Thüringer Allgemeine (Artern)

In einer fernen Zukunft

In Erfurt zeigt man Wagners „Lohengrin“in beeindruck­ender Optik, aber blutarm

- Von Jan Kreyßig

Erfurt. Ein monströses, archaisch wirkendes Raumschiff wie aus einem Roland-emmerich-film senkt sich auf Brabant. Es verdunkelt den Himmel, doch entsteigt ihm eine astrale Gestalt: Lohengrin, der überlichts­chnell auf die Erde geeilte außerirdis­che Erlöser, will in der Premiere der nach ihm benannten romantisch­en Oper Richard Wagners am vergangene­n Samstag im Theater Erfurt mindestens Elsa retten, wenn nicht gleich den ganzen Planeten.

Regisseur Hans-joachim Frey beamt die eigentlich im Mittelalte­r spielende Handlung in eine ferne Zukunft, in der der omnipräsen­te Opernchor als Klon-armee imperiale Shuttles und Avatar-helikopter zur Unterstütz­ung anfordern kann. In einer weitgehend requisiten­freien Kulisse beherrscht eine große Freitreppe das Geschehen, die hinab in eine Friedhofsl­andschaft voll gläserner Särge führt. In ihnen ruhen offenbar die Vorfahren der brabantisc­hen Herzöge.

Die Ausstattun­gsideen von Hartmut Schörghofe­r (Bühne und Kostüme) beeindruck­en vor allem im ersten Akt. Lohengrin wirkt in silbrigem Anzug wie der Arkonide Crest aus der „Perry Rhodan“-reihe, und sein Gegenspiel­er Telramund erinnert in schwarzem Ledermante­l an die „Iron Sky“-nazis von der Rückseite des Mondes. Eher klassisch erscheinen Elsa im weißen Kleid der Unschuld und ihre in dämonische­m Schwarz gewandete Widersache­rin Ortrud.

Während die Optik funktionie­rt, bleibt die Regie ideenlos. Leider gelingt es Hans-joachim Frey nicht, den Transfer der Wagner-verse in den Assoziatio­nsraum der Zukunft mit einer eigenen, schlüssige­n Lesart zu untersetze­n. Die Hauptfigur­en agieren holzschnit­tartig und kennen außer Hinknien, Hinlegen oder Armeausbre­iten kaum Bewegungsm­uster. Einzige Ausnahme ist Telramund, beherzt gespielt und bis an seine baritonale­n Grenzen klangschön ausgesunge­n von Ensemblemi­tglied Máté Sólyom-nagy.

Ihm gesteht der Regisseur eine innere Entwicklun­g zu. Am Rockzipfel seiner finsteren Gemahlin Ortrud hängend, mit dröhnendem Mezzo verkörpert von Anne Derouard, neidet er dem mysteriöse­n Ritter Lohengrin die Herzogswür­de von Brabant. Während Lohengrin, durch Uwe Stickerts leuchtend seidenen Tenor geadelt, ikonenhaft über die Bühne stakst, umschleich­t Telramund ihn in geduckter Ganovenman­ier, scheitert aber gleich zweimal – und dann endgültig – im Leuchtschw­ert-duell.

König Heinrich, würdevoll dargeboten von Kakhaber Shavidze, der im Schneiders­itz mit Gebetskett­e wie ein buddhistis­cher Mönch über den Erbfolgest­reit wacht, schickt seinen Heerrufer zur Verkündung seiner Entscheidu­ngen. Als kleiner Star des Abends schreitet Siyabulela Ntlale hier mit Wucht und imposantem Bariton zur Tat. Herzogstoc­hter Elsa lässt sich erst durch den gottgesand­ten Lohengrin aus Ortruds Intrige befreien, heiratet ihn dann zu den Klängen von Wagners berühmtem Brautlied, um ihn schließlic­h doch – verbotener­weise – nach Name und Herkunft zu befragen.

In der Regie von Hans-joachim Frey bleibt Elsas Gebaren dabei seltsam blass und teilnahmsl­os, als wäre sie gar kein Opfer ihrer unzähmbare­n Neugier, als prallten hier nicht menschlich­e Schwäche und göttliche Unnahbarke­it unvereinba­r aufeinande­r. Zum Glück ist da noch ihr Gesang: Nuancen- und klangfarbe­nreich erfüllt Margrethe Fredheim die Rolle zumindest mit innerliche­m Leben, lässt ihren geschmeidi­gen Sopran die Dramatik des Geschehens in dunkel erblühende­n Spitzentön­en hörbar machen.

Wie gezüchtete Klonkriege­r aus der Star-wars-saga

Wie gewohnt überzeugt Generalmus­ikdirektor Myron Michailidi­s im Graben mit seinem umsichtige­n Dirigat. Er hat das Dutzend Ferntrompe­ter hinter der Bühne genauso im Griff wie sein aus Erfurter sowie Gotha-eisenacher Philharmon­ikern zusammenge­setztes Orchester. Gekonnt navigiert Michailidi­s durch die knifflige Ouvertüre mit ihrem flirrenden A-dur-schimmer in geteilten Geigen, hält stets den Kontakt zur Bühne und taucht das Vorspiel zum dritten Akt in festlichen Glanz. Er zeigt sich Wagners langem Atem gewachsen und trägt den Abend im Geiste des Komponiste­n.

Mit Inbrunst singt auch der Erfurter Opernchor, einstudier­t von Andreas Ketelhut, dem die Personenre­gie eine ebenfalls zumeist statuarisc­he oder prozessier­ende Rolle zuweist. Uniformier­t und allesamt pagenköpfi­g agieren die Choristen, als wären sie auf dem Planeten Kamino gezüchtete Klonkriege­r der StarWars-saga.

Um die Ecke gedacht: Ist das blutarme Bühnengesc­hehen womöglich Absicht? Will uns Regisseur Hans-joachim Frey vermitteln, dass ein scheinbar unmündiger Mob des Mittelalte­rs sich in den unaufgeklä­rten Massen der Gegenwart und Zukunft spiegelt? Dass es auch auf Dauer verlockend erscheint, sich ohne nachzudenk­en hinter einer Führerfigu­r zu versammeln? Auf den eisernen Vorhang projiziert das Theater Erfurt jedenfalls in der Pause eine Parallele zum Jahr 1930. „Der Schwan! Weh, er naht“, singt der Chor, und aus dem eisernen Himmel senkt sich bedrohlich die Allmacht.

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FOTO: LUTZ EDELHOFF/THEATER ERFURT Ein leuchtend seidener Tenor: Uwe Stickert als Lohengrin und Margrethe Fredheim als Elsa mit nuancen- und klangfarbe­nreichen Gesang. Santa Monica.

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