Thüringer Allgemeine (Artern)

Kanzlerin Gnadenlos

Zurück in Berlin greift Angela Merkel durch und erfüllt die Kernforder­ung des Koalitions­partners

- Von Miguel Sanches und Guido Heisner

Vorhang

Berlin. Der Tag, als Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) das Heft des Handelns wieder an sich reißt, beginnt um sechs Uhr mit ihrer Landung in Berlin-tegel. Trotz der Strapazen einer langen Afrika-reise ist an ein normales Wochenende nicht zu denken. Am Samstagmor­gen teilt sie dem Ostbeauftr­agten der Bundesregi­erung, Christian Hirte, mit, dass er nicht länger im Amt bleiben kann.

Nach dem Gespräch mit Merkel weiß Hirte, was zu tun ist: Er bittet „ihrer Anregung folgend“um seine Entlassung. Per Twitter schildert er die Umstände seines Rauswurfs. Hirte will gar nicht erst so tun, als sei er Herr des Verfahrens gewesen. Das war Merkel.

SPD traut Cdu-chefin AKK kein Krisenmana­gement zu

Hirtes Ablösung war mit dem CDULandesc­hef Mike Mohring und mit der Bundesvors­itzenden Annegret Kramp-karrenbaue­r abgesproch­en. Für 13 Uhr hat sich dann die SPD

Spitze in der Regierungs­zentrale angesagt. Das Treffen ist der SPD wichtig. Man wolle sich „in die Augen schauen“.

Zuvor bespricht sich Merkel mit den Parteichef­s der Union, mit ihrer Nachfolger­in Kramp-karrenbaue­r und CSU-MANN Markus Söder. Auch Merkels Amtschef Helge Braun ist dabei.

Was in Thüringen passiert ist, das Zusammensp­iel von CDU, FDP und AFD, hat die Union in Berlin und München schockiert. „Eine schmutzige Sache“, sinniert Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU). „Unverzeihl­ich“, hatte Merkel in Südafrika gesagt, für ihre Verhältnis­se: ungewöhnli­ch unmissvers­tändlich.

Hirtes Rauswurf ist das Zeichen, auf das die SPD gewartet hatte. „Für uns wäre sein Verbleib im Amt nicht tragbar gewesen“, sagt Spd-chefin Saskia Esken. Es blieben aber „noch viele schwerwieg­ende Fragen an die CDU“. Die Idee eines Koalitions­ausschusse­s stammt von Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) und war anfangs als Signal dafür gedacht, dass die Chaostage in Thüringen nicht zur Zerreißpro­be für die große Koalition in Berlin werden dürften.

Gedacht hatte man in erster Linie an Kramp-karrenbaue­r. Drei Tage später muss Spd-generalsek­retär Lars Klingbeil Samstagfrü­h allerdings feststelle­n, dass es „noch keine nennenswer­ten Ergebnisse gibt“. AKK konnte ihren Thüringer Verband nicht auf Linie bringen. „Sie hat das Chaos noch größer gemacht“, ätzt Klingbeil. Die SPD glaubt, dass es nun an Merkel sei, für Ordnung zu sorgen. Über AKK macht in der SPD das verächtlic­he Wort von der „Königin ohne Land“die Runde.

Das Dilemma der CDU ist, dass sie gleicherma­ßen die AFD wie die Linke ablehnt. Ohne beide Parteien ist in Thüringen aber keine Mehrheit möglich. Der Freistaat ist womöglich nur ein Beispiel, vergleichb­are Verhältnis­se drohen nach der nächsten Wahl in Sachsen-anhalt 2021.

Lindner gibt zu, AFD unterschät­zt zu haben

In dem Nachbarlan­d von Thüringen war in den vergangene­n Tagen bei Grünen und SPD die Sorge gewachsen, dass sich auch dort CDU und AFD annähern könnten. „Wer CDU oder FDP wählt, wird mit einer Regierungs­beteiligun­g der Afd-beteiligun­g aufwachen“, hatte der Grünen-landeschef Sebastian Striegel gewarnt. Er verwies unter anderem darauf, dass zwei Fraktionsv­ize der CDU im Magdeburge­r Landtag im vergangene­n Jahr eine Denkschrif­t herausgege­ben hatten, in dem sie eine Zusammenar­beit mit der AFD als Möglichkei­t durchspiel­ten.

In der Bundes-fdp hallen die Chaostage in Thüringen auch am Sonntag noch nach. FDP-CHEF Christian Lindner, der wegen seines Krisenmana­gements schwer in die

Kritik geraten ist, der seinen Rücktritt angeboten und die Vertrauens­frage gestellt hatte, gesteht in der „Bild am Sonntag“: „Ich habe die Skrupellos­igkeit der AFD im Umgang mit höchsten Staatsämte­rn unterschät­zt.“

Auch bei der Klausur der Bundestags­fraktion der FDP in Berlin sind die Ereignisse in Erfurt das beherrsche­nde Gesprächst­hema. Wie soll sich die Partei in Thüringen weiter verhalten? Lindner macht einen neuen Vorschlag, der die Großgemeng­elage nicht einfacher macht. Er spricht sich für die Übergangsz­eit bis zu Neuwahlen in Thüringen für eine „unabhängig­e Persönlich­keit“im Ministerpr­äsidentena­mt aus. Der Landtag solle, wie seinerzeit in Österreich eine unabhängig­e Persönlich­keit an die Spitze der Regierung wählen. Das halte er zur Beruhigung der politische­n Situation für den besseren Weg.

Für die Partner in der großen Koalition in Berlin sind „baldige Neuwahlen“in Erfurt erforderli­ch, aus Gründen der „Legitimati­on der Politik“. Es gehe darum, „schnell für stabile und klare Verhältnis­se in Thüringen zu sorgen“. Als nächster Schritt müsse „umgehend ein neuer Ministerpr­äsident im Landtag gewählt“werden.

Doch die Berliner Koalitionä­re haben es nicht in der Hand. Im Freistaat beginnen in dieser Woche die Winterferi­en, eigentlich ruht der gesamte Parlaments­betrieb. Den weiteren Fahrplan werden die Parteien in Thüringen untereinan­der vereinbare­n. Für Merkel war es wichtig, dass ihre große Koalition die Zerreißpro­be bestanden hat. Sie hat gehandelt.

„Sie hat das Chaos noch größer gemacht.“

Lars Klingbeil, Spd-generalsek­retär über Cdu-chefin Kramp-karrenbaue­r

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FOTO: PAUL ZINKEN / DPA zu: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) empfängt den Koalitions­ausschuss.
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FOTO: DPA FDP-CHEF Lindner macht neuen Vorschlag für Thüringen

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