Land der Residenzen
Die
Diskussionen um das Aufgehen der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten mit Sitz in Rudolstadt in einer Mitteldeutschen Kulturstiftung mit Sitz in Halle wird mit vielen Argumenten geführt. Eines kommt dabei mitunter zu kurz: die Landesgeschichte. Dabei geht es hier um nichts Geringeres als das wohl wichtigste Erbe Thüringens, um seine historische DNA gewissermaßen.
Über Jahrhunderte prägten die Kleinstaatenfürsten der Ernestiner, Schwarzburger und Reußen eine glanzvolle Kulturlandschaft mit Residenzen, Schlössern und Parks von einmaliger Dichte aus, die sich wiederum deutlich von den umliegenden Regionen abgrenzt. Dieses Erbe sollte man nicht um einer Millionenförderung aus Berlin willen außer Landes geben. Thüringen ist dabei durchaus aus mitteldeutschen Wurzeln erwachsen.
Die wettinischen Kurfürsten von Sachsen herrschten hier einst über einen mächtigen Länderkomplex. Ausgehend von der Markgrafschaft Meißen, hatten sie sich auch in Thüringen nach dem Beerben der Landgrafen 1247 etablieren können. Die Leipziger Teilung 1485 führte allerdings zur Aufspaltung in eine ernestinisch-thüringische und albertinisch-sächsische Linie. Die seit ihrer Niederlage im Schmalkaldischen Krieg 1547 allein auf Thüringen beschränkten ernestinischen „Herzöge von Sachsen“bildeten fortan bis zu zehn souveräne Herrschaften. Nach 1826 bestanden das Großherzogtum Sachsen-weimar-eisenach sowie die Herzogtümer Sachsen-coburg und Gotha, Sachsen-meiningen und Sachsen-altenburg.
Neben den Ernestinern gelang es zwei weiteren alten Adelsgeschlechtern, sich als reichsfürstliche Landesherren zu etablieren. Auch die Reußen in Ostthüringen hatten ihre Ländereien zeitweise in zahlreiche Kleinstgebilde aufgeteilt. Seit 1848 bestanden die Fürstentümer Reuß ältere Linie mit der Residenz Greiz und Reuß jüngere Linie mit Gera. Der Besitz der Schwarzburger, benannt nach ihrem Stammsitz im Thüringer Schiefergebirge, unterteilte sich seit 1599 in die Linien Schwarzburg-sondershausen und Schwarzburg-rudolstadt. Hinzu kamen die Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen, das hessische Schmalkalden, die Ländereien des Kurfürsten von Mainz mit Erfurt und dem Eichsfeld sowie albertinische Gebiete.
Während sich die Kleinstaaten über alle Flurbereinigungen hinüberretten konnten, gingen die übrigen Gebiete 1815 im Königreich Preußen auf. 1920 schlossen sich die sieben verbliebenen Kleinstaaten außer Coburg zum Freistaat Thüringen zusammen. 1945 folgte der preußische Landesteil mit Erfurt. 1952 in die Bezirke Erfurt, Gera und Suhl aufgeteilt, entstand 1990 das Bundesland Thüringen.
Der Freistaat Thüringen geht also auf den schrittweisen Zusammenschluss der einstigen Kleinstaaten zurück. Mit älteren Traditionen, insbesondere der Landgrafschaft Thüringen des 12./13. Jahrhunderts, verwuchs dies zur charakteristischen „Einheit in der Vielfalt“, wie sie im Landeswappen zum Ausdruck kommt: Den Landgrafenlöwen umgeben acht silberne Sterne für die Kleinstaaten und preußischen Gebiete. Dies bildet so etwas wie den Kern der historischen Identität Thüringens. Das vereinte „Land der Residenzen“zwischen Gotha, Weimar, Altenburg und Meiningen, zwischen Sondershausen, Rudolstadt, Gera und Greiz stellt ein einzigartiges Erbe dar, das es auch hier in Thüringen zu bewahren gilt.