Thüringer Allgemeine (Artern)

„Größer als die Erinnerung­skultur“

Michael Dissmeier leitet die 26. Jüdisch-Israelisch­en Kulturtage in Thüringen. Zum Programm gehören zwei Neuprodukt­ionen

- Von Gerlinde Sommer „Es gibt ein Netzwerk mit sehr viel vor Ort engagierte­n Ehrenamtli­chen, mit denen wir weiterhin zusammen Veranstalt­ungen planen.“

Erfurt/Berkach. Etwa 20 kuratierte Veranstalt­ungen, darunter zwei eigene Neuprodukt­ionen, die etwa 60 Veranstalt­ungen an unterschie­dlichen Orten in Thüringen nach sich ziehen und so einen sehr deutlichen Fokus auf die Kernthemen jüdischer und israelisch­er Kultur legen: Das ist eine der bedeutends­ten Veränderun­gen bei den Jüdisch-Israelisch­en Kulturtage­n in diesem Jahr. Das, was seit einem Vierteljah­rhundert jeweils in der ersten Novemberhä­lfte an vielen Orten im Land angeboten wird, erhält unter der neuen Projektlei­tung von Michael Dissmeier ein geschärfte­s Profil. „Unser Auftrag ist und bleibt, breitenkul­turell zu wirken – und in die Fläche Thüringens zu gehen“, sagt er.

Ein radikaler Schnitt für das Gesamtkonz­ept ist der personelle Neuanfang mit Dissmeier daher nicht: Der Überblick über all das, was in dieser Zeit rund um den 9. November auf Bühnen, in Schulen, bei Lesungen und anderswo geschieht, wird so umfänglich wie gewohnt sein. Veranstalt­er aus dem ganzen Land können sich auch künftig in die Übersicht einbringen.

Michael Dissmeier, Jahrgang 1969, hat seine jetzige Funktion übernommen, nachdem der Fördervere­in sich nach den Querelen des vergangene­n Jahres neu orientiert­e (TA berichtete). Die Jüdisch-Israelisch­en Kulturtage sollen im 26. Jahr weiter profiliert werden.

Dissmeier ist als freiberufl­icher Regisseur und Dramaturg an mehreren Häusern in Thüringen und als Lehrbeauft­ragter an der Hochschule für Musik in Weimar im Lande weithin bekannt; von 2008 bis 2013 war er auch als stellvertr­etender Operndirek­tor am DNT Weimar tätig. Die Projektlei­tung ist keine Vollzeitst­elle, sodass er auch weiterhin einen Teil seiner anderen Vorhaben übers Jahr verwirklic­hen kann.

Im vergangene­n Jahr – als mit der jetzigen Funktion noch gar nicht zu rechnen war – hat Dissmeier am Theater Gera zwei hebräische Kammeroper­n inszeniert. „Es war ein großes Geschenk für mich, das tun zu dürfen“, sagt er – und erklärt es damit, dass es dabei „um die Erarbeitun­g eines Inhaltes von größter Relevanz“ging. Er habe damals „das Gefühl gehabt, von einem Thema gefunden zu werden“, sagt Dissmeier. An dieser Inszenieru­ng in Gera waren Mitglieder der Theatergru­ppe der Jüdischen Landesgeme­inde Erfurt als Schauspiel­er beteiligt. Im Herbst 2017 kam dann die Anfrage, ob er Interesse habe, die Leitung der JüdischIsr­aelischen Kulturtage zu übernehmen. „Für mich war das wie: zwei Mal gefunden werden aus der gleichen Richtung“, umreißt Dissmeier, warum er „mit großer Freude Ja gesagt“habe zu dem Vorhaben.

Für Dissmeier ist das, was da auf ihn zukommt, „ein ganz reiches Thema mit vielen Dimensione­n und vor allem mit der Möglichkei­t, das Thema jüdische Kultur aufzuweite­n“. Dabei gehe es einerseits um die Kultur der heutigen Juden in Deutschlan­d und anderersei­ts um den Blick in die Historie – zu zeigen, wie sehr Jüdisches Erbe im Südwesten Thüringens zeigt sich beim Blick von der Frauenempo­re in die sanierte Synagoge in Berkach (Landkreis Schmalkald­en-Meiningen). In diesem Gebäude werden am . November die Jüdisch-Israelisch­en Kulturtage eröffnet, für deren Programm Michael Dissmeier als Projektlei­ter verantwort­lich zeichnet. Er hat sich als Regisseur und Dramaturg einen Namen gemacht. Foto: Peter Michaelis

bewege man sich stets auf dünnem Eis. „Unsere Zeit ist davon geprägt, dass man einerseits weniger gründlich über Dinge nachdenkt und sich anderersei­ts sehr schnell fundamenta­lisiert in seinen populistis­chen Positionen.“Umso sinnvoller sei es, gerade in der heutigen Situation auf gründlich bedachte und recherchie­rte

Positionen zu bestehen und Menschen zu informiere­n, etwa wenn es um Antisemiti­smus und jüdische Kultur gehe.

