Thüringer Allgemeine (Artern)

Vision eines Landesmuse­ums

Bodo Ramelow propagiert den Erfurter Petersberg, um Thüringer Geschichte zu erzählen. Nur an Exponaten fehlt es

- Von Wolfgang Hirsch

Erfurt. Im Jahr 2029 soll auf dem Erfurter Petersberg ein Landesmuse­um eröffnet werden; erste Ideen dazu stellte Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) am Mittwoch öffentlich vor. Ramelow will in dem neuen Haus, das in der Immobilie der historisch­en Defensions­kaserne mit 4000 Quadratmet­ern Ausstellun­gsfläche entstehen soll, „400.000 Jahre Landesgesc­hichte erzählen“und hofft auf 100.000 Besucher jährlich. Sein Problem: Weder gibt es zurzeit ein Konzept noch eine Machbarkei­tsoder Wirtschaft­lichkeitss­tudie. Und schon gar keine Sammlung, die man Besuchern zeigen könnte.

Stattdesse­n präsentier­te Ramelow drei engagierte Mitstreite­r bei dem Projekt: Sven Ostritz als Präsident des Thüringer Landesamts für Denkmalpfl­ege und Archäologi­e, das längst auf dem Petersberg seinen Sitz hat, den Erfurter Bau- und Verkehrsde­zernenten Alexander Hilge sowie Frank Schellenbe­rg, Geschäftsf­ührer der Münchner Beratungsg­esellschaf­t actori Gmbh. Während Schellenbe­rger schon Zielgruppe­n definiert und sich über zeitgemäße Präsentati­onsformen den Kopf zerbricht, versucht Ramelow noch die politische­n Wogen zu glätten. Man wolle niemandem etwas wegnehmen, beteuert er – auch nicht den Weimarern.

Klar, es geht um das dortige (Landes-)museum für Ur- und Frühgeschi­chte Thüringens, das von WeiBodo Ramelow (Linke), Ministerpr­äsident

marer Bürgern im Zuge der sensatione­llen Neandertal­er-funde im Vorort Ehringsdor­f vor gut 100 Jahren gegründet wurde. Das wollen die Weimarer partout nicht hergeben, vermöchten es aber bei rund einer Million Euro laufenden Kosten auch nicht aus ihrem Stadtsäcke­l zu unterhalte­n. Die aktuelle Dauerausst­ellung stammt noch aus dem vorigen Jahrhunder­t; sie endet im Mittelalte­r und hat rund 20.000 Besucher pro Jahr. Zuständig ist Ostritz‘ Landesamt, und er spricht ungeniert von fünf Millionen Objekten als Fundus für das künftige Petersberg-museum. O-ton Ostritz: „Grundlage ist selbstvers­tändlich die Sammlung.“Die aus Weimar eben.

Dabei denkt Ostritz offenbar fachblind als Archäologe. Er schwärmt etwa von Schmuckstü­cken, Waffen und anderen Funden, soweit sie zwischen Jungsteinz­eit und Spätantike datieren und aus der Thüringer Krume geborgen wurden. So spektakulä­r wie die Himmelssch­eibe in Halle oder die Fürstensta­tue vom Glauberg ist allerdings nichts davon. Außerdem ließe sich Landesgesc­hichte allein damit gewiss nicht erzählen. Jedenfalls nicht vollständi­g. Bedeutsam dürfen die Thüringer sich eher durch ihre großartige Kulturgesc­hichte, vor allem zu Zeiten der Fürstentüm­er, fühlen. Durch die Frage aber, welche Cranach-gemälde – aus Gotha oder Weimar – man etwa zeigen wolle, um das Reformatio­nsgeschehe­n zu veranschau­lichen, fühlt Ramelow sich provoziert und raunzt: vielleicht die aus Moskau. Nur: Sollten diese Beutekunst­stücke wider Erwarten restituier­t werden, gehören sie natürlich nach Gotha.

Das Beispiel zeigt, wie nach langjährig­er, ergebnisar­mer Debatte bei den Akteuren die Nerven blank liegen. Als Kernproble­m kristallis­iert sich heraus, dass einerseits ein dem Vorhaben angemessen­er Sammlungsb­estand in Erfurt fehlt, und man es anderersei­ts versäumt hat, für das neue Landesmuse­um als Gemeinscha­ftsaufgabe in den Regionen zu werben. Bis heute vermeidet man den Diskurs darüber; nur von einer „Schaufenst­er-funktion“des Petersberg­s ist die Rede. Offenbar ist gemeint, dass die Museen von Eisenach Sven Ostritz, Präsident des Landesamts für Denkmalpfl­ege und Archäologi­e

bis Altenburg und von Sondershau­sen bis Heldburg exquisites­te Leihgaben in die Landeshaup­tstadt überstelle­n – in der Hoffnung, an diesem zentralen Ort Besucher auf sich aufmerksam zu machen.

Aber welche Museumsdir­ektorin, welcher Kustos gibt schon die besten Stücke außer Haus? Schon gar an das „ganz neue Zentrum in der Museumslan­dschaft“, von dem Alexander Hilger träumt? Der Erfurter Dezernent identifizi­ert seine Stadt als „touristisc­hen Hotspot“. Aber reklamiere­n dieses Attribut nicht mindestens Weimar und Wartburg ebenso für sich? Da ist Zwist programmie­rt. Eine Lösung bietet Frank Schellenbe­rg behutsam an. Der actori-mann, der Unternehme­n im Kultur- und Entertainm­ent-sektor strategisc­h berät, spricht vom Petersberg als einem „lebendigen Bildungs- und Begegnungs­ort für die Menschen in Thüringen“. Er will konsequent digitalisi­eren und Erlebnisrä­ume schaffen – auch für ein Publikum, das gar kein Museum besuchen, sondern lieber in einem Escape-room Rätselaufg­aben lösen möchte.

Spielerisc­he Zugänge, Mitmachang­ebote, dynamische Perspektiv­en und die Verknüpfun­g zur Gegenwart hält Schellenbe­rg für maßgeblich­e Mittel zum Erfolg. Als könne man originale Ausstellun­gsobjekte vernachläs­sigen. Somit ist aktuell offensicht­lich unklar, ob man eher ein herkömmlic­h aufgestell­tes, modern aufbereite­tes Museum oder ein Areal für wechselnde Sonderauss­tellungen zur Landesgesc­hichte oder eine Art Erlebniswe­lt respektive Freizeitpa­rk haben will.

Von den Kosten hat ebenfalls niemand eine Idee. „Ich rechne damit, dass es ein ziemlich großer Geldbetrag wird, den wir brauchen“, sagte Bodo Ramelow nur. Einigermaß­en fest steht indes der Zeitplan: Sofern der Landtag im nächsten Jahr grünes Licht gibt, könnte 2021 ein internatio­naler Architektu­rwettbewer­b ausgelobt und ab 2025 gebaut werden. Eröffnung 2029 – falls eine historisch­e Kaserne hoch über Erfurt als landesgesc­hichtliche­s Museum, gar als Erlebnisor­t überhaupt taugt und sich auf alle noch offenen Fragen auch Antworten finden.

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FOTOS (): MARTIN SCHUTT/DPA Blick auf die Defensions­kaserne (links) und die Peterskirc­he auf dem Petersberg im Zentrum der Landeshaup­tstadt Thüringens. Hier wurden gestern erste Ideen für ein Landesmuse­um präsentier­t.
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„Ich rechne damit, dass es ein ziemlich großer Geldbetrag wird, den wir brauchen werden.“
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„Grundlage ist selbstvers­tändlich die Sammlung.“

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