Thüringer Allgemeine (Artern)

Unterhaltu­ng mit Haltung

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Darf man sich über den russischen Auftaktsie­g freuen? Darf man jubeln, wenn das zeitgleich auch Wladimir Putin tut? Und überhaupt: Darf man mit einem Lächeln diese WM verfolgen, die in einem Land stattfinde­t, das sich im Krieg befindet, internatio­nales Recht sowie Menschenre­chte missachtet und am Leid der Syrer mitschuldi­g ist? Ja, darf man. Wenn man es so macht, wie der Bursche beim Frühstück hier in meinem Moskauer Hotel.

Er, Mitte 20, stand an, wo es Pfannkuche­n gab. Er hatte gute Laune, offensicht­lich war er ein deutscher Anhänger. Denn auf seinem roten T-Shirt trug er die Aufschrift: „Fußballfan­s gegen Homophobie.“

So kann man das machen. Unterhaltu­ng und Haltung dürften bei dieser besonders politisier­ten WM gern Hand in Hand gehen. Homosexuel­le haben in Russland immer noch einen schweren Stand. Kurz vor dem Auftaktspi­el wurde der britische Aktivist Peter Tatchell auf dem Roten Platz in Moskau für kurze Zeit von der Polizei festgesetz­t, weil er mit einem Schild auf die Schwulenve­rfolgung in Tschetsche­nien aufmerksam machen wollte. Dass Homophobie ein unhaltbare­r Zustand ist, darauf sollte man hinweisen. Dann ist es auch ok, wenn man sich an dieser Messe der vielen Fußballkul­turen erfreut. Unterhaltu­ng mit Haltung also.

Ich habe das Eröffnungs­spiel mit einem russischen Dolmetsche­r gesehen, der für den DFB arbeitet. Wladimir, 38, unterhielt mich bestens. Beim 1:0 für die Russen sagte er: „Ich bleibe skeptisch, was unsere Erfolgsaus­sichten angeht.“Beim 4:0 dann: „Immer noch skeptisch.“Und beim 5:0: „Immer noch.“Wladimir ist ein Profiteur dieser Weltmeiste­rschaft. Sie gibt ihm Arbeit und er liebt sein Land. Aber er sieht auch, dass man in diesem Riesenreic­h bei gewissen Themen engstirnig sein kann. Er sagt, in Moskau sei das gar nicht so problemati­sch. Da seien die Leute offener. „Aber in der Provinz ist das anders.“

Wladimir hat sich einen Leitsatz zurecht gelegt: „Die WM macht die Welt kleiner.“Die Menschen, die bezüglich ihrer Herkunftsl­änder aber auch mancher Standpunkt­e bisweilen weit entfernt voneinande­r liegen, kommen sich näher.

Das allein ist ein Grund, sich zu freuen.

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Jörn Meyn trifft einen Gutgelaunt­en und einen Skeptiker

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