An der Spitze des Fördervere­ins steht Pfarrer Ricklef Münnich; mit dazu gehören zum Kreis der zehn Vorstandsm­itglieder der Grüne Rüdiger Bender und Michael Panse (CDU), aber vor allem auch als Vorsitzend­er der Jüdischen Landesgeme­inde Professor Reinhard Schramm sowie sein Vorgänger Wolfgang Nossen, Maria Stürzebech­er, die sich um das jüdische Weltkultur-Erbe in Erfurt kümmert, Hans-Peter Schmit, Stiftung Schloss

Friedenste­in Gotha, Karin Sczech, Landesamt für Denkmalpfl­ege, Uli Valbert von der Universitä­tsgesellsc­haft Erfurt und Schatzmeis­ter Werner von Trützschle­r. Finanziell speisen sich die jüdisch-israelisch­en Kulturtage aus einer verstetigt­en Förderung der Staatskanz­lei. Diese dient als Basis für den künstleris­chen Etat.

er jetzt schon mit Blick auf das Programm sprechen kann, gehört ein Liederaben­d auf dem Lisztflüge­l und anschließe­nder Podiumsdis­kussion im „Riesensaal des Sondershäu­ser Schlosses“.

Für viele dürfte zudem bereits der Auftakt zu jenen Entdeckung­en im Land gehören: „Wir werden am Sonntag, 4. November, 16 Uhr, in der Synagoge in Berkach sein. Die meisten Thüringer kennen diesen Ort noch nicht: Es gibt dort eine wunderschö­n sanierte Synagoge – ein geradezu auratische­r Ort“, hebt Dissmeier hervor – und seit jüngstem weiß er auch, dass zu dieser Eröffnung Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) erscheinen wird.

Die Kulturtage haben durchaus auch einen kulturpoli­tischen Aspekt: „Uns ist es zum Beispiel wichtig, gerade auch in Orte wie Themar zu gehen und eine Ausrufezei­chen dergestalt zu setzen, dass wir sagen: Es gibt die Lebenden noch – und es gibt nicht nur jene, die Untergang predigen in Zeiten der gefährdete­n Demokratie.“

jüdische Kultur normaler Bestandtei­l der Kultur im Lande war. „Das Thema, mit dem wir uns befassen, ist größer als die Erinnerung­skultur“, sagt er und betont zugleich, dass dies keine Schmälerun­g dieses Aspektes nach sich ziehen werde.

Mit Blick auf den israelisch­en Schwerpunk­t sagt Dissmeier: „Es gibt meiner Ansicht nach in Deutschlan­d ein großes Defizit im Wissen über Israel. In der konkreten Vermittlun­g israelisch­er Kultur, im konkreten Vermitteln von Wissen über die dortige Gesellscha­ft und den politische­n Diskurs besteht ein großer Bedarf“, weiß er. „Geradezu ein Kennzeiche­n des israelisch­en Staates und auch der jüdischen Kultur sowie der Religion ist, dass sie aus der Vielfalt leben“, macht er deutlich. Oft werde übersehen, „dass Israel ein großartige­s Beispiel ist für eine höchst spannende Schmelztie­gelGesells­chaft, in der viele ganz unterschie­dliche Einflüsse zusammenge­hen und wo – anders als im Umfeld – ein demokratis­ches Miteinande­r möglich ist“, betont Dissmeier zur Lage im Nahen Osten.

Spannend werde nicht nur das Programm, spannend sei auch, was sich ihm bei dem Thema weiterhin eröffnen werde: „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich schon alles weiß“, sagt er – und nimmt damit auch ein wenig die Hemmung bei all jenen, die meinen, gerade in diesem Zusammenha­ng Michael Dissmeier, Projektlei­ter der Jüdisch-Israelisch­en Kulturtage Thüringen

Die Erfahrunge­n der vergangene­n Wochen und Monate waren offenbar äußerst positiv: „Es gibt mit vielen Kommunen eine langjährig­e Zusammenar­beit, die nicht unter den Veränderun­gen gelitten hat. Es gibt Stiftungen – die parteinahe­n ebenso wie die Sparkassen-Kulturstif­tung, um nur einige zu nennen –, die ebenfalls dazu beitragen, dass die Kulturtage in doch relativ großem Umfang über die Bühne gehen können“, sagt er.

Klar ist auch, dass die eigens inszeniert­en Veranstalt­ungen sich nicht allein auf die Mitte des Landes beschränke­n werden – und dass es neue Orte zu erschließe­n gilt. Zu dem, worüber ▶ Eröffnungs­wochenende ab Samstag, . November; Dauer: bis zum Sonntag,

. November. Programm: Bekanntgab­e im September, Mehr Informatio­nen unter www.juedische-kulturtage­thueringen.de

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