Segeln ohne festen Plan
Einmal im Jahr vertraut sich die Luxusyacht „Sea Cloud“ganz dem Wind an. Die Route ist jedes Mal eine Überraschung. M an Bord
Stellen Sie sich vor, Sie buchen auf Ihrem Schiff eine teure Luxuskabine, Sie betreten die, und sehen: sie hat keinen Balkon, keine gläserne Tür nach außen, nicht einmal Fenster. sondern lediglich zwei kleine Bullaugen, nicht größer als eine Langspielplatte.
Doch eine Reise auf dem Windjammer „Sea Cloud“hat mit einer Kreuzfahrt in der heute üblichen Form nichts gemein. Vielmehr ist es ein Trip zurück in die gute alte Zeit – in der es freilich längst nicht alles gab, was uns heute selbstverständlich erscheint: Es gibt kein Work-Out, kein Spa, kein Jacuzzi, keinen Friseursalon, kein 3D-Kino, nicht einmal TV-Geräte. Stattdessen besitzt das Schiff vier imponierende Masten, etwa 30 Segel an den Rahen, wunderschöne Teakholzdecks, ein tolles Restaurant, eine Bar sowie Kabinen für 64 Passagiere, davon zehn in der erwähnten Luxusklasse. Die Geschichte der „Sea Cloud“gehört zu den berühmtesten Schiffsbiografien auf den sieben Meeren. Sie startete als glamouröse Milliardärsyacht, gebaut 1931 in Kiel aus bestem Kruppstahl. Sie wurde zur Diplomatenyacht, diente im Krieg, der Masten beraubt, als Wetterschiff für die US-Marine, ging über in den Besitz des berüchtigten dominikanischen Diktators Rafael Trujillo, dessen Lieblingssohn es vor Hollywood als Partyschiff nutzte. Nach der Trujillo-Ära lag es jahrelang an der Pier, sollte dann als schwimmende Universität starten, scheiterte damit und rostete dann acht Jahre in Panama vor sich hin.
1978 entdeckten Hamburger Segel-Fans den Oldtimer, erwarben ihn und brachten ihn über den Atlantik. Sie modernisierten für sieben Millionen Euro die Tech- l
Am nächsten Tag, bei zeitlupenhafter Bewegung von kaum 1,5 Knoten, wird zusätzlich das große Besansegel am Heck gehisst: „Das hab ich auf meinen acht Törns noch nie gesehen“, staunt einer unserer Segel-Profis, „aber bei dieser Stellung des Besanbaums kann das nur Dekoration sein.“ Er behält Recht: Als vor Teneriffa der Wind bis Stärke 5 bis 6 auffrischt, das Tauwerk stöhnt, die Rahen quietschen, da handeln die Gespräche von Kawenzmännern, Tsunamis und prominenten Schiffskatastrophen. An der LidoBar geht es hoch her, und als die Glocke läutet und Hotelmanager Simon das Büfett eröffnet, da ist die Stimmung so lebendig und ausgelassen wie noch nie.
An einem der Tage liegen wir für eine Weile direkt neben einer Aida – ein schwimmendes Neubauviertel neben unserer Blockhütte. Der ältere Unternehmensberater aus Münster, zum ersten Mal an Bord, blickt sich um: „Ich hätte nicht gedacht, dass es so etwas noch gibt“, schnieft er gerührt in sein Whiskyglas. „Ich glaube nicht, dass ich jemals wieder auf so ein Kreuzfahrtschiff mit seinen vier Swimmingpools, zwei Discos und Spielcasino gehen werde.“