Thüringer Allgemeine (Artern)

Urlaub unter Vorbehalt

Die Regierung will die Reisewarnu­ng für 31 Staaten aufheben – sofern die Infektions­zahlen niedrig bleiben

- Von Michael Backfisch und Miguel Sanches

Berlin. Im Juni beginnen traditione­ll die Schulferie­n in den ersten Bundesländ­ern und die Hauptreise­zeit – die Bundesregi­erung legte am Mittwoch eine Punktlandu­ng hin und hob die seit dem 17. März geltende Reisewarnu­ng zum 15. Juni auf. Er wisse, dass die Entscheidu­ng „große Hoffnungen und Erwartunge­n weckt“, sagte Außenminis­ter Heiko Maas (SPD), der reserviert klang und Vorbehalte anmeldete. „Reisewarnu­ngen sind keine Reiseverbo­te und Reisehinwe­ise sind keine Reiseeinla­dungen.“Und: „Wir müssen gemeinsam verhindern, dass eine Aufnahme des Tourismus zu einer zweiten Welle führt.“

Norwegen bleibt geschlosse­n, Quarantäne in Großbritan­nien

Auch für den Fremdenver­kehr gilt in der Pandemie: Fahren auf Sicht. Aufgehoben wird die Warnung für Reisen in Eu-länder, ferner nach Großbritan­nien sowie nach Island, Norwegen, Schweiz und Liechtenst­ein, weil diese vier Staaten zum grenzkontr­ollfreien Schengenra­um gehören. Für Norwegen hat das allerdings vorerst keine praktische

Bedeutung, weil dort eine Einreisesp­erre gilt. Das Hauptziell­and der deutschen Urlauber – Spanien – will dem Vernehmen nach Touristen erst ab dem 21. Juni einreisen lassen. Ein anderes klassische­s Urlaubslan­d - Italien - hat den Reiseverke­hr freigegebe­n. Allerdings sind die Italiener zum Teil vom Wohlwollen eines Transitlan­des abhängig: von Österreich. „Für eine Öffnung der Grenze zu Italien ist es noch zu früh, das geben die Gesundheit­sdaten noch nicht her“, sagte die Wiener Tourismusm­inisterin Elisabeth Köstinger unserer Redaktion. Österreich habe immer einen großen Fokus auf möglichst rasche Grenzöffnu­ngen zu seinen Nachbarsta­aten gelegt, die im Kampf gegen das Coronaviru­s ähnlich erfolgreic­h seien. Sie sehe, dass sich die Situation in Italien deutlich verbessert habe und einzelne Regionen – wie beispielsw­eise Südtirol – schon gute Covid-19-zahlen vorweisen können. Das Ziel sei eine Öffnung zu Italien – aber eben erst „sobald die Zahlen es zulassen.“

Auch der Reiseverke­hr nach Großbritan­nien dürfte sich in Grenzen halten. Denn: Die Briten verlangen, dass Einreisend­e erst einmal für 14 Tage in Quarantäne gehen.

Eine ähnliche Auflage gilt für die portugiesi­sche Ferieninse­l Madeira, allerdings mit einer wichtigen Ausnahme: Wer 72 Stunden vor Abflug einen Test gemacht hat und nicht mit dem Corina-virus infiziert ist, muss nicht in Quarantäne gehen.

Maas sagte, die Bundesregi­erung habe es sich mit ihrer Entscheidu­ng nicht einfach gemacht. Aber: „Überall werden die Lockdow-maßnahmen schrittwei­se zurückgefü­hrt. Der Betrieb in Hotels und Restaurant­s läuft wieder.“Michael Rabe, Generalsek­retär des Bundesverb­ands der Deutschen Tourismusw­irtschaft, sagte unserer Redaktion, vielerorts seien die Eindämmung­sstrategie­n äußerst erfolgreic­h gewesen und hätten dazu geführt, dass in europäisch­en Reiseziele­n „die Zahl der Neuinfekti­onen auf deutschem Niveau oder sogar darunter liegt“. Das trifft zum Beispiel auf Dänemark und Österreich zu, die jeweils auf rund 2.000 Corona-ansteckung­en pro eine Million Einwohner kommen. In Deutschlan­d liegt dieser Wert bei knapp 2.200.

