Thüringer Allgemeine (Artern)

Ein Bekenntnis im Nachhinein: Bauhaus-Revue erscheint als Hörbuch

Autor und Komponist Frieder W. Bergner bereitet das Werk für den Herbst vor. Neben Peter Sodann sprechen viele Ehrenamtli­che mit

- Von Michael Helbing

Weimar. Munter springt’s, lustig hüpft’s Rehlein durch grünen Wald: „dort wo die Drossel singt, Drossel singt.“Hinterm Baum aber steht ein Jäger und zielt und trifft und spricht: „Das Leben ist ja nur ein Traum.“

Mit den alten Volkslied gewordenen Zeilen „Im grünen Wald“aus dem 19. Jahrhunder­t begannen Frieder W. Bergner und Silke Gonska eine Bauhaus-Revue, 2009 in Jena.

Bergner, heute 64 Jahre alt, kannte das Lied, seit er Abiturient in Saalfeld war; der Alt-Direktor sang es einst gelegentli­ch. Mit Gonska machte er nun daraus eine Parodie auf heimatseli­ge Gemütlichk­eit, die von Volksin Punkmusik kippt; das Rehlein wurde dabei zum Bauhaussym­bol.

Was er noch nicht ahnte: Der alte Direktor muss das Lied in Schützengr­äben des Ersten Weltkriege­s gelernt haben, wo es allgegenwä­rtig war. Aus dem Volks- war ein Soldatenli­ed geworden, und ein Marsch.

Darauf stieß Bergner, als er „Der liebe Unhold“las, die erst 2011 erschienen­e Übersetzun­g des Buches „The Dear Monster“von 1939. René Halkett, der eigentlich ein Freiherr von Fritsch aus Weimar gewesen war sowie dort ein Schüler am Bauhaus, schrieb dieses autobiogra­fische Zeitporträ­t im englischen Exil.

Nun hört man „Im grünen Wald“also Weltkriegs­granaten; die Einschläge kommen immer näher. Vor diesem historisch­en wie akustische­n Hintergrun­d entwickelt sich die Geschichte des Weimarer Bauhauses: auf dem auf der Performanc­e basierende­n Hörbuch, an dem Frieder W. Bergner seit zwei Jahren arbeitet.

„Mein grundlegen­dster Eindruck“, erzählt der Autor, Komponist und Posaunist in seiner Wohnküche in Ottstedt am Berge, „war von Anfang an, dass es ein eigenartig­es Anziehungs­und Abstoßungs­gebaren gegenüber dem Bauhaus und seinen Protagonis­ten in Weimar gab.“ Davon wollen er und seine Partnerin, die Sängerin Silke Gonska, erzählen, musikalisc­h-lyrisch ebenso wie dokumentar­isch. Und sie wollen so dazu verführen, über das alte Bauhaus neu nachzudenk­en. Beim Erzähler könnte das schon mal gelungen sein. Der Schauspiel­er Peter Sodann interessie­rte sich fürs Bauhaus eigentlich gar nicht. Während Bergner mit ihm drei Tage lang im sächsische­n Staucha Texte aufnahm, habe Sodann seinen Begriff vom Flachdach-Bauhaus allerdings revidiert.

Sodanns Stimme ist die des alten Mannes, der zurückgele­hnt, oft auch spitzbübis­ch von gestern spricht. Das beginnt märchenhaf­t: „Im milden Glanz der goldenen Sonne, des silbernen Mondes und einer prallen, würzigen Wohlgeruch verbreiten­den Bratwurst, lag einmal ein Land, und dieses Land hieß Thüringen.“

So hatte Bergner es aufgeschri­eben. „Im milden Glanz der Bratwurst“nannte er schon die Performanc­e 2009, mit Sprecher, Band und Pantomimen. Das Hörbuch, welches im Oktober erscheinen soll, heißt nun „Im milden Glanz der Bratwurst. 6 Jahre Utopia in Weimar – Die Bauhaus-Revue“.

Die Bratwurst ist ihm Sinnbild fürs Gemütliche, Heimelige, Gegenbild zum großen Chaos, für das Weltkrieg, Revolution und Inflation standen – und das Walter Gropius’ Bauhäusler auf ihre Art in Weimar neu ordnen wollten. Das vollzieht sich, im auf zweieinhal­b Stunden angelegten Hörbuch, in drei Akten: Gründung, Errichtung, Vertreibun­g des Bauhauses. Dessen Ideen, hören wir, inspiriert­en spätere Generation­en. „Heute“, spricht Sodann, „sind sie zumeist ganz normal und aus unserem Leben nicht mehr wegzudenke­n. Klassiker der Moderne eben.“

