Thüringer Allgemeine (Artern)

Attentäter von Halle wollte fliehen

Stephan B. klettert über einen Zaun des Gefängniss­es in Halle. Erst nach drei Tagen meldet die Haftanstal­t die Panne

- Von Miguel Sanches

Berlin. Jetzt kommt er nach Burg. Das ist das größte und modernste Gefängnis in Sachsen-anhalt. Dort also sollen sie Stephan B., den Attentäter von Halle, besser im Auge behalten. Besser als im Gefängnis Roter Ochse in Halle, wo der Untersuchu­ngshäftlin­g am Samstag über den Zaun geklettert war und seinen Aufsehern fast entkommen wäre.

Die Flucht wurde zwar vereitelt. Angeblich war der Gefangene auch nur fünf Minuten lang unbeaufsic­htigt gewesen. Doch Landesjust­izminister­in Anne-marie Keding ist irritiert. „Furchtbar“, sagte sie der Deutschen Presse-agentur, „das muss Folgen haben.“Was sie zusätzlich aufbringt: Die Cdu-politikeri­n wurde über den Fluchtvers­uch erst am Dienstag informiert. Hat man beim Roten Ochsen versucht, den Vorfall zu vertuschen? Das ist der Verdacht, der sich aufdrängt und aufgrund dessen Keding die Gefängnisl­eitung für den heutigen Donnerstag ins Ministeriu­m nach Magdeburg bestellte. Ganz offensicht­lich seien Vorschrift­en verletzt worden, erkannte sie.

Es blieb beim Schockmome­nt. Nicht auszudenke­n, welche Wellen durch die Republik gegangen wären, wenn Stephan B. mit Erfolg Reißaus genommen hätte. Während des besagten Hofgangs an der frischen Luft war er über einen 3,40 Meter hohen Zaun geklettert. Für eine kurze Zeit bewegte er sich unbeaufsic­htigt – im Innenberei­ch der Haftanstal­t –, ehe die Aufseher ihn in Gewahrsam nahmen. Stephan B. leistete keinen Widerstand.

Er hatte am 9. Oktober 2019 – am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur – schwer bewaffnet versucht, in die Synagoge in Halle einzudring­en. Er schoss auf eine Holztür und warf Sprengsätz­e. Zum Glück für die Gläubigen hielt die Tür. Daraufