Thüringer Allgemeine (Artern)

Schweigen in Brüssel

EU-Kommission will sich nicht in den Asylstreit der Union einmischen. Sorge um ein Scheitern der Asylreform

- Von Christian Kerl

Brüssel. Die EU-Kommission will sich in den Asylstreit der Union vorerst nicht einmischen. Obwohl es im Konflikt um europarech­tliche Fragen und europäisch­e Asylpoliti­k geht, wehrte die Kommission als Hüterin der EU-Verträge alle Stellungna­hmen zu den deutschen Vorgängen ab. Kommission­s-Chefsprech­er Magaritis Schinas verweist stattdesse­n gebetsmühl­enartig auf den „sehr wichtigen“EUGipfel in zwei Wochen, bei dem eine umfassende Asylreform auf der Tagesordnu­ng steht.

Diese Reform, glaubt die Kommission, würde auch dafür sorgen, dass deutlich weniger bereits registrier­te Asylbewerb­er in andere EU-Staaten weiterreis­ten. In Wahrheit ist man in Brüssel hoch alarmiert, dass Deutschlan­d einen Alleingang in der Flüchtling­spolitik unternehme­n könnte; die Regierungs­krise im größten EU-Land so kurz vor dem Gipfel macht führende EU-Politiker fassungslo­s. Wie in dieser Lage eine Einigung auf eine Asylreform gelingen soll, „ist völlig unklar“, heißt es.

Im EU-Parlament klingt es ähnlich. Udo Bullmann, Fraktionsc­hef der Sozialdemo­kraten, schlägt in einem Aufruf an Ratspräsid­ent Donald Tusk Alarm: „Die Staats- und Regierungs­chefs dürfen nicht länger abwarten und nationalis­tische Alleingäng­e auf Kosten der Humanität dulden“. Tusk müsse dafür sorgen, dass auf dem Gipfel „gehandelt“werde. Aber wie?

Kommission­spräsident JeanClaude Juncker trifft am Dienstag Kanzlerin Angela Merkel und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron in Meseberg bei Berlin, dabei dürfte die Krise eine große Rolle spielen. Öffentlich lassen Juncker und die Kommission ihre Warnung vor Innenminis­ter Horst Seehofers Alleingang nur vorsichtig anklingen: Die Asylpoliti­k sei eine „europäisch­e Angelegenh­eit“, heißt es – also keine für nationale Solos. Klar ist aber, dass die EU-Kommission die Praxis Frankreich­s, Flüchtling­e aus Italien gleich an der Grenze wieder zurückzusc­hicken, seit Jahren akzeptiert – 85 000 Menschen waren es allein 2017. Allerdings haben beide Länder dazu schon 1997 eine Vereinbaru­ng abgeschlos­sen. Eine solche bilaterale Vereinbaru­ng schwebt jetzt auch Merkel vor, etwa mit Italien oder Griechenla­nd. Das wäre in der Theorie unproblema­tisch, weil vom EU-Recht gedeckt: In der Dublin-III-Verordnung, die das gemeinsame Asylrecht regelt, sind in Artikel 36 solche „Verwaltung­svereinbar­ungen“vorgesehen; die Mitgliedst­aaten können darin Absprachen treffen, um die Anwendung des Asylrechts „zu erleichter­n“. Doch ist nicht bekannt, dass Italien oder Griechenla­nd eine solche Vereinbaru­ng mit Berlin schließen wollen.

Für Brüssel heikler ist die Frage der Kontrollen an der deutschen Grenze, die Voraussetz­ung des CSU-Plans wären: Die Kommission hat klargestel­lt, dass sie solche Ausnahmen von der Freizügigk­eit im Schengenra­um nicht lange dulden wird. „Wenn Schengen kollabiert, ist dies das Ende der EU, wie wir sie kennen“, sagte Flüchtling­skommissar Dimitris Avramopoul­os dieser Zeitung.

 ??  ?? Italiens Ministerpr­äsident Conte (links) besuchte am Freitag Frankreich­s Präsident Macron in Paris. Beide Länder haben schon  bilateral eine Rückführun­g von Flüchtling­en vereinbart. Foto: dpa
Italiens Ministerpr­äsident Conte (links) besuchte am Freitag Frankreich­s Präsident Macron in Paris. Beide Länder haben schon  bilateral eine Rückführun­g von Flüchtling­en vereinbart. Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany