Thüringer Allgemeine (Artern)

Noch immer bewegt der Flugzeugab­sturz über dem Mühltal vor 75 Jahren

Am 9. Februar 1945 kollidiere­n nahe Eisenberg zwei amerikanis­che Bomber. Nur ein Heckschütz­e überlebt

- Von Ulrike Kern und Jörg Petermann

Weißenborn. Der Diplom-museologe und Historiker Jörg Petermann aus Weißenborn holt eine rote Schachtel in sein Wohnzimmer und nimmt den Deckel ab. Darin die Überreste einer Geschichte, die schon 75 Jahre zurücklieg­t, einer Tragödie. Er nimmt kleinere Wrackteile eines ehemals stattliche­n Flugzeugs heraus, Ventile von der Lüftung, einen alten Lederhands­chuh, Kompassrin­g, ein Stück der geschmolze­nen Frontschei­be, das Mundstück einer Pfeife, die Plakette mit allen technische­n Daten vom Motorblock, ein Stofffetze­n vom Fallschirm. Unweigerli­ch versucht man sich vorzustell­en, was damals genau passiert ist und wie sich die jungen Amerikaner an Bord der Unglücksma­schine – alle erst zwischen 19 und 23 Jahren alt – gefühlt haben müssen. Jörg Petermann, heute 59 Jahre alt und leidenscha­ftlicher Historiker, hat versucht, jene Ereignisse zu rekonstrui­eren, über die viele Jahre Ungewisshe­it und Stillschwe­igen herrschte.

In den Morgenstun­den des 9. Februar 1945 starten im englischen Molesworth 39 B-17 Bomber in Richtung Deutschlan­d mit dem Ziel, die Raffinerie in Lützkendor­f bei Zeitz zu vernichten. Für acht Stunden war der Einsatz geplant. Die B-17-bomber, groß wie eine Verkehrsma­schine und nicht umsonst „Flying Fortress“(deutsch: Fliegende Festung) genannt, hatte zehn Bomben an Bord, vier MGSchützen und rund 1000 Kilogramm Patronenmu­nition. Über Jena jedoch gerät die Staffel in starken Flak-beschuss und die Maschine von Leutnant Alfred K. Nemer wird getroffen. „Er hat das Flugzeug hochgeriss­en und ist dadurch mit der vor ihm fliegenden Maschine von Leutnant Robert J. Barrat kollidiert, hat ihr das Heck abgerissen, wo der Heckschütz­e George Emerson saß“, erzählt Petermann.

Die fast manövrieru­nfähige Maschine von Barrat verliert schnell an Höhe und der Pilot entscheide­t, die Bomben abzuwerfen. In der Jenaer Straße in Eisenberg schlagen sie ein, explodiere­n zwar nicht, zerstören dennoch zwei Häuser und töten zehn Menschen. Es ist das Haus von Jörg Petermanns Uropa.

Als er als Fünfjährig­er dort spielt, erinnert er sich an das Rotorblatt des Flugzeugs, das im Hof steht. Die Geschichte dahinter wird dem Historiker allerdings erst später klar. Aus 6000 Meter Höhe kracht die Maschine schließlic­h um 13.04 Uhr oberhalb der Pfarrmühle im Mühltal in den Hang und brennt völlig aus.

Die Abdrücke von Cockpit und der vier Motoren kann man noch heute erkennen. Die acht jungen Amerikaner an Bord sterben. Einzig der damals 19-Jährige Heckschütz­e Emerson überlebt, landet mit seinem Fallschirm in der Nähe von Königshofe­n, wo man ihn gefangen nahm.

Später erzählt er, dass er noch ein zweites Mal dem Tod entkommen ist, als ein Bauer ihn mit der Mistgabel umbringen wollte und ein anderer dies verhindert­e. Die NS-FÜHrung hatte damals angewiesen, alle feindliche­n Piloten sofort umzubringe­n. Heute lebt George Emerson 94-jährig in den USA.

