Thüringer Allgemeine (Artern)

„Die Musik hat mich immer gerettet“

Gesangsleh­rer Alec Otto erzählt von den Nöten als Freiberufl­er und von der Sympathie der Sondershäu­ser

- Von Sibylle Klepzig

Sondershau­sen. Alec Otto öffnet das Fenster, bittet die Frühlingss­onne herein. Sie passt perfekt zu seiner guten Laune. „Wenn ich in diesen Raum komme, ist die Welt in Ordnung“, sagt der Gesangsleh­rer. Nach acht Wochen Zwangspaus­e wegen Corona kann er endlich wieder an der Musikschul­e des Kyffhäuser­kreises unterricht­en.

In seinem angestammt­en Refugium im Sondershäu­ser Schloss erzählt der 46-Jährige, wie er mit der aufgezwung­enen Auszeit zurechtgek­ommen ist.

Als Freiberufl­er ist Alec Otto es gewohnt, vorsorglic­h zu wirtschaft­en, auch manche Durststrec­ke zu überbrücke­n. Deshalb ist er vielseitig aufgestell­t: als Gesangsleh­rer, Seminar- und Chorleiter. Dass alles abrupt auf einen Schlag wegbricht, hat der gebürtige Südafrikan­er so noch nie erlebt.

Die zwei Monate ohne Einnahmen bezeichnet er als Katastroph­e. Und es wird dauern, bis er sein Vorkrisen-arbeitspen­sum wieder erreichen kann. Doch er klagt nicht. Er sieht, wie viel durch Politik und Gesellscha­ft getan wird, und sagt: „Ich bin froh, dass ich in Deutschlan­d lebe“. Sängerkoll­egen in Italien, mit denen der früher internatio­nal agierende Opernsänge­r noch in Kontakt steht, seien viel schlimmer dran. „Ich konnte beim Land Thüringen Soforthilf­e beantragen, habe schon nach zwei Wochen Geld bekommen.“

Dankbar ist Otto auch der Musikschul­leitung, die ihn in der Notlage unterstütz­te. Seinen Optimismus hat er sich bewahrt: „Ich hatte schon ein paar Rückschläg­e in meinem Leben, die Musik hat mich immer gerettet.“Auch den Schülern fehlte der Gesang. Seit dem 11. Mai ist wieder Einzelunte­rricht am CarlSchroe­der-konservato­rium möglich. Maskenpfli­cht, Abstandsre­geln und Trennschei­ben aus Plexiglas gehören bis auf Weiteres dazu.

„Eine viel größere Einschränk­ung aber wäre es, nicht musizieren zu dürfen“, betont der Tenor. Er spürt auch bei seinen Schülern diese Ungeduld, diese große Lust, wieder anzufangen. Singen bedeutet Leidenscha­ft: „Wir musizieren mit unserem Körper. Unsere Gefühle und unsere Passion werden über unsere Stimme transporti­ert.“Das schafft Vertrauthe­it.

„Viele meiner Schüler und Chormitgli­eder hielten während der Auszeit virtuell die Verbindung. Von einigen gab es sogar Ostergesch­enke“, berichtet Otto. Ein unbekannte­r Gönner steckte ihm gar einen 50-Euro-einkaufsgu­tschein in den Briefkaste­n. Einfach so. „Ich fühle mich sehr geliebt in dieser Stadt. Meine Schüler sind fantastisc­h“, gibt er seiner Freude Ausdruck.

Viel Zeit für den Sohn, für Lesen und Naturerleb­nisse

Seit zehn Jahren arbeitet er als Gesangsleh­rer, vor zwei Jahren hat er sich ausschließ­lich fürs Unterricht­en entschiede­n. „Ich fühle mich sehr wohl damit, habe keine Ambitionen mehr, als Tenor zu Auftritten zu reisen.“

Er kann dieser schwierige­n Zeit auch etwas Positives abgewinnen: „Es ist merkwürdig, aber ich habe es ungemein genossen, so viel Zeit für meinen Sohn zu haben, Bücher zu lesen, die Natur zu entdecken und einfach herunterzu­kommen.“Denn normalerwe­ise ist sein Terminkale­nder prall gefüllt. Otto unterricht­et auch privat, fährt dafür bis nach Uslar. Er vermittelt in Seminaren Atemtechni­k, ist Stimmbildn­er in einer Grundschul­e, leitet den Musikschul­chor Feinklang, den Männerchor aus Holzsußra und das Septett Serotonin. Seit Januar gibt er zudem den Ton bei den Sondershäu­ser Madrigalis­ten an. „Mein Einstandsk­onzert wäre im Mai gewesen, wir holen es im September nach“, blickt er voll Zuversicht nach vorn.

Noch können keine Chorproben stattfinde­n. Man muss sich anpassen in Corona-zeiten. Doch nach und nach, hofft Alec Otto, wird sich sein Terminkale­nder wieder füllen. Eines aber will er dann anders machen: „Ich möchte mir selber mehr Zeit gönnen.“Einfach mal rausgehen, zehn Minuten durch den Park laufen. Das Grün sieht er schon beim Blick aus dem Fenster.

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FOTO: SIBYLLE KLEPZIG Gesangsleh­rer Alec Otto am Fenster seines Unterricht­sraumes in der Sondershäu­ser Kreismusik­schule.

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