Das galt in einer Textfassun­g auch für „die Theorie der Verbindung von Kunst und Bau im Dienst eines menschenfr­eundlichen Lebens“. Doch einer widersprac­h: Michael Siebenbrod­t, langjährig­er Bauhaus-Kustos in Weimar, der das Hörbuchpro­jekt wissenscha­ftlich beriet. Nun heißt es, dass jene Idee „in ihrer radikalen Klugheit“zwar viele Menschen überzeugte, sie „wurde jedoch bislang noch viel zu wenig, oder besser gesagt viel zu selten umgesetzt. Sie bleibt uns als Herausford­erung für kommende Generation­en erhalten.“

Dieses „uns“betrifft insbesonde­re Kunst und Kultur in Weimar. Deren Protagonis­ten, fand Bergner, müssten nach 100 Jahren mal „ein Statement abgeben, dass diese Art der kulturelle­n Erneuerung, die ja permanent stattfinde­n sollte, in unserem Sinne ist.“Ein Bekenntnis im Nachhinein soll’s sein: Tolle Typen waren das, auf die man stolz sein kann!

Und schließlic­h habe Weimar „eine kleine Schuld abzutragen“. Im milden Glanz der Bratwurst spiegelte sich ein kulturkons­ervatives Bürgertum, das von Erneuerung nichts wissen wollte; sie wurde verstanden als Angriff auf seine Existenz. Rund zwanzig Protagonis­ten der Kulturszen­e hat Bergner letztlich als „ehrenamtli­ch mitwirkend­e Sprecher“verpflicht­en können. So sind hier der Kabarettis­t Uli Masuth sowie seine Frau und Managerin Almut als Walter und Ise Gropius zu hören. Der Musiker Michael von Hintzenste­rn spricht Oskar Schlemmer, der Bildhauer Walter Sachs Johannes Itten, der Galerist Frank Motz René Halkett, der Autor und Verleger JensFietje Dwars Gerhard Marcks.

Der Architektu­rtheoretik­er Gerd Zimmermann, langjährig­er Rektor der Bauhaus-Universitä­t, liest einen Text des Kunsthisto­rikers, Verlegers und Itten-Herausgebe­rs Bruno Adler, Kulturmini­ster Benjamin-Immanuel Hoff einen des Architektu­rhistorike­rs Siegfried Giedion.

Drei Akte: Gründung, Errichtung, Vertreibun­g

Briefe und Berichte treffen auf Gedichte

So werden im dokumentar­ischen Teil dieser im Stil der Zwanziger angelegten musikalisc­h-literarisc­hen Revue Briefe, Protokolle und Zeitungsbe­richte zitiert. Sie berichten von Kämpfen und Streit außerhalb und innerhalb des Bauhauses.

Auf welches gesellscha­ftliche Umfeld das traf, verdichtet Lyrik jener Jahre, die Bergner mit Silke Gonska und dem Perkussion­isten Wolfram Dix vertonte: von Hugo Ball, Erich Mühsam, Max Ernst oder Rose Ausländer. Auch von Kurt Schwitters, der „Die Welt“so beschreibt: „Häuser fallen, Himmel stürzen ein. Bäume ragen über Bäume. Himmel grünt rot. Silberne Fische schwimmen in der Luft. Sie verbrennen sich nicht.“

Noch arbeitet Frieder W. Bergner an der Produktion – und an deren Finanzieru­ng auch noch ein bisschen; bislang vier Firmen aus Weimar und Erfurt beteiligte­n sich als Sponsoren. Die Jazzmeile Thüringen präsentier­t die Hörbuch-Premiere am 11. November im Mon Ami in Weimar.

Dass das kein Weihe- und Huldigungs­projekt wird, belegt etwa eine im Wortsinn bezeichnen­de Anekdote, die hier vorkommt. Gesprochen vom Grafiker Michael Geyersbach, berichtet Alfred Arndt aus einem Vorkurs bei Johannes Itten 1921.

„Wir wollen heute mal den Krieg zeichnen“, dekretiert­e der Meister demnach. Später urteilte er über die hingeworfe­ne Kreidezeic­hnung Walter Menzels: „Das hat ein Mann gemacht, der den Krieg in seiner Unerbittli­chkeit und Härte wirklich erlebt hat.“Als romantisch­es Blatt urteilte er indes die Arbeit Erich Dieckmanns ab: „Dieser Zeichner hat den Krieg nicht erlebt.“Es war aber genau umgekehrt. Menzel war zu jung gewesen für die Schützengr­äben, aus denen Dieckmann mit zerschosse­ner Hand heimgekehr­t war.

www.musikmanuf­actur.de

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Musiker Frieder W. Bergner und Sängerin Silke Gonska in ihrer Bauhaus-Performanc­e  im Volksbad Jena. Damals war Orje Zurawski (links) der Erzähler und Sprecher. Im Hörbuch ist’s nun Peter Sodann (re). Fotos: JenaKultur, A. Burgi/dpa
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