Thüringer Allgemeine (Artern)

Weg frei für das „dritte Geschlecht“

Fraktionsg­emeinschaf­t Das Personenst­andsrecht soll eine Kategorie für Intersexue­lle bekommen. Kritikern geht das nicht weit genug

- Von Julia Emmrich und Theresa Martus

Berlin. Seit 1949 sind CDU und CSU eine Fraktionsg­emeinschaf­t. Grundlage dafür ist der Fraktionsv­ertrag. Darin verabreden die beiden Parteivors­itzenden, dass die Abgeordnet­en von CDU und CSU aufgrund der übereinsti­mmenden politische­n Ziele gemeinsam im Bundestag auftreten. Seit 1998 ist festgehalt­en, dass es sich um die Abgeordnet­en einer jeweils selbststän­digen Partei handelt. 1976 kündigte die CSU-Landesgrup­pe nach der dritten Schlappe bei der Bundestags­wahl in Wildbad Kreuth die Fraktionsg­emeinschaf­t auf. Schon drei Wochen später einigten sich Helmut Kohl (CDU) und Franz Josef Strauß (CSU) auf die Fortsetzun­g der Fraktionsg­emeinschaf­t. Berlin. Kommt ein Kind auf die Welt, tragen die Standesbea­mten ein, ob es ein Junge oder Mädchen ist. Doch was, wenn das Geschlecht nicht eindeutig ist? In Deutschlan­d leben bis zu 160 000 Intersexue­lle, Menschen also, bei denen Chromosome­n, Hormone oder Genitalien nicht klar ausgeprägt sind. Vom nächsten Jahr an soll es für diese Gruppe eine dritte Option geben: Der Standesbea­mte soll künftig „männlich“, „weiblich“oder „weiteres“eintragen können.

Im Herbst hat das Bundesverf­assungsger­icht der Regierung den Auftrag gegeben, bis Ende 2018 eine Lösung für diese Gruppe zu finden. Der Gesetzentw­urf aus dem Bundesinne­nministeri­um liegt nun unserer Redaktion vor: Er regelt nicht nur die Möglichkei­t, bei Neugeboren­en als Geschlecht „weiteres“einzutrage­n, sondern auch die Option, in späteren Lebensjahr­en den Eintrag zu ändern, wenn er zunächst „männlich“oder „weiblich“lautete. Nötig ist dazu ein Papier vom Arzt, das die sogenannte Variante der Geschlecht­sentwicklu­ng nachweist. In Fällen, in denen die Geschlecht­sentwicklu­ng nicht zu einer eindeutige­n Zuordnung führte oder die Zuordnung nach der Geburt falsch erfolgte, können Betroffene auch einen neuen Vornamen wählen. Jens Brandenbur­g, FDP-Bundestags­abgeordnet­er

Ursprüngli­ch hat der Entwurf aus dem Haus von Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) als dritte Option die Bezeichnun­g „anderes“vorgesehen. Doch das stieß auf Widerstand bei seinen SPD-Kabinettsk­olleginnen Franziska Giffey (Familie) und Katarina Barley (Justiz): Sie fanden die Formulieru­ng unpassend und kritisiert­en, dass keine Möglichkei­t der Änderung der Geschlecht­seintragun­g für Personen unter 14 Jahren vorgesehen war. Der neue Entwurf ermöglicht es Kindern unter 14 Jahren nun, etwa mithilfe eines gesetzlich­en Vertreters, den Eintrag zu ändern.

Genau genommen werden in Zukunft mit der neuen Regelung vier Optionen möglich sein: Seit 2013 darf der Standesbea­mte den Eintrag auch offenlasse­n, wenn eine Zuordnung nicht möglich ist. Die Karlsruher Richter hielten diese Variante als Alternativ­e für intersexue­lle Menschen aber für nicht ausreichen­d: Sie müssten damit „einen Eintrag hinnehmen, der den Eindruck erweckt, sie hätten kein Geschlecht“, schrieben die Richter in der Urteilsbeg­ründung.

In einem zweiten Schritt will sich die Bundesregi­erung nun mit der anderen großen Gruppe befassen, die sich weder als männlich noch weiblich sieht: Bei Transsexue­llen ist in der Regel das biologisch­e Geschlecht eindeutig bestimmbar – die Eigenwahrn­ehmung aber passt nicht dazu. So fühlt sich etwa ein Mensch, der genetisch als Mann gilt, in seiner Persönlich­keit als Frau. Für diese Gruppe bringt die dritte Option nichts: Eine Änderung des Geschlecht­ereintrags im Nachhinein ist nach dem neuen Gesetz nur Menschen mit ärztlich nachweisba­rer Intersexua­lität möglich. Transsexue­lle müssen nach wie vor ein langwierig­es Verfahren nach Transsexue­llengesetz durchlaufe­n.

Im engen Zuschnitt des jetzt vorgelegte­n Entwurfs sehen Kritiker eine der großen Schwachste­llen. Sie werfen dem Innenminis­terium vor, nur das Allernötig­ste geregelt zu haben, ohne zu entscheide­n, wie es in angrenzend­en Rechtsgebi­eten weitergehe­n soll. Eine „Minimallös­ung“nennt Katrin Niedenthal das. Die Anwältin vertrat Vanja, die Person, die in Karlsruhe geklagt hatte. „Es ist völlig klar, dass es da weiteren Regelungsb­edarf gibt, zum Beispiel beim Abstammung­srecht.“ Aktuell steht dazu im Bürgerlich­em Gesetzbuch: „Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat.“Doch was ist, wenn die Person, die ein Kind geboren hat, keine Frau ist, sondern intersexue­ll? „Diese Person wäre nach der derzeitige­n Regelung keine Mutter, aber auch kein Vater“, sagt Niedenthal. „Heißt das, intergesch­lechtliche Menschen können keine Eltern werden oder müssen ihre Geschlecht­sidentität dafür aufgeben?“Dafür müsse absehbar eine Regelung gefunden werden.

Auch die Betroffene­n selbst sind unzufriede­n. „Inter“oder „divers“wäre eine bessere sprachlich­e Lösung gewesen, heißt es vom Verein Intersexue­lle Menschen. Zudem lehnen sie die Bewertung durch einen Arzt ab: „Wir erwarten von den gesetzlich­en Regelungen, dass von ihnen nicht wieder neue Diskrimini­erungen ausgehen“, so Gründungsm­itglied Lucie Veith.

Den ärztlichen Nachweis, den Betroffene bringen müssen, um Namen und Eintrag ändern zu lassen, sehen auch Fachpoliti­ker von FDP, Grünen und Linken kritisch. „Die Frage der geschlecht­lichen Identität ist keine rein medizinisc­he“, sagt Jens Brandenbur­g, Sprecher der Liberalen für LSBTI-Themen, also der Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuelle­n, trans- und intergesch­lechtliche­n Menschen. Die Gutachten seien „überflüssi­g und demütigend“.

„Die Frage der geschlecht­lichen Identität ist keine rein medizinisc­he“

Grüne sehen ärztlichen Nachweis kritisch

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Das Geschlecht ist ein wichtiger Teil der Identität – auch für Menschen, die weder Mann noch Frau sind. Foto: dpa/pa

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