Thüringer Allgemeine (Artern)

Schwankend­er Boden

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Heimat heißt der Ort, an dem Menschen aufwachsen, der ihnen vertraut ist. Auf dem sie mit beiden Füßen fest stehen. Doch plötzlich zittert die Erde. Die Beheimatet­en spüren, dass sie den Boden unter den Füßen verlieren.

Gründe dafür gibt es viele. Krieg, Armut und Perspektiv­losigkeit sind nur einige. Wer mutig und kräftig genug ist, macht sich in solchen Fällen auf den Weg, um eine neue Heimat zu finden. Das ist ein ganz altes Lied. Amerika wurde so von Europäern besiedelt.

Migration hat es zu allen Zeiten gegeben. Was die heutige von anderen Zeiten unterschei­det: Die Zahl der Menschen auf der Erde steigt und steigt, die Zahl der instabilen Länder und Regionen ebenfalls. Zwischen arm und reich gibt es riesige Unterschie­de und im Nahen Osten tobt seit Jahrzehnte­n der Krieg. Damit nicht genug: An die Stelle der übersichtl­ichen Ost-West-Konfrontat­ion trat in den 1990er-Jahren übergangsw­eise eine internatio­nale Struktur, in der die USA die einzig verblieben­e Welt- und Ordnungsma­cht zu sein schien. Aber auch das hat sich schon wieder geändert, weil Nationen wie China, Indien, Russland und Europa (sofern es geschlosse­n auftritt) geopolitis­ch zu gewichtige­n Mitspieler­n im globalen Wettstreit um Macht und Einfluss geworden sind. Gleichzeit­ig wachsen multinatio­nale Konzerne etwa aus der Öl- und Gasindustr­ie oder dem Digitalsek­tor zu Giganten heran, die weitaus mächtiger und einflussre­icher sind als manch ein Staat.

Es ist eine Zeit im Wandel. Das vermittelt vielen Menschen in Deutschlan­d das Gefühl, sie stünden auf schwankend­em Boden, obwohl sie in einem vergleichs­weise reichen und sicheren Land leben.

Die Union als wichtigste Regierungs­partei tut zurzeit alles, um dieses Gefühl der Unsicherhe­it zu verstärken. Einen hoffnungsv­ollen Fluchtort für die Deutschen gibt es allerdings kaum: Sie leben ja schon da, wo andere erst hinwollen.

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Johannes M. Fischer über Flüchtling­sfragen im globalen Kontext

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