„Wer Rentner quält, wird nicht gewählt“
Bei der ersten Thüringer Info-veranstaltung des Vereins der Direktversicherungsgeschädigten wird Tacheles gesprochen
Oberweimar. Trotz Urlaubszeit platzen Gaststube und Biergarten des „Ilmschlösschens“in Oberweimar an diesem Nachmittag förmlich aus den Nähten. Der Grund: Der Verein der Direktversicherungsgeschädigten, Regionalgruppe Sachsen/thüringen, hat erstmals Thüringer Betroffene zu einer Informationsveranstaltung eingeladen.
Bereits anderthalb Stunden vor Beginn sichern sich die ersten Teilnehmer einen Platz, gut eine Stunde später müssen neue Teilnehmerlisten und Aufnahmeanträge gedruckt werden. Denn mehr als 130 Interessierte aus allen Teilen Thüringens, von Eisenach bis Gera, sind gekommen – und machen deutlich: Mit uns nicht. Der Volkszorn brodelt. Er brodelt sehr vernehmlich ob der Tatsache, dass alle, die eine betriebliche Altersvorsorge abgeschlossen haben, vom Tag der Auszahlung an 120 Monate lang Beiträge zur Krankenund Pflegeversicherung auf die Auszahlsumme entrichten müssen – und zwar sowohl den Arbeitnehmer- als auch den Arbeitgeberanteil.
Damit büßen gesetzlich Versicherte knapp 19 Prozent der angesparten Summe ein. Das erfahren bisher viele jedoch erst, wenn die Zahlungsaufforderung ihrer Krankenkasse eintrudelt.
Wem diese Regelung zu verdanken ist, das erklärt Jürgen Heinzmann von der Regionalgruppe Sachsen zum Auftakt zunächst im Biergarten, dann noch einmal in der Gaststube: dem im November 2003 beschlossenen Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG). Weil die Sozialkassen damals leer waren, beschloss Rot-grün mit den Stimmen der Union, vom 1. Januar 2004 an alle, die eine betriebliche Altersvorsorge abgeschlossen haben, zehn Jahre lang zur Kasse zu bitten. Und zwar selbst jene, die aus ihrem bereits versteuerten und mit Abgaben belasteten Nettoeinkommen Vorsorge betrieben haben, als auch alle, die ihre Verträge vor 2004 unterschrieben haben.
Bundesweit sind nach Schätzungen des Vereins der Direktversicherungsgeschädigten circa 6,5 Millionen Bürger betroffen, die nun alle nach und nach in den zweifelhaften Genuss der Doppel- oder Mehrfachverbei
Was ist eine Direktversicherung?
Eine Direktversicherung ist eine Form der betrieblichen Altersvorsorge. Sie findet sich vor allem in kleinen und mittleren Betrieben. Den Vertrag können Arbeitnehmer bei einem Arbeitgeberwechsel übertragen oder selber fortführen. Ihre ange
tragung kommen. Je mehr es werden, die das bemerken, umso mehr Zulauf bekommt der 2015 gegründete Verein.: In Sachsen, berichtet Jürgen Heinzmann, sei die Regionalgruppe am 7. Juni 2018 von sieben Betroffenen ins Leben gerufen worden. Im Oktober 2018 habe sie bereits 60 Mitglieder gezählt, inzwischen seien es 200. Und es werden immer mehr. Deshalb werde jetzt sparte Altersvorsorge verfällt nicht.
Mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz vom November 2003 wurde verfügt, dass vom 1. Januar 2004 alle, die eine Direktversicherung als betriebliche Altersvorsorge abge
noch eine zweite Regionalgruppe in Chemnitz gegründet. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich mit 72 Jahren noch in einem Verein für mein Recht einsetzen muss“, sagt Heinzmann. Schließlich habe er in seinem Arbeitsleben eigentlich genug geleistet.
Helmut Kalb aus Oberweimar, Initiator dieses ersten Thüringer Treffens, hat vom ersten schlossen haben, vom Tag der Auszahlung an 120 Monate den vollen Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung auf die angesparte Summe entrichten müssen. Diese Regelung gilt auch für alle vor 2004 unter anderen Konditionen abgeschlosse
Tag an in der Regionalgruppe Sachsen mitgearbeitet. Nun will er auch hierzulande eine Gruppe auf die Beine stellen, um der Politik Dampf zu machen.
Kalb wusste durch zahlreiche Anrufe und E-mails nach einer ersten Veröffentlichung in dieser Zeitung, wie groß das Interesse an dem Thema ist. Doch an diesem Nachmittag fühlt er sich dann fast ein bisschen übernen Verträge.
Die FDP hatte sich bereits 2004 für eine Änderung dieses Gesetzes stark gemacht, war aber gescheitert. Wieder aufs Tapet gebracht wurde das Thema dann vor drei Jahren von der Fraktion der Linken.
rannt: So schnell hat er kein Mikro auftreiben können, so dass die Veranstaltung in Saal und Biergarten gesplittet werden und jeder Teilnehmer mächtig die Ohren spitzen muss, um über den Verkehrslärm hinweg etwas mitzubekommen.
