Glücklich aus der Krise
Während der Corona-pandemie suchen so viele Menschen wie nie nach dem Wort „Glück“ im Internet. Experten erklären die Gründe
Berlin. Glück kann so wenig sein. Ein kleiner Moment, der den ganzen Tag hebt. Ein Duft, ein Geschmack, eine Überraschung. Das ist der Kerngedanke, auf den die Geschäftsidee von Tanja Rylewicz zurückgeht. Und der eigentlich ihr ganzes Leben veränderte. Mit diesem Gedanken endete ihr früheres berufliches Leben, und mit ihm gründete sie eine Eismanufaktur. Dementsprechend lautet der Werbeclaim ihres Berliner Unternehmens Meine kleine Eiszeit: „Eine Kugel vom Glück“.
Die Kugel zum Glück oder den Weg zum Glück suchen im Moment immer mehr Menschen. Es ist eine regelrechte Glückssuche im Internet entstanden. Belegt wird das durch eine Nachricht der Suchmaschine „Google“. Kürzlich berichtete der Internetriese, dass das Wort „Glück“so häufig wie nie gesucht würde, die Nachfrage liegt auf Rekordniveau. Warum ist das so, gerade in den Corona-pandemie-monaten?
„Und wer sich fragt, was macht mich glücklich? Der ist schon auf einem guten Weg.“
Karlheinz Ruckriegel, Ökonomie-professor und Glücksforscher
len und dem kognitiven Wohlbefinden. Beim emotionalen geht es um die momentane Gefühlslage, das kognitive meint den Grad der Zufriedenheit des Einzelnen generell mit dem Leben. Dabei wägt man ab zwischen dem, was man hat, und dem, was noch kommen soll – Ziele, Erwartungen, Wünsche. Eine glückliche Person, so Ruckriegel, erfreut sich häufig positiver Gefühle, erfährt seltener negative Gefühle im Hier und Jetzt und verfolgt sinnvolle Lebensziele. Das sei bei allen Menschen auf der ganzen Welt gleich.
Im Grunde gibt es sechs Faktoren, die unser Glücklichsein bestimmen. 1. Soziale Beziehungen, das Gegengefühl dazu ist Einsamkeit, die sogar zu körperlichen Krankheiten führen kann. 2. Gesundheit. 3. Ein sinnvolles Arbeitsleben oder ein Ehrenamt. 4. Das Gefühl, Einfluss auf das eigene Leben haben zu können. 5. Genügend Mittel zum Leben zu haben. 6. Unsere innere Haltung.
Vor der Corona-pandemie hätten viele Deutsche viel Zeit mit Arbeit, Einkommenserzielung und Konsum verbracht. Das hat sich von heute auf morgen durch die staatlichen Beschränkungen geändert. Deshalb haben viele Menschen jetzt Zeit, grundsätzlich übers Leben nachzudenken. „Und wer sich fragt, was macht mich glücklich, der ist schon auf einem guten Weg“, sagt
Ruckriegel. Letztlich komme es darauf an, wie wir unsere Zeit verwenden. Vor allem soziale Beziehungen sind wichtig für das Glück.
Genau so erlebte es Eisverkäuferin Tanja Rylewicz, ihr Umbruch kam 2017. Sie war bis dahin in verantwortlicher Position als Redakteurin. Sie liebte ihren Job, aber der Zauber der Anfangsjahre war weg. Und sie stellte sich genau eine Frage: Soll alles so weitergehen oder will ich richtig glücklich sein? Nach der Beantwortung der Frage ging alles wie von selbst. Sie machte ein Praktikum in einer Eismanufaktur in Hamburg. Rylewicz lernte das Eismachen und kündigte ihren Job. Sie eröffnete eine Eisdiele, die sie später wieder verkaufte, weil sie mehr Zeit für ihre Familie brauchte. Inzwischen ist sie mit einem kleinen Eiswagen unterwegs und wird für Feiern und Veranstaltungen für das kurze Glück beim Eisschlecken gebucht. Auf die Frage, wie es ihr gehe, antwortet sie: „Wie soll es mir gehen? Ich bin glücklich beim Eismachen, und meine Kunden sind glücklich, wenn sie mein Eis schlecken.“
Einer der bekanntesten deutschen Hirnforscher, Gerald Hüther, geht sogar noch einen Schritt weiter, er sieht nicht nur individuelle, sondern gesamtgesellschaftliche Folgen der Corona-pandemie, und die seien durchaus positiv: „Am interessantesten an der Corona-problematik ist, dass Menschen aus ihren üblichen Mustern und Abläufen herausgeworfen werden. Die meisten haben bestimmte Pflichten, Regeln und Denkmuster, der ganze Tag ist durchfunktionalisiert.“Mit der Corona-krise seien diese größtenteils weggebrochen.
Hüther meint, Reichtum, Ansehen und Macht seien im Lichte der Corona-pandemie nutzlos. „Nach der Corona-pandemie könnte sogar ein gesellschaftlicher Aufbruch stattfinden. Sicher kehrt ein Großteil der Gesellschaft wieder zurück zu ihrem Leben vor der Corona-krise, aber die Anzahl der Menschen, die ihr Leben künftig nicht mehr so weiterführen wollen, ist gewachsen.“Hüther gibt ein Beispiel: Eltern, die ihre Kinder sonst nur in die Kita gebracht haben, erleben ihre Kinder neu. „Es kann sein, dass sich Eltern neu in ihre Kinder verliebt haben. Wenn das passiert ist, können die nicht zurück und den ganzen Tag weg sein und ihr Kind fremd betreuen lassen.“
Hüther hält es auch für möglich, dass sich das Wertesystem durch die Erfahrungen in der Corona-zeit verändert. Viele wollen nicht mehr reisen, nicht mehr so viel arbeiten und mehr Zeit mit ihren Lieben verbringen. „Ich schätze, zwei Drittel der Bevölkerung kehrt genau so wie vorher in den Alltag zurück: Viele warten nur darauf, dass alles so wird wie vorher. Aber ein Drittel wird nach Corona etwas ändern wollen.“Und dieses Drittel werde sich bemerkbar machen.