Mielke macht kurzen Prozess
„Das ganze Geschwafel von wegen nicht Hinrichtung und nicht Todesurteil – alles Käse, Genossen. Hinrichten, wenn notwendig auch ohne Gerichtsurteil.“Am 19. Februar 1982 erklärt Stasi-Minister Erich Mielke seinem Führungskreis, was er von der international diskutierten Abschaffung der Todesstrafe hält. „Wir sind nicht davor gefeit, dass wir einmal einen Schuft unter uns haben. Wenn ich das schon jetzt wüsste, würde er ab morgen nicht mehr leben. Kurzer Prozess. Weil ich ein Humanist bin. Deshalb habe ich solche Auffassung.“
In der DDR wurde die Todesstrafe 1987 abgeschafft. Viele Bürger erfuhren erst durch diese Verkündung, dass es diese Strafe in ihrem Land überhaupt gegeben hatte. Vermutlich 164 Verurteilte starben unter der Guillotine bzw. durch Genickschuss. Die letzte Hinrichtung erfolgte 1981 an einem ehemaligen Stasi-Offizier. Als Todesursache wurde auf den Totenscheinen oft ein Herzversagen angegeben.
Junge, geh zur Polizei. Da hast du einen anständigen Beruf, da hast du ein gutes Auskommen. Jetzt, nach dem Krieg, da ist die Polizei wieder etwas Besonderes. Eigentlich wollte Manfred Smolka Förster werden. Der Wald, die Jagd, das hatte den 17Jährigen schon immer begeistert. Aber natürlich, die Mutter hat ja nicht unrecht. Und überhaupt, das Geld. Die hungrigen Mäuler daheim, die Geschwister. Hatte er nicht schon all die Jahre zuvor beim Bauern geschuftet, hatte er nicht für Brennholz und für Kleidung gesorgt, damit es der Familie besser geht…
Thüringen, im Jahre 1948. Seit drei Jahren leben die Smolkas in Hohenleuben. Das Schiefergebirge ist für sie zur zweiten Heimat geworden. Vor fünf Jahren ist der Vater gefallen, schließlich floh die Familie vor der Roten Armee aus Schlesien. Endlich, so scheint es, gibt es einen Lichtstreif in ihrem Leben. Manfred erzählt seiner Mutter, dass ihn Werber in der Schule angesprochen hätten. Die Mutter redet ihm zu, ihrem Großen, der die Familie ernährt, der ihr ganzer Stolz ist. Ja, Junge, geh zur Polizei.
12 Jahre später wird Manfred Smolka kein geachteter Polizist mehr sein. Dann wird er als Verräter gebrandmarkt werden. Dann wird er im Zentrum eines Schauprozesses stehen. Dann wird er seine Richter anflehen, Gnade walten zu lassen. Dann wird er von seiner Familie erzählen, von seiner Frau und seiner Tochter, von seiner Mutter und seinen Geschwistern. Sie alle würde ein Todesurteil in den seelischen Abgrund reißen. Das Gefühl, mit schuld zu sein an diesem Urteil, werde vor allem seine Frau zeitlebens nicht verlassen.
Manfred Smolkas letzte Worte vor Gericht haben in der StasiUnterlagenbehörde die Zeitläufe überdauert. 42 Minuten und 25 Sekunden ist dieser Tonband-Mitschnitt lang. Wir hören einen Mann, der um Worte und um Fassung ringt. Er erzählt aus seinem Leben, er räumt Verfehlungen ein. Ich bitte, so wird der Angeklagte zum Schluss sagen, „eine gerechte Entscheidung zu treffen“.
Eine gerechte Entscheidung? Ist gerecht, wenn ein Urteil bereits lange vor dem Prozess feststeht?
