Von der Schatzkammer zur Speisekammer
Einst war Cleveland die fünftgrößte Stadt der USA – und eine der reichsten. In vielen ehemaligen Bankgebäuden sind heute Restaurants untergebracht. Eine kulinarische Tagesreise
Frühstück im Heinen’s & The Vault, Downtown
An der Ecke von Euclid Avenue und East 9th Street, wenige Fußminuten vom zentralen Public Square sitzt eines der schönsten Gebäude der Stadt. Die im Jahr 1908 erbaute Rotunde der Bank Cleveland Trust wurde von George B. Post entworfen und ist eine der letzten Arbeiten des Architekten, dessen neoklassizistische Bauten vor allem das New York des späten 19. Jahrhunderts formten – etwa mit dem bekannten Börsengebäude an der Wall Street.
Nach Schließung und Verkauf Mitte der 1990er-jahre stand das einstmals drittgrößte Bankgebäude der USA jahrelang leer, ehe 2015 eine Filiale von Heinen’s Fine Foods einzog und Downtown Cleveland einen ganz eigenen Luxus schenkte: einen Supermarkt. Unter dem fast 30 Meter hohen Dom gibt es heute einen Food Court, in dem man vorbereitete Schwerkost-evergreens wie doppelt gebackene Bacon-&-cheddar-kartoffeln oder gar nicht kleine Mini-meatballs ebenso findet wie einen hippen Stand mit Olivenöl zum Selbstabfüllen. Es gibt einen Bäcker und eine gut versteckte Espressobar direkt dahinter.
Im Keller des Gebäudes liegt die Bar The Vault („Tresor“), deren Signature-cocktails Namen tragen wie Calvary’s Colada (nach dem ersten Präsidenten von Cleveland Trust) oder Mosler’s Sazerac (nach der Firma, die die Safes ausstattete). Hinein kommt man übrigens nur über das Nachbargebäude: In dem brutalistischen Skyscraper, in dem heute ein Hotel untergebracht ist, saß lange Zeit die Verwaltung der Bank.
Mittagessen im Marble Room, Downtown
Nur ein paar Fußminuten durch die vergleichsweise fußgängerfreundliche Innenstadt liegt das schickste Restaurant der Stadt. Euclid Avenue trug um das Jahr 1880 herum den Beinamen „Millionaires’ Row“– zu der Zeit hatte Cleveland die höchste Konzentration an Millionären weltweit. Von deren glorreichen Villen stehen heute nur noch vier – deutlich weniger als die kolossalen Bankgebäude, in denen die Magnaten einst ihr Geld lagerten.
Im Garfield Building unter der Hausnummer 623 verbirgt sich das vielleicht mächtigste Exemplar, ein wahrer Palast des Protzes. Ende des 19. Jahrhunderts als Clevelands erster Wolkenkratzer mit Stahlskelett errichtet, waren es Guardian Savings and Trust, die der Bank anno 1914 ihre einzigartige Haupthalle schenkten – komplett in Marmor ausgekleidet, flankiert von gigantischen korinthischen Säulen und so detailreich verziert, dass man vor lauter Staunen vergessen kann, dass man eigentlich zum Essen hier ist.
Seit dem Jahr 2017 ist hier der Marble Room zu Hause, eine Kombination aus Steak-restaurant und Sushi-bar. Ergo sind es die sogenannten Surf-&-turf-gerichte, also Fleisch und Fisch oder Meeresfrüchte auf demselben Teller, in denen die Küche die Muskeln spielen lässt – eine Sushi-rolle mit Wagyu-rind Tataki und Hummer etwa, oder Brochetten aus Strip-steak und Shrimps, die man in weiße Mango-bbq-soße dippen kann. Natürlich kann man hier auch zu Abend essen – doch die Reservierungen sind so begehrt, dass es zur Mittagszeit schlicht viel einfacher ist, überhaupt noch einen Platz zu bekommen.
Abendessen im Dante’s, Tremont
Auch der bekannteste Gastronom der Stadt hat sich in einem historischen Bankgebäude eingerichtet. Das Dante von Dante Boccuzzi, der einst im weltberühmten Nobu in Mailand kochte, ist jedem in Cleveland ein Begriff. Das liegt zunächst an der Küche des im hippen Stadtteil Tremont gelegenen Italieners: Gerichte wie Polenta aus Mascarpone, Parmesan und Gruyère oder das Wildpilzgratin sind fantasievoll und auf höchstem Niveau zubereitet. Auch die Räumlichkeiten sind eine Show: So dient der wuchtige Safe im hinteren Bereich des einst von der Bank Third Federal Savings and Loan betriebenen Gebäudes nicht einfach als Weinkeller, sondern man kann sich selbst hineinsetzen – sofern man den populären Platz bekommt. Lässig ist aber auch die Nische direkt hinter der Bar, in deren Tresen Elemente aus dem Tresorraum im Keller integriert wurden. An den Wänden hängen derweil Kunstwerke lokaler Künstler und im Keller ist übrigens mit dem Coda einer der raren Live-clubs von Tremont zu Hause.
Abendessen im Luxe, Shoreway
Dem unscheinbaren, anno 1910 als City Savings Bank eröffneten Gebäude an der Detroit Avenue sieht man seine einstige Funktion von außen nicht an. Doch der frei stehende Stahltürrahmen im hinteren Bereich gibt einen ersten Hinweis und die Weine des Hauses sind in einem alten Safe gelagert, dessen tonnenschwere Tür glücklicherweise offensteht.
Das Viertel Shoreway im Westen der Stadt zählt historisch zu den vielfältigsten der Einwandererstadt Cleveland, und so wie jedes Diaspora-grüppchen seine Kirche im Kiez hatte, gab es auch eine dazugehörige Nationalbank. Hier waren es neben Rumänen vor allem Italiener, weswegen das Luxe auf seiner Karte Us-klassiker und mediterrane Standards zu kolossalen Kalorienbomben kombiniert – etwa als Carbonara mit Rauchpfeffer-bacon oder als Schoko-panna-cotta mit angekokelten Marshmallow-flocken. Highlight ist die in Trüffelöl getränkte Wildpilz-pizza mit Ziegenkäse und Rosmarin-sahnesoße, die hier italienischer als amerikanisch aus dem Ofen kommt, also ohne zentimeterdicken Boden.
Die Karte wird saisonal aktualisiert, „also zweimal im Jahr“, wie Manager Jeffrey Dix sagt, um lachend hinzuzufügen: „Wir haben nur zwei Jahreszeiten – das hier ist immer noch Cleveland.“