Kanzlerin Gnadenlos
Zurück in Berlin greift Angela Merkel durch und erfüllt die Kernforderung des Koalitionspartners
Vorhang
Berlin. Der Tag, als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Heft des Handelns wieder an sich reißt, beginnt um sechs Uhr mit ihrer Landung in Berlin-tegel. Trotz der Strapazen einer langen Afrika-reise ist an ein normales Wochenende nicht zu denken. Am Samstagmorgen teilt sie dem Ostbeauftragten der Bundesregierung, Christian Hirte, mit, dass er nicht länger im Amt bleiben kann.
Nach dem Gespräch mit Merkel weiß Hirte, was zu tun ist: Er bittet „ihrer Anregung folgend“um seine Entlassung. Per Twitter schildert er die Umstände seines Rauswurfs. Hirte will gar nicht erst so tun, als sei er Herr des Verfahrens gewesen. Das war Merkel.
SPD traut Cdu-chefin AKK kein Krisenmanagement zu
Hirtes Ablösung war mit dem CDULandeschef Mike Mohring und mit der Bundesvorsitzenden Annegret Kramp-karrenbauer abgesprochen. Für 13 Uhr hat sich dann die SPD
Spitze in der Regierungszentrale angesagt. Das Treffen ist der SPD wichtig. Man wolle sich „in die Augen schauen“.
Zuvor bespricht sich Merkel mit den Parteichefs der Union, mit ihrer Nachfolgerin Kramp-karrenbauer und CSU-MANN Markus Söder. Auch Merkels Amtschef Helge Braun ist dabei.
Was in Thüringen passiert ist, das Zusammenspiel von CDU, FDP und AFD, hat die Union in Berlin und München schockiert. „Eine schmutzige Sache“, sinniert Innenminister Horst Seehofer (CSU). „Unverzeihlich“, hatte Merkel in Südafrika gesagt, für ihre Verhältnisse: ungewöhnlich unmissverständlich.
Hirtes Rauswurf ist das Zeichen, auf das die SPD gewartet hatte. „Für uns wäre sein Verbleib im Amt nicht tragbar gewesen“, sagt Spd-chefin Saskia Esken. Es blieben aber „noch viele schwerwiegende Fragen an die CDU“. Die Idee eines Koalitionsausschusses stammt von Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und war anfangs als Signal dafür gedacht, dass die Chaostage in Thüringen nicht zur Zerreißprobe für die große Koalition in Berlin werden dürften.
Gedacht hatte man in erster Linie an Kramp-karrenbauer. Drei Tage später muss Spd-generalsekretär Lars Klingbeil Samstagfrüh allerdings feststellen, dass es „noch keine nennenswerten Ergebnisse gibt“. AKK konnte ihren Thüringer Verband nicht auf Linie bringen. „Sie hat das Chaos noch größer gemacht“, ätzt Klingbeil. Die SPD glaubt, dass es nun an Merkel sei, für Ordnung zu sorgen. Über AKK macht in der SPD das verächtliche Wort von der „Königin ohne Land“die Runde.
Das Dilemma der CDU ist, dass sie gleichermaßen die AFD wie die Linke ablehnt. Ohne beide Parteien ist in Thüringen aber keine Mehrheit möglich. Der Freistaat ist womöglich nur ein Beispiel, vergleichbare Verhältnisse drohen nach der nächsten Wahl in Sachsen-anhalt 2021.
Lindner gibt zu, AFD unterschätzt zu haben
In dem Nachbarland von Thüringen war in den vergangenen Tagen bei Grünen und SPD die Sorge gewachsen, dass sich auch dort CDU und AFD annähern könnten. „Wer CDU oder FDP wählt, wird mit einer Regierungsbeteiligung der Afd-beteiligung aufwachen“, hatte der Grünen-landeschef Sebastian Striegel gewarnt. Er verwies unter anderem darauf, dass zwei Fraktionsvize der CDU im Magdeburger Landtag im vergangenen Jahr eine Denkschrift herausgegeben hatten, in dem sie eine Zusammenarbeit mit der AFD als Möglichkeit durchspielten.
In der Bundes-fdp hallen die Chaostage in Thüringen auch am Sonntag noch nach. FDP-CHEF Christian Lindner, der wegen seines Krisenmanagements schwer in die
Kritik geraten ist, der seinen Rücktritt angeboten und die Vertrauensfrage gestellt hatte, gesteht in der „Bild am Sonntag“: „Ich habe die Skrupellosigkeit der AFD im Umgang mit höchsten Staatsämtern unterschätzt.“
Auch bei der Klausur der Bundestagsfraktion der FDP in Berlin sind die Ereignisse in Erfurt das beherrschende Gesprächsthema. Wie soll sich die Partei in Thüringen weiter verhalten? Lindner macht einen neuen Vorschlag, der die Großgemengelage nicht einfacher macht. Er spricht sich für die Übergangszeit bis zu Neuwahlen in Thüringen für eine „unabhängige Persönlichkeit“im Ministerpräsidentenamt aus. Der Landtag solle, wie seinerzeit in Österreich eine unabhängige Persönlichkeit an die Spitze der Regierung wählen. Das halte er zur Beruhigung der politischen Situation für den besseren Weg.
Für die Partner in der großen Koalition in Berlin sind „baldige Neuwahlen“in Erfurt erforderlich, aus Gründen der „Legitimation der Politik“. Es gehe darum, „schnell für stabile und klare Verhältnisse in Thüringen zu sorgen“. Als nächster Schritt müsse „umgehend ein neuer Ministerpräsident im Landtag gewählt“werden.
Doch die Berliner Koalitionäre haben es nicht in der Hand. Im Freistaat beginnen in dieser Woche die Winterferien, eigentlich ruht der gesamte Parlamentsbetrieb. Den weiteren Fahrplan werden die Parteien in Thüringen untereinander vereinbaren. Für Merkel war es wichtig, dass ihre große Koalition die Zerreißprobe bestanden hat. Sie hat gehandelt.
„Sie hat das Chaos noch größer gemacht.“
Lars Klingbeil, Spd-generalsekretär über Cdu-chefin Kramp-karrenbauer