Der Prozess beginnt am 26. April 1960. Bereits ein Vierteljahr zuvor, am 14. Januar, unterbreitet ein Hauptabteilungsleiter der Staatssicherheit einen „Vorschlag für die Durchführung eines Prozesses gegen einen republikflüchtigen ehemaligen Offizier der Deutschen Grenzpolizei wegen Spionagetätigkeit“. In dem dreiseitigen Papier heißt es: „Das Verfahren ist geeignet, aus erzieherischen Gründen gegen Smolka die Todesstrafe zu verhängen.“Stasi-Minister Erich Mielke zeichnet den Vorschlag kurz und bündig ab: „einverstanden Mielke“. In den folgenden Wochen befassen sich auch der für Rechtsund Sicherheitsfragen zuständige SED-Sekretär Erich Honecker sowie Justizministerin Hilde Benjamin mit dem Fall. Am 25. April geht der Staatsanwaltschaft Erfurt eine kurze, gleichwohl unmissverständliche Ansage zu. „Verfahren gegen Smolka. Rücksprache Benjamin – Honecker. In diesem Verfahren ist Todesstrafe beschlossen.“
Der Prozess am Erfurter Bezirksgericht beginnt am Folgetag. Nach sechs Verhandlungstagen fällt das Urteil am 5. Mai 1960 wunschgemäß. Das Erfurter Bezirksgericht verurteilt Manfred Smolka als Spion zum Tode.
Wer war dieser ehemalige Grenzoffizier wirklich? Was hat er sich zu Schulden kommen lassen, dass sich einige der mächtigsten DDR-Funktionäre derart in seinen Prozess einmischten?
Die Geschichte dieses Justizmordes beginnt 1948, damals, als Manfred Smolka zur Deutschen Grenzpolizei geht. Ihre Angehörigen sind bewaffnet, die Einheiten sind militärisch organisiert. Formell sind sie dem Ministerium für Staatssicherheit unterstellt. Die wichtigste Aufgabe der Grenzpolizei ist, die innerdeutsche Grenze zu überwachen. Wer unerlaubt die Grenze übertritt oder dies versucht, soll verhaftet werden. DDR-Bürger, die sich in einem etwa 5 Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze aufhalten, müssen Passierscheine vorlegen können.
Manfred Smolka macht schnell Karriere. Er bringt es bis zum Oberleutnant, er wird Chef einer Grenzkompanie in Titschendorf (heutiger Saale-Orla-Kreis). „Innerhalb der Polizei wurde ich vertraut gemacht mit der Politik der Partei und der Regierung. Ich wusste, wohin der Weg führt. Ich wusste, was für Ziele und Aufgaben man sich gestellt hatte. Ich habe Begreifen gelernt, ich habe meinen Dienst versehen.“Smolka tritt sogar in die SED ein, er ist aber offenbar kein allzu überzeugter Genosse. Er habe nur „recht und schlecht an den Versammlungen teilgenommen“, heißt es in einer Beurteilung. „Zur Partei selbst kann kein gutes Verhältnis bestanden haben.“
Dann kommt der 17. Juni 1958. Es ist der fünfte Jahrestag des Volksaufstandes.
Die DDR-Machthaber befürchten Provokationen an der Grenze. Sie verschärfen die Sicherheitsbestimmungen. Dazu gehört, dass nicht in Grenznähe gearbeitet werden darf.
Manfred Smolka setzt sich darüber hinweg. Er kennt seine Bauern gut; er lässt sie auf ihre Felder. Das bleibt nicht unbemerkt. Die übergeordnete Dienststelle führt Kontrollen durch. Ein Kommandeur stellt Smolka zur Rede, er macht ihm scharfe Vorwürfe. Der Kritisierte reagiert impulsiv. Er reißt sich die Uniformjacke vom Leib, er wirft sie seinem Vorgesetzten vor die Füße.
Zwei Jahre später, vor Gericht, wird Manfred Smolka „eine schwere dienstliche Verfehlung“einräumen. „Ich bereue das. Ich habe das auch schon immer bereut, dass ich mich damals in dieser Weise dem Vorgesetzten gegenüber benommen habe. Denn ich war doch mit Lust und Liebe Soldat. Soldat, wie man sagt, von ganzem Herzen.“
Nach jenem 17. Juni 1958 bekommt Smolka eine Strafe nach der anderen aufgebrummt. Er muss in Arrest. Er wird zum Feldwebel degradiert. Er wird ins Hin-