Tiefensee will es wissen
Der SPD-Chef ruft sich zum Spitzenkandidaten aus und macht eine Koalitionsaussage für Rot-Rot-Grün – mit Sternchen
Erfurt. Nahezu 100 Tage ist Wolfgang Tiefensee Landeschef der Thüringer SPD. Es waren 100 Tage, in denen er versuchte, die Partei in ihren allen ihren Untergruppierungen kennenzulernen – und seine Vorstellungen für das anstehende Superwahljahr zu entwickeln, in dem über Kommunalparlament, EUAbgeordnete und Landtag abgestimmt wird.
Gestern Abend stellte er seinen Plan dem Landesvorstand vor. Im Zentrum steht erstmals eine klare Positionierung, was künftige Regierungsbündnisse angeht. „Wir gehen mit einer klaren Koalitionsaussage in den Wahlkampf“, sagte er der Thüringer Allgemeinen. Sie lautet: „Wir wollen Rot-Rot-Grün fortsetzen, falls es vom Wähler dafür das Mandat gibt“.
Gleichzeitig pappte er aber ein einschränkendes Sternchen an das Versprechen, das zum Kleingedruckten verweist. Und das hört sich so an: „Wir führen keinen gemeinsamen Lageroder Koalitionswahlkampf mit Linke und SPD.“Die Thüringer SPD stehe für sich, und nur für sich – und grenze sich gegenüber allen anderen Parteien ab.
Übersetzt heißt dies: Die SPD ist, falls es denn für Rot-RotGrün nicht reicht, natürlich auch offen für eine Regierung unter der CDU. Oder wie es Tiefensee diplomatisch formuliert: Man bleibe „gesprächsfähig mit allen Parteien, die vollständig auf dem Boden der Demokratie stehen“– was, wie er anfügt, die AfD automatisch ausschließe.
Auch auf eine zentrale Botschaft hat sich Tiefensee bereits festgelegt. Die SPD, sagte er, stehe für innere und soziale Sicherheit, für die Erhaltung des Bewährten. Gleichzeitig repräsentiere sie „den Aufbruch ins 21. Jahrhundert“, mit Digitalisierung und Bürgerbeteiligung.
Der strategische Trumpf ist für ihn, dass „ohne die SPD nicht regiert werden“könne. „Wir werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nach 2019 für Stabilität im Land sorgen“, sagte er. Woraus folge: „Wer Stabilität, Sicherheit und Fortschritt für das Land will, der muss SPD wählen.“
Mit diesem Slogan soll wohl auch überdeckt werden, dass die SPD in den Umfragen mit zehn Prozent nur noch die abgeschlagene Nummer 4 ist. Selbst der Landesvorsitzende räumt auf Nachfrage ein, dass seine Partei „nach gegenwärtigem Stand keine realistische Chance“auf den Regierungsvorsitz habe, selbst wenn die SPD dafür kämpfe, dass sich dies wieder ändere.
Dies bedeutet in der Konsequenz für Tiefensee: „Wir werden diesmal nicht mit einem Ministerpräsidentenkandidaten antreten.“Es solle nur einen einfachen Spitzenkandidaten geben – und dies wolle er sein. „Ich trete an“, sagte er und erklärte somit erstmals ganz offiziell seine Bewerbung für den Landesparteitag im November. Als Landeschef besitzt er sowieso das erste Zugriffsrecht – und das will er nun auch nutzen.
Bisher wurde neben Tiefensee Landtagsfraktionschef Matthias Hey für den Spitzenplatz gehandelt. Er genießt deutlich höheren Rückhalt in der Landespartei. Allerdings hatte er bereits intern mehrfach erklärt, aus familiären Gründen nicht antreten zu wollen. „Es bleibt bei meinem Nein“, sagte Hey gestern der TA. Gleichzeitig begrüßte er die Erklärung des Parteivorsitzenden: Tiefensee sei „als ausgewiesener Politikprofi mit hoher Bekanntheit der richtige Mann, um in einer für die SPD schwierigen Zeit zusätzliche Verantwortung zu übernehmen“.
Zusätzliche Verantwortung: Genau dies war zuletzt oft das Problem der Thüringer SPD. Nachdem Andreas Bausewein erst im vorigen Herbst auf die Spitzenkandidatur verzichtete und dann auch noch im Winter den Landesvorsitz hinwarf, fand sich im Land niemand außer den Politimporten Tiefensee und Georg Maier, die sich die Aufgaben zutrauten. Am Ende zog auch Innenminister Maier zurück, weil er die Niederlage in einer möglichen Kampfabstimmung fürchtete.
Und so ist der einstige Leipziger Oberbürgermeister und Bundesverkehrsminister Tiefensee mit 63 die Hoffnung der thüringischen SPD. Auch er selbst will es erkennbar noch einmal wissen. Die Landesgeschäftsstelle, so kündigte er an, werde zur „Dienstleistungszentrale für die Ortsverbände“umgebaut. Zudem bekomme der Landesverband eine Pressesprecherin.