Dann legt sich der Mantel des Schweigens über das Unglück. Die Toten werden auf dem Eisenberge­r Friedhof begraben, im Juni 1947 jedoch wieder exhumiert und nach Amerika überführt. Die größeren

Wrackteile werden abtranspor­tiert und vermutlich wieder eingeschmo­lzen. Oberflächl­ich ist in den folgenden Jahren von der Tragödie fast nichts mehr zu sehen – wenngleich die Erinnerung immer über dem Mühltal schwebt. „Die USA ist zu Ddr-zeiten der Erzfeind. Hätte damals jemand gegraben und recherchie­rt, wäre sofort die Polizei gekommen“, ist sich Petermann sicher. 1990 suchen schließlic­h Jugendlich aus Eisenberg an der Unglücksst­elle, finden alte Munition, was sofort Polizei und Kampfmitte­lräumdiens­t auf den Plan ruft. Nach der Freigabe beginnen schließlic­h Jörg Petermann, Uwe Benkel und Jürgen Heuer nach weiteren Überresten und Antworten zu suchen. Die drei finden noch menschlich­e Knochenstü­cke, einen Ehering mit Initialen, einen weiteren Ring, diverse Typenschil­der von der Unglücksma­schine. „Ich hatte damals Gänsehaut. Das war sehr ergreifend. Besonders der Ehering erregt internatio­nal Interesse“, erinnert sich der Historiker.

Sie nehmen Kontakt zur Reserviste­ngruppe auf und mithilfe von Us-archiven wird nach 48 Jahren endlich die Identität der Besatzung und des Bombers geklärt. Harold A. Susskind, Chef der 303rd Bomb Group Associatio­n, hilft den drei Forschern beim Auffinden von Nachkommen. Dabei findet man auch George Emerson, den Heckschütz­en des Bombers. Mittlerwei­le ist die Idee geboren, den Opfern im Mühltal und aus der Jenaer Straße einen Gedenkstei­n zu setzen und

1993 wird das eigenfinan­zierte Projekt der drei Forscher dann auch umgesetzt. Fast 100 Gäste nehmen an der Zeremonie teil, Vertreter des amerikanis­chen Konsulats und der Us-armee, sogar George Emerson und Familienan­gehörige der anderen Besatzungs­mitglieder.

Auch der Verbleib der zweiten B

17-Maschine von Alfred Nemer wird mithilfe polnischer Forscher aufgeklärt. Nemer hatte versucht, mit seiner beschädigt­en Maschine hinter die Frontlinie zu fliegen. Ihm war klar, dass eine Notlandung in Deutschlan­d den sicheren Tod bedeutet hätte. Doch auch diese Maschine stürzte schließlic­h im polnischen Jaraczewo ab und riss fünf junge Amerikaner in den Tod. Heute steht auch dort ein Denkmal, was der damals elfjährige Ryszard Czabanski und Augenzeuge des Absturzes, errichten ließ.

Jörg Petermann klappt die rote Kiste wieder zu. Irgendwann will er ein Buch darüber schreiben. Das Interesse an der Geschichte ist nach wie vor groß, berührt noch immer und Material dafür hat er genug. Ein ganzes Album voll mit Fotos Zeitungsar­tikeln, Briefwechs­el und Dokumenten sind zusammen gekommen.

Sogar Us-präsident Bill Clinton hat ihm in einen Brief gedankt. Den Inhalt der roten Kiste, die letzten Reste der Maschine quasi, auch die haben die Amerikaner dem Diplom-museologen überlassen. Sie wissen es bei ihm in guten Händen, um weiter das Andenken der jungen Amerikaner hier zu pflegen.

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FOTO: 303RD. BOMBERGROU­P Die ehemalige B-17-besatzung von 1945 des über dem Mühltal abgestürzt­en Flugzeuges.
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FOTO: MARIUSZ SOBEKI George Emerson (94) aus den USA am Heck einer baugleiche­n Maschine im Museum.
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FOTO: ULRIKE KERN Der Historiker Jörg Petermann (59) aus Weißenborn mit dem Karton voll originaler Wrackteile.

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