Flüchtlingsstreit in Union eskaliert: Zerbricht die Koalition in Berlin?
CDU-Abgeordneter Hauptmann spricht von „kritischer Situation“. SPD-Landeschef Tiefensee stellt Bündnis infrage
Erfurt/Berlin. Die Frage, ob abgelehnte und nicht registrierte Flüchtlinge bereits an der Grenze abgewiesen werden sollen, spaltet die Union. Nachdem die CSU der CDU gestern ein Ultimatum stellte, wird ein Bruch der Koalition nicht mehr ausgeschlossen.
„Die Situation ist kritisch“, sagte der Thüringer Bundestagsabgeordnete Mark Hauptmann, der die Gruppe der Jungen Abgeordneten in der Unionsfraktion leitet. Er forderte beide Seiten auf, aufeinander zuzugehen.
Gleichzeitig stellte er sich aber deutlich auf die Seite der CSU. Die Strategie der bayerischen Schwesterpartei, die anderen EU-Staaten wie Italien und Österreich stärker unter Druck zu setzen, sei richtig. „Wir müssen schon jetzt ganz klar sagen: Kommt es nicht bis zum EU-Gipfel in zwei Wochen zu bilateralen Rückführungsabkommen mit anderen Ländern, müssen wir offensichtlich illegale Flüchtlinge an der Grenze abweisen“, sagte er der Thüringer Allgemeinen.
Merkel will aber keine nationale Vorfestlegung, um unbelastet auf EU-Ebene verhandeln zu können. Dies wird auch vom Thüringer CDU-Abgeordneten Tankred Schipanski unterstützt. „Ich halte es nicht für sinnvoll, der Kanzlerin Konditionen aufzuzwingen, welche die Verhandlungsposition Deutschlands schwächen.“Die Flüchtlingsfrage könne nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnern gefunden werden.
Der gestrige Tag verlief im politischen Berlin dramatisch. Die Sitzung des Bundestages musste wegen getrennter Sondersitzungen der Fraktionsgruppen von CDU und CSU für vier Stunden unterbrochen werden.
In der CDU schaffte es Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Mehrheit der Abgeordneten hinter sich zu bringen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt stellte wiederum im Anschluss eine Art Ultimatum. Die Abweisung von Flüchtlingen sei dringend nötig, um wieder Ordnung an den Grenzen zu schaffen, sagte er. Die endgültige Entscheidung werde der Parteivorstand am Montag in München treffen – womit er Merkel automatisch eine Frist setzte.
CDU-Landeschef Mike Mohring rügte beide Seiten: „Dieser Streit schadet uns allen“, sagte er der TA. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) habe inhaltlich recht, wenn er bestimmte Migranten gar nicht erst ins Land lassen wolle. Dies sei auch in der CDU Mehrheitsmeinung. „Gleichzeitig müssen wir aber der Kanzlerin die Zeit geben, das mit den Nachbarländern zu verhandeln“, sagte Mohring.
Vom Koalitionspartner SPD kam scharfe Kritik. Theaterstücke im Dienste von Landtagswahlen seien dem Ernst der Lage nicht angemessen, sagte Bundeschefin Andreas Nahles unter Verweis auf die im September anstehenden Wahlen in Bayern. Ähnlich äußerte sich SPD-Landeschef Wolfgang Tiefensee. „Das Problem ist die CSU, die ihren Landtagswahlkampf auf Kosten der gemeinsamen Bundesregierung macht“, sagte er. „Diese Situation bestärkt mich in meiner Meinung, dass wir zur Hälfte der Regierungszeit entscheiden sollten, ob die Koalition tatsächlich bis zum Ende der Wahlperiode fortgesetzt wird.“