Ringe für die Wissenschaft
Storchenkinder bekamen gestern Code-Nummern verpasst. Bretlebens vierter Storch ging an einer Umweltsünde zugrunde
Kyffhäuserkreis. Langsam steuert Uwe Kufs in Bretleben die Gondel des Ausliegers in die Höhe. Mit an Bord hat der Kranführer aus Nebra den Vogelschützer Ralf Müller. Der Wiehesche ist in seiner Freizeit Vogelschützer und darf neben den Falken auch Uhus und Störche beringen. Auf einer Rundtour will er gestern den Storchenküken in der Kyffhäuserregion Ringe ums Bein legen.
Das macht Müller schon seit einigen Jahren. Ehrenamtlich. Auftraggeber ist die Vogelwarte Hiddensee. Von dort erhält er die Ringe mit den Code-Nummern. Für Bretleben hat er auf jeden Fall drei Stück in der Tasche, so viele Jungtiere sollen diesmal auf dem Nest über der Brücke liegen. Argwöhnisch verfolgt der Altstorch das Treiben am Boden. Als sich die Gondel nähert, breitet er die Flügel aus. Er kreist umher und landet auf dem Dach eines der umstehenden Häuser, ohne das Nest aus den Augen zu lassen.
Wie versteinert liegen die drei Küken auf dem Stroh und regen sich nicht. Nur ab und zu blinzelt ein Auge. Müller lässt den Blick über das Nest schweifen und dann über die kleinen flauschig-weißen Federbälle mit den schwarzen Schnäbeln. Alles gesund und munter, stellt er schließlich fest und lässt routiniert die Schellen über dem Knie dreier Storchenbeine klicken.
Doch dann fällt der Blick des Experten auf ein graues Federbündel am Boden. Unverkennbar – die Bretlebener Störche haben sogar ein viertes Junges zur Welt gebracht. Aber das kam zu Tode. Der Grund liegt direkt vor Ralf Müllers Augen: Ein heller Kunststoffring, der dem Tier offenbar alles abschnürte, war den Storchenbaby zum Verhängnis geworden. Das Plasteteil war bis unter einen Flügel gerutscht und umschließt den Kadaver noch immer. „Da sieht man mal, was Umweltmüll so alles anrichtet“, sagt Müller. Vermutlich hatten die Alttiere den Ring im Nest als Polstermaterial verbaut.
Weitere solche Erlebnisse blieben Ralf Müller gestern zum Glück erspart. In Seehausen hatte er drei Ringe anzulegen, in Ringleben vier, in Borxleben drei. Neben den zwei Jungtieren in Heygendorf lag noch ein Ei. Das war unbefruchtet geblieben. Überall verfolgten Anwohner interessiert das Geschehen.
Die Beringung der Störche dient Forschungszwecken. Damit sollen Informationen über das Leben der Vögel und ihre Populationen gewonnen werden, über Zugverhalten, Zugwege, Ansiedlungsmuster der Jungvögel, Ortstreue der Brutvögel, Lebenserwartung und ihre Todesursachen. Auf diese Weise, so Müller, habe man in letzter Zeit zum Beispiel herausgefunden, dass Störche gar nicht ein Leben lang auf einen einzigen Partner fixiert sind, wie es immer heißt. Und standorttreu seien auch nicht alle, wie das Beispiel des Memlebener Storches vor ein paar Jahren zeigte, der sich plötzlich in Ringleben niederließ und nun dort seine Familie gründet. „Man muss natürlich auch mal das Fernglas nehmen und nach der Code-Nummer aus Zahlen und Buchstaben schauen“, sagt Müller.
In nächster Zeit sollen mit anderer Technik auch die Jungstörche in Esperstedt (3) und Voigtstedt (4) beringt werden. Dafür war der Kran, den die Firma Stieberitz Dachdecker GmbH aus Nebra für die Aktion zur Verfügung stellte, leider zu kurz. „In Esperstedt fehlten nur zwei Meter“, sagt Müller. Da brauchte man es in Voigtstedt gar nicht zu probieren – dort liegt das Nest um einiges höher.