Ultimatum für die Kanzlerin
Streit mit CSU um eine Zurückweisung von Flüchtlingen bringt Merkel in Gefahr. CSU setzt Sieben-Tage-Frist
Berlin. Für die Kanzlerin beginnt der Tag nach der für sie niederschmetternden Sitzung der Bundestagsfraktion zum Asylstreit mit der CSU auf einem Bolzplatz. Bevor im Kanzleramt der Integrationsgipfel beginnt, schaut Angela Merkel beim SV Rot-Weiß Viktoria Mitte 08 vorbei. Der Club im Berliner Problemstadtteil Wedding hat 3200 Mitglieder aus 85 Nationen, hier klappt Integration vor allem mit dem Ball am Fuß.
Gemeinsam mit Ex-Nationalspieler Cacau plaudert Merkel mit Berliner Mädchen, schreibt fleißig Autogramme auf die roten Fußballtrikots, die ihr hingehalten werden. Wer weiß, wie lange diese Unterschrift noch das Nonplusultra in der deutschen Politik ist?
Die Luft für Merkel, deren Ruf als mächtigste Frau der Welt nicht erst seit dem Scheitern der Jamaika-Regierungsbildung und dem Aufstieg Donald Trumps bröckelt, wird dünner. Sie weiß das selbst. Am Dienstagabend war „Mutti“, wie Merkel gerne auch von den eigenen Leuten genannt wird, in der Fraktionssitzung nahezu mutterseelenallein. Altgediente Abgeordnete, die schon bei Helmut Kohl dabei waren, erzählen, sie könnten sich nicht erinnern, dass ein Kanzler oder eben die Kanzlerin so auf verlorenem Posten gestanden habe. „Das ging unter die Haut. Es war brutal“, sagt ein Unionsmann. Merkel stützt, hält den ganzen Ansatz für wenig überzeugend. Dann würden sich die Menschen in anderen Ländern eben gar nicht mehr registrieren lassen. „Dann wäre das alles für die Katz’, was Herr Seehofer dort vorschlägt.“Auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet mahnte: „Es darf keine Schnellschüsse ohne Blick für die Konsequenzen geben“, sagte er dieser Zeitung. Eine Schein-Lösung allein an der deutschen Grenze würde falsche Anreize für Griechenland oder Italien setzen, die konsequente Registrierung der ankommenden Flüchtlinge zu unterlassen.
Die CSU treibt die Angst vor der bayerischen Landtagswahl im Herbst an. So bleibt Horst Seehofer brachial auf Kurs. So fährt Merkel vom Fußballplatz zurück ins Kanzleramt, um den Integrationsgipfel zu eröffnen – ohne Seehofer. Der trifft sich in seinem Ministerium mit Österreichs Kanzler Sebastian Kurz. Aber was bringt so ein Gipfel mit vielen muslimischen Verbänden und Flüchtlingsorganisationen, wenn der zuständige Integrationsminister die Veranstaltung boykottiert? Seehofer sagt, er habe Merkel schon vor dem Streit um den Masterplan informiert, dass er zum Gipfel nicht erscheinen werde. Er wolle nicht mit der Journalistin Ferda Ataman an einem Tisch sitzen, die ihn wegen des um Heimatpflege erweiterten Bundesministeriums in die Nähe des Heimatbegriffes der Nationalsozialisten gerückt habe. Merkel wird nach dem Gipfel natürlich gefragt, was sie von Seehofers Abwesenheit hält. „Es ist jetzt so, wie es ist“, sagt Merkel.
Kurz und Seehofer jedenfalls wollen weniger über Integration reden, sondern darüber, wie Europas Grenzen abgeriegelt werden können. Der smarte Hardliner aus Wien und der CSU-Chef liegen zwar fast 40 Jahre auseinander – inhaltlich passt zwischen die beiden aber kein Blatt. Kurz war am Vorabend in Berlin beim Kongress des CDU-Wirtschaftsrates von den Unternehmern wie ein Popstar gefeiert worden, während Merkel spärlicheren Applaus erntete. Der 31 Jahre alte Kurz, der zum 1. Juli die österreichische EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, kündigte dort an, am 20. September zu einem EUGipfel einzuladen, auf dem die EU-Grenzschutzbehörde Frontex „personell, finanziell und vom Mandat“gestärkt werden solle.
Am Mittwoch führt Kurz aus, er wolle eine „Achse der Willigen“ in Europa schmieden. Eine Alternativroute für Flüchtlinge über Albanien müsse rasch geschlossen werden. „Es ist wichtig, nicht wie im Jahr 2015 zu warten, bis die Katastrophe vorhanden ist, sondern rechtzeitig gegenzusteuern“, sagt der Kanzler. Seehofer zeigt sich an einer anderen Stelle überraschend nachgiebig. Bei seinen umstrittenen Ankerzentren, in denen künftig Asylbewerber bis zum Entscheid ihrer Verfahren bleiben sollen, pocht er nicht mehr auf eine bundesweit einheitliche Regelung. Die Ankerzentren würden je nach Bundesland unterschiedlich gestaltet, darüber habe er bereits mit Merkel und SPD-Vizekanzler Olaf Scholz gesprochen.
Am Abend empfängt der Innenminister Hunderte Gäste zum Sommerfest seines Hauses. Viel Zeit zum Plaudern bleibt ihm nicht. Er muss ins Kanzleramt zum Krisengipfel mit Merkel. Auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Hessens Regierungschef Volker Bouffier (CDU) sind dabei. Sie müssen eine Lösung mittragen, die ihnen in den Wahlkämpfen im Herbst nicht in die Quere kommt. Die Lage der Kanzlerin sei „sehr, sehr ernst“, sagen selbst MerkelFreunde.
Im 13. Jahr der Kanzlerschaft