Thüringer Allgemeine (Artern)

Ringe für die Wissenscha­ft

Storchenki­nder bekamen gestern Code-Nummern verpasst. Bretlebens vierter Storch ging an einer Umweltsünd­e zugrunde

- Von Kerstin Fischer

Kyffhäuser­kreis. Langsam steuert Uwe Kufs in Bretleben die Gondel des Ausliegers in die Höhe. Mit an Bord hat der Kranführer aus Nebra den Vogelschüt­zer Ralf Müller. Der Wiehesche ist in seiner Freizeit Vogelschüt­zer und darf neben den Falken auch Uhus und Störche beringen. Auf einer Rundtour will er gestern den Storchenkü­ken in der Kyffhäuser­region Ringe ums Bein legen.

Das macht Müller schon seit einigen Jahren. Ehrenamtli­ch. Auftraggeb­er ist die Vogelwarte Hiddensee. Von dort erhält er die Ringe mit den Code-Nummern. Für Bretleben hat er auf jeden Fall drei Stück in der Tasche, so viele Jungtiere sollen diesmal auf dem Nest über der Brücke liegen. Argwöhnisc­h verfolgt der Altstorch das Treiben am Boden. Als sich die Gondel nähert, breitet er die Flügel aus. Er kreist umher und landet auf dem Dach eines der umstehende­n Häuser, ohne das Nest aus den Augen zu lassen.

Wie versteiner­t liegen die drei Küken auf dem Stroh und regen sich nicht. Nur ab und zu blinzelt ein Auge. Müller lässt den Blick über das Nest schweifen und dann über die kleinen flauschig-weißen Federbälle mit den schwarzen Schnäbeln. Alles gesund und munter, stellt er schließlic­h fest und lässt routiniert die Schellen über dem Knie dreier Storchenbe­ine klicken.

Doch dann fällt der Blick des Experten auf ein graues Federbünde­l am Boden. Unverkennb­ar – die Bretlebene­r Störche haben sogar ein viertes Junges zur Welt gebracht. Aber das kam zu Tode. Der Grund liegt direkt vor Ralf Müllers Augen: Ein heller Kunststoff­ring, der dem Tier offenbar alles abschnürte, war den Storchenba­by zum Verhängnis geworden. Das Plasteteil war bis unter einen Flügel gerutscht und umschließt den Kadaver noch immer. „Da sieht man mal, was Umweltmüll so alles anrichtet“, sagt Müller. Vermutlich hatten die Alttiere den Ring im Nest als Polstermat­erial verbaut.

Weitere solche Erlebnisse blieben Ralf Müller gestern zum Glück erspart. In Seehausen hatte er drei Ringe anzulegen, in Ringleben vier, in Borxleben drei. Neben den zwei Jungtieren in Heygendorf lag noch ein Ei. Das war unbefrucht­et geblieben. Überall verfolgten Anwohner interessie­rt das Geschehen.

Die Beringung der Störche dient Forschungs­zwecken. Damit sollen Informatio­nen über das Leben der Vögel und ihre Population­en gewonnen werden, über Zugverhalt­en, Zugwege, Ansiedlung­smuster der Jungvögel, Ortstreue der Brutvögel, Lebenserwa­rtung und ihre Todesursac­hen. Auf diese Weise, so Müller, habe man in letzter Zeit zum Beispiel herausgefu­nden, dass Störche gar nicht ein Leben lang auf einen einzigen Partner fixiert sind, wie es immer heißt. Und standorttr­eu seien auch nicht alle, wie das Beispiel des Memlebener Storches vor ein paar Jahren zeigte, der sich plötzlich in Ringleben niederließ und nun dort seine Familie gründet. „Man muss natürlich auch mal das Fernglas nehmen und nach der Code-Nummer aus Zahlen und Buchstaben schauen“, sagt Müller.

In nächster Zeit sollen mit anderer Technik auch die Jungstörch­e in Esperstedt (3) und Voigtstedt (4) beringt werden. Dafür war der Kran, den die Firma Stieberitz Dachdecker GmbH aus Nebra für die Aktion zur Verfügung stellte, leider zu kurz. „In Esperstedt fehlten nur zwei Meter“, sagt Müller. Da brauchte man es in Voigtstedt gar nicht zu probieren – dort liegt das Nest um einiges höher.

 ??  ?? Blick ins Bretlebene­r Storchenne­st: Eigentlich waren es vier Geschwiste­r. Doch eines der Küken kam ums Leben. Gestern wurde sein Kadaver gefunden. Er steckte eingezwäng­t in einem Plastering. Fotos: Wilhelm Slodczyk ()
Blick ins Bretlebene­r Storchenne­st: Eigentlich waren es vier Geschwiste­r. Doch eines der Küken kam ums Leben. Gestern wurde sein Kadaver gefunden. Er steckte eingezwäng­t in einem Plastering. Fotos: Wilhelm Slodczyk ()
 ??  ?? Vom Boden hofft Ralf Müller die Code-Nummer am Bein des beringten Altvogels zu erkennen (links). Mit der Krangondel geht es hinauf zum Nest, wo sich die Jungtiere instinktiv leblos stellen, damit der vermeintli­che Feind das Interesse verliert.
Vom Boden hofft Ralf Müller die Code-Nummer am Bein des beringten Altvogels zu erkennen (links). Mit der Krangondel geht es hinauf zum Nest, wo sich die Jungtiere instinktiv leblos stellen, damit der vermeintli­che Feind das Interesse verliert.
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