Jürgen Heinzmann berichtet, dass der Verein bereits zwei Briefe – „per Einschreiben mit Rückschein“– an Cdu-chefin Annegret Kramp-karrenbauer gesandt hat. Auf den ersten sei die nichtssagende Antwort eines Mitarbeiters eingetroffen, auf den zweiten erhielt der Verein gar keine Rückmeldung.
Dabei hatte die CDU auf ihrem Parteitag im Dezember 2018 auf Antrag von Carsten Linnemann den Beschluss gefasst, im ersten Quartal 2019 eine Lösung für die Betroffenen zu schaffen. Passiert ist indes: nichts. Das aber führt aus Sicht des Vereins der Direktversicherungsgeschädigten zu Politikverdrossenheit. Die Betroffenen fühlten sich nach Strich und Faden belogen und betrogen. Heinzmann hat dafür einen griffigen Slogan parat: „Wer Rentner quält, wird von diesen nicht gewählt.“Udo Gärtner, ebenfalls Regionalgruppe Sachsen, spricht über die Chancen der Betroffenen, sich zu wehren: „Sie können gegen den Bescheid Ihrer Krankenkasse Widerspruch einlegen und anschließend, wenn dieser abgelehnt wurde, vor das Sozial- und das Landessozialgericht ziehen“. Aber: Die Erfolgsaussichten sind gleich null.
Allenfalls ein aktuelles Urteil des Landessozialgerichts in Hamm, wo ein früherer Stadtwerke-mitarbeiter geklagt und jüngst recht bekommen hatte, mache ein wenig Hoffnung. Begründung des Gerichts: Der Mann sei über die Änderung nicht informiert worden, dabei habe ein Betrieb eine Informationspflicht. Allerdings sei in diesem Falle eine Revision möglich, schränkt Udo Gärtner die Hoffnung ein, sich auf dieses Urteil berufen zu können.
Der Sachse appelliert an die Teilnehmer, sich – gerade jetzt vor Wahlen – direkt an Abgeordnete aus ihrer Region zu wenden und von ihnen eine Regelung zugunsten der Direktversicherten einzufordern. „Die Abgeordneten sind schließlich für uns da und nicht wir für sie“, ergänzt Heinzmann unter Beifall. Geld zur Entlastung der gesetzlich Versicherten gebe es, rechnet er vor: Auf 21 Milliarden Euro bezifferten sich derzeit die Reserven der Krankenkassen. Dabei sei ein Finanzpolster von 5,25 Milliarden völlig ausreichend. 8,7 bis 11 Milliarden Euro würden benötigt, um die Direktversicherten zu entlasten – ohne den Steuerzahler zu belasten.
Am Stausee zu viel
privatisiert
Zum Beitrag „Heimspiel Mohring“(15. August, Seite 2):
Es ist anerkennenswert, dass Mike Mohring Kontakt zu seinen Wahlkreisen aufnimmt. Typisch CDU, allerdings, dass er den Golfklub der Gutbetuchten besucht und ihre Forderungen an die Politik wahrnimmt. Ich vermisse sehr einen Besuch in Hohenfelden. Dort hätte Herr Mohring erfahren können, wie in kürzester Zeit aus einem Schwimmbad für alle ein unbewachter Badestrand mit unbewachtem Badegewässer werden konnte. Der Fkk-strand fiel weg. Dafür stehen Einfamilienhäuser ab der Therme am See.
Der Zugang zum See ist für die Öffentlichkeit gesperrt und abgesichert durch einen hohen Zaun und Bewachungsanlage. Wie kann es sein, dass dieses Ufer in unseren Zeiten dermaßen verschandelt wurde? Dazu kommt das Gelände auf der anderen Seite des Sees. Früher gab es dort ein Café. Der See stand jedem offen. Jetzt ist das Ufer ist zum Teil privatisiert. Dringend nötig wäre es, das Seeufer auf beiden Seiten für Publikum zu öffnen.
Monika Utermann, Weimar
Keine Pauschalkritik
an Dachdeckern
Zum Leserbrief „Dachdecker angegriffen“(13. August, S.4):
An keiner Stelle in meinem Leserbrief „Mangelndes Wissen der Regierung“, auf den der Brief „Dachdecker angegriffen“reagiert, ist die Rede von Dachdeckern in der Mehrzahl, sondern nur von einem Dachdecker und dazu noch von einem ganz bestimmten. An keiner Stelle in meinem Beitrag werden alle Dachdecker als unfähig hingestellt. Selbst Herrn Honecker habe ich nicht die Fähigkeit, ein Dach zu decken oder Schäden zu reparieren, abgesprochen. Einzig und allein ging es darum, dass damals und besonders auch heute Posten mit Leuten besetzt werden, denen es an optimalen Fachkenntnissen bei der speziellen Amtsausübung mangelt.
Eberhard Dürselen, Weimar