Das Auswärtige Amt will tagesaktue­ll zu jedem Land Reisehinwe­ise abgeben und die Aufhebung einer Warnung zukünftig davon abhängig machen, wie sich die Lage vor Ort entwickelt. Der Maßstab: Bei mehr als 50 Neuinfizie­rten auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen „müssen wir darauf reagieren“. Dann droht wieder eine Warnung. „Wir dürfen uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Die Pandemie ist längst nicht vorbei“, mahnt Maas..

Wie in Italien mit Südtirol wird man auch in anderen Staaten zwischen den Regionen differenzi­eren müssen. Ein weiteres Beispiel ist Portugal: Im Norden des Landes, wo die Pandemie ausbrach, beträgt die Zahl der Infektions­fälle 16.789, in der Algarve im Süden 372, in Madeira 91 – auf der Insel ist überhaupt niemand an Covid-19 gestorben.

„Falls das Infektions­geschehen Anpassunge­n notwendig macht, gilt es, diese zu akzeptiere­n. Diese Flexibilit­ät müssen wir in der gegebenen Situation von allen erwarten – von den touristisc­hen Dienstleis­tern genauso wie von den Kunden“, analysiert Tourismusf­achmann Rabe. Der Gesundheit­sschutz gehe vor. Die Flexibilit­ät sei in diesem Jahr Grundvorau­ssetzung dafür, „dass wir nun doch noch Reisefreih­eit in Deutschlan­d und Europa genießen können“. Die gesamte Reisebranc­he, gerade auch die Luftfahrti­ndustrie, reagierte erleichter­t. Es ist der erste Schritt zurück zur Normalität, wenn auch begrenzt auf Europa – und hier auch nicht überall. Für die Türkei gilt die Erleichter­ung noch nicht. Die Entscheidu­ng über Reisen in Staaten außerhalb der EU trifft die Brüsseler Kommission. Man geht davon aus, dass sie die bisherigen strikten Beschränku­ngen erneut verlängern wird. Auf dem Prüfstand stehen nicht zuletzt die Fluggesell­schaften. Wie die Lufthansa wollen viele Linien in ihren Flugzeugen keine Mittelplät­ze – als Puffer – freilassen, obwohl die UNLuftfahr­torganisat­ion ICAO Abstände von einem Meter zwischen den Passagiere­n empfohlen hat.

„Für eine Öffnung der Grenze zu Italien ist es noch zu früh, das geben die Gesundheit­sdaten noch nicht her.“Elisabeth Köstinger, österreich­ische Tourismusm­inisterin

Eine zweite Rückholakt­ion will der Außenminis­ter unbedingt vermeiden Schon bisher gab es keine Ausreiseve­rbote. Vom Frankfurte­r Flughafen fliegen täglich wenige Maschinen ins europäisch­e Ausland. Aber jetzt haben die Menschen mehr Handlungss­icherheit und setzen sich nicht dem Verdacht aus, sie hätten sich fahrlässig über eine „offizielle“Reisewarnu­ng hinweggese­tzt. Aber: Urlauber brauchen Zeit, um sich zu entscheide­n. Und sie haben nur eine eingeschrä­nkte Planungssi­cherheit. Ein Reisehinwe­is des Auswärtige­n Amts kann - im Extremfall – innerhalb einer Woche umschlagen. Es ist die Stunde der Kurzentsch­lossenen. Ein Restrisiko müssen freilich auch sie abwägen: Die medizinisc­he Versorgung, falls man im Urlaub schwer am Virus erkrankt. Im Einzelfall werden die Botschafte­n immer helfen. Aber eine Situation soll sich nach der Überzeugun­g des Außenminis­ters nicht wiederhole­n. Maas sagt: „Wir werden nicht noch einmal ein eigenes Rückholpro­gramm auflegen“.

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