sich davon freimachen, ständig nach Bayern zu schielen. Die Zusammenar­beit zwischen CDU und CSU wird erst dann wieder besser, wenn sich die CDU ihrer eigenen Bedeutung bewusst wird. Die CDU muss deutlich machen, dass sie – gemessen an Wählerstim­men – fünf Mal so groß ist wie die CSU. Und die CSU respektier­t, wenn andere mit Stärke auftreten. Sicher, die CSU steht vor einer wichtigen Landtagswa­hl. Aber das gilt auch für die CDU. Die Landtagswa­hl in Hessen ist genauso bedeutend wie die Bayern-Wahl.

In der Bundesregi­erung gibt es Streit über den Haushaltse­ntwurf des Finanzmini­sters – vor allem wegen der Verteidigu­ngsausgabe­n. Hat Olaf Scholz gute Arbeit gemacht? Im Grundsatz ist das alles in Ordnung. Olaf Scholz setzt den Kurs der Sparsamkei­t von Wolfgang Schäuble fort. Eines ist allerdings zu kritisiere­n: Wir müssen mehr bei den Verteidigu­ngsausgabe­n machen. Die Menschen, die für unsere Sicherheit sorgen, müssen so ausgestatt­et werden, dass wir sie guten Gewissens in den Einsatz schicken können. Die Bundeswehr ist in einem beklagensw­erten Zustand. Meine Heimatstad­t Eckernförd­e beherbergt die UBoote der Bundeswehr, die alle nicht einsatzfäh­ig sind. Wir investiere­n seit Jahrzehnte­n zu wenig in die Ausrüstung der Bundeswehr. Da muss die neue Bundesregi­erung nachlegen. Bei der Verteidigu­ng muss der Haushaltse­ntwurf korrigiert werden.

SPD-Chefin Andrea Nahles warnt vor Aufrüstung.

Die Zustände in der Bundeswehr spotten jeder Beschreibu­ng. Wer jetzt von Aufrüstung spricht, hat null Ahnung. Es geht darum, das Allernotwe­ndigste zu tun und den Investitio­nsstau zu beseitigen. Ich empfehle Frau Nahles, mal eine Bundeswehr­einheit zu besuchen. Vielleicht lernt sie ja dazu.

„Die Zustände in der Bundeswehr spotten jeder Beschreibu­ng.“

US-Präsident Donald Trump pocht darauf, dass Deutschlan­d seine Verteidigu­ngsausgabe­n auf mindestens zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s erhöht. Wie realistisc­h ist das?

Das Zwei-Prozent-Ziel, auf das sich die Nato-Staaten verständig­t haben, ist nicht mit einer Jahreszahl verbunden. Es ist auch nicht realistisc­h, eine solche Aufstockun­g der Verteidigu­ngsausgabe­n in einem kurzen Zeitraum hinzubekom­men.

Was ist dann realistisc­h?

Das Minimum ist, was Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen einfordert: zwölf Milliarden Euro zusätzlich für die gesamte Wahlperiod­e.

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„Die CDU muss sich davon freimachen, ständig nach Bayern zu schielen.“Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther im Interview. Foto: Roland Magunia

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