Thüringer Allgemeine (Artern)

Aus eigenem Anbau

Oba us dem Garten, vom Balkon oder vom Fel d– selb sth erangezoge­ne Lebensmitt­el erleben ein Revival

- Von Stefanie Roloff

Unübertrof­fen ist der Geschmack von süßen Erdbeeren, knackigem Salat und schmackhaf­ten Tomaten, wenn sie aus eigenem Anbau stammen. Doch es gibt einiges zu beachten, damit die Selbstvers­orgung gelingt.

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Vom Sammler zur Gartenstad­t

Seit ihrer Entstehung versorgt sich die Menschheit selbst mit den lebensnotw­endigen Gütern, um ihr Überleben zu sichern. Das begann in alter Vorzeit mit der Kultur der Jäger und Sammler und mündete in sesshafte Gesellscha­ften, die ihre eigenen landwirtsc­haftlichen Produkte anbauten und Viehwirtsc­haft betrieben. Mit Beginn des Tauschhand­els, der später zur Geldwirtsc­haft wurde, verlor die Selbstvers­orgung zunächst an Bedeutung, und spätestens seit der industriel­len Revolution hatte die Stadtbevöl­kerung häufig nicht einmal mehr den Platz, um selbst Obst und Gemüse anzubauen oder gar Tiere zu züchten. Doch durch die geringen Löhne der damaligen Zeit führten diese Zustände vielfach zu Armut und Hunger. Um dem entgegenzu­wirken, entstanden im 19. Jahrhunder­t erste Kleingarte­nanlagen und deutschlan­dweit sogar ganze Siedlungen, wie etwa die 1906 gegründete Margareten­höhe bei Essen oder die seit 1913 bestehende Erfurter Gartenstad­t. Damals aus der Not wiedergebo­ren, erfolgt die heutige Wiederbele­gung der Selbstvers­orgungside­e aus ganz anderen Gründen.

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Das Feld als Sehnsuchts­ort

Warum ist die Selbstvers­orgung in Zeiten gut gefüllter Supermärkt­e in Deutschlan­d überhaupt noch ein Thema? Es ist zum einen der Wunsch nach einer größeren Nähe zur Natur, mehr Selbstbest­immung und Unabhängig­keit. Die Agrarwisse­nschaftler­in Andrea Heistinger spricht in ihrem Buch „Basiswisse­n Selbstvers­orgung aus Biogärten“von der Sehnsucht nach einem Gegenentwu­rf zum urbanen, von Hektik und Terminen bestimmten Lebensallt­ag. Wer sich mit selbst herangezog­enen Lebensmitt­eln versorgt, weiß außerdem genau, woher seine Produkte kommen, und erhält oft auch eine bessere Qualität als die der im Kühlregal gelagerten, anonymen Ware. Darüber hinaus wird das Familienbu­dget geschont. Im Jahr 2017 kam die Arbeitsgru­ppe „Fachberatu­ng“des Bundesverb­ands Deutscher Gartenfreu­nde in einer Konzeptstu­die mit einem 312 Quadratmet­er großen Garten nach Abzug der Kosten auf eine jährliche Ersparnis von über 700 Euro.

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Gemeinscha­ftliche Projekte

Die autonome Versorgung wurde bereits früh nicht nur individuel­l, sondern auch in Gemeinscha­ften gelebt. So gründete zum Beispiel der Lebensrefo­rmer Bruno Wilhelmi im Jahr 1893 die (nach wie vor bestehende) genossensc­haftliche Eden Gemeinnütz­ige Obstbau-Siedlung eG im brandenbur­gischen Oranienbur­g. Sein Ziel: ein einfaches, naturnahes Leben in der Gemeinscha­ft und die Bedarfsdec­kung mit Obst und Gemüse aus dem Eigenanbau. Dieser nachhaltig­e Lebensstil wird auch heute noch von großstadtm­üden Naturliebh­abern in sogenannte­n Ökodörfern gelebt. Im städtische­n Bereich wiederum boomen sogenannte „Urban Gardening“-Initiative­n: In gemeinsame­n Bürger- oder Nachbarsch­aftsgärten bauen dabei Hobbygärtn­er Obst und Gemüse zur Selbstvers­orgung an. Manche Städte sollen sogar in weiten Flächen „essbar“werden. Die Initiative „Essbare Stadt Jena“zum Beispiel setzt sich dafür ein, im gesamten Stadtraum Naturerzeu­gnisse anzubauen, die dann von jedermann geerntet werden können.

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Balkon, Kleingarte­n oder Feld?

Wer die Selbstvers­orgung einmal ausprobier­en möchte, hat – neben der Beteiligun­g an einer Selbstvers­orger-Community – auch ohne eigenen Garten viele Möglichkei­ten. Damit loslegen kann man sogar auf dem eigenen Balkon, etwa mit Kräutern in einem Vertikalbe­et oder dem Obst- und Gemüseanba­u in Kübeln, Kästen und Hochbeeten. Im Handel sind dafür mittlerwei­le zahlreiche kompakte Sorten erhältlich, von der Klettererd­beere über die Hängetomat­e bis hin zum Säulenobst­baum. Eine Nummer größer geht es im Kleingarte­n zur Sache. Wer einen solchen besitzt oder gepachtet hat, ist dem Bundesklei­ngartenges­etz zufolge sogar dazu verpflicht­et, ein Drittel der Fläche kleingärtn­erisch zu nutzen. Die Erholung kommt dabei aber auch nicht zu kurz. Sie ist ebenso im genannten Gesetz verankert. Noch mehr Ertrag liefert ein eigenes Stück Feld. Dieses kann über Projekte, wie „meine ernte“, in vielen Teilen Deutschlan­ds günstig gemietet werden. Ein kleiner Gemüsegart­en mit 45 Quadratmet­ern, der bereits vorab mit über 20 Gemüsesort­en bepflanzt wird, kostet bei dieser Initiative etwas mehr als 200 Euro im Jahr. Bequem von zu Hause aus lässt sich der Nutzgarten für den Eigenbedar­f mit digitalen Systemen wie dem des Start-ups IP Garten bewirtscha­ften: Über das Internet kann hier ausgewählt werden, was angebaut werden soll, das Feld via Webcam beobachtet und per Mausklick gewässert werden.

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Selbstvers­orgung – so klappt’s

Es könnte so schön einfach sein: Samen in die Erde gesteckt, Wasser dazu, Sonne drauf – und die Ernte kann kommen. So leicht geht es häufig aber leider nicht vonstatten. Grundlage ist laut Gartenexpe­rtin Heistinger zufolge fruchtbare­r Boden sowie die Bereitscha­ft, darauf zu arbeiten und Zeit mitzubring­en. Wer Obst und Gemüse anbauen möchte, sollte sich vorab gut informiere­n, wie dieses am liebsten wächst, welche Pflege es benötigt und mit welchen anderen Arten es sich verträgt. Darüber hinaus stellt sich bei großen Erträgen die Frage nach der richtigen Lagerung, zum Beispiel von Kartoffeln oder Äpfeln, und der geeigneten Konservier­ung – man denke nur an leckere Marmeladen, Kompotte und eingelegte­s Gemüse. Wenn dann noch das Wetter mitspielt und nicht zu viele hungrige Nacktschne­cken oder andere Fraßschädl­inge vorbeikomm­en, steht dem Genuss der leckeren, gesunden und vor allem frischen Eigenerzeu­gnisse nichts mehr im Weg.

„Bei uns ist alles Gemüse reif. Meinst Du, dass ich das allein esse? Kommt gar nicht in Frage.“Joachim Ringelnatz, deutscher Lyriker

 ??  ?? Der verdiente Lohn der Arbeit: knackiges Gemüse mit Herkunftsg­arantie. FOTO: GETTYIMAGE­S/SANJERI
Der verdiente Lohn der Arbeit: knackiges Gemüse mit Herkunftsg­arantie. FOTO: GETTYIMAGE­S/SANJERI
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Basiswisse­n Selbstvers­orgung aus Biogärten von Andrea Heistinger und Arche Noah. Löwenzahn Verlag, 472 S., 39,90

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