Das Leben lieben
Wie die Holocaust-überlebende Éva Pusztai das Unerzählbare erzählt. Weimarer Filmpremiere im Rahmen des Achava-festivals
Weimar. Eine Gestalt, in einen schwarzen Kokon gehüllt, betritt den Raum. Lauernd, tastend, sich dann am Boden windend im Schmerz. Sie legt ihren Kopf in den Schoss der weißhaarigen Frau auf dem Stuhl. Aber jeder Trost ist vergeblich. Es ist der Schatten des Todes. Der Schatten der Erinnerung an die im Holocaust ermordeten ungarischen Juden.
Die schwarze Gestalt ist die Tänzerin Emese Cuhorka. Die andere Frau ist Éva Fahidi-pusztai. Eine ungarische Jüdin, die Auschwitz überlebte und Buchenwald. Die Jahrzehnte brauchte, um über dieses Überleben reden zu können.
Die mit 90 Jahren mit dem Tanz das Unerzählbare auslotete, weil bei Auschwitz alle Worte versagen: „Sea Lavender“, in Erinnerung an den Lavendel-duft ihrer Kindheit. Mehr als 70-mal stand sie damit seitdem auf der Bühne, vor viereinhalb Jahren in Erfurt. Und dieser Film erzählt die Geschichte dieses Tanzstücks.
Im Weimarer Kinoprojekt „Lichtblick“wurde er am Pfingstsamstag zum ersten Mal in Deutschland vor Publikum gezeigt. Ein Projekt der Achava-festspiele und des Kunstfestes Weimar. Im Autokino, projiziert auf eine Hauswand. Ein Format, dem man eher die leichthändige Unterhaltung zuschreibt. Aber die Besonderheit dieser Kinosituation verschwindet schon vor dem eigentlichen Film, als Eva Pusztai per Lifestream aus Budapest zugeschaltet wird. Und so bleibt es auch die folgenden 90 Minuten, die „Die Euphorie des Seins“dauert. Er kriecht unter die Haut, dieser Film.
Eine Szene zeigt Emese Cuhorka vor einem hohen Spiegel. Sie streift ihre Kleidung ab, beginnt zu tanzen. Selbstvergessen, für sich, nicht für ein Publikum. Als Kind, erzählt Eva Pusztai, habe ich es geliebt, vor dem Schlafzimmerspiegel zu tanzen. Nackt, das schien ihr das Natürlichste zu sein, wenn man tanzt. Frau sein. Sie hat es immer geliebt, es als Geschenk genommen. Und es wurde ihr geraubt, als sie ihr in Auschwitz das Haar scherten. Als sie die Frauen in Nummern verwandelten, in ausgemergelte schmutzige Körper, nahmen sie ihnen die Weiblichkeit.
Wer aus Auschwitz kommt, dem steht es zu, sagt sie an einer Stelle, als es um die Liebe geht. Mir steht alles zu. Sie spricht über ihre kleine
Schwester und ihre Mutter. Über jenen Moment, als man sie an der Rampe von Auschwitz von ihnen trennte, von dem sie damals noch nicht wusste, dass er die Endgültigkeit bedeutete. In dunklen Momenten sieht sie, wie die beiden sich an den Händen halten, auf die Gaskammer zugehen. Und ihr Leben wird gleich zu Ende sein. Ein Film über Erinnerungen an das Unerzählbare, wie sich Eva Pusztai an sie herantastet, sie fürchtet, wie ausgeliefert sie ihnen bleibt, wie sie nach dem Überleben das Leben trotzdem und erst recht lieben kann. Du kannst den Schatten nicht entkommen, sagt sie. Sie kehren zurück, immer wieder. Und dazwischen bist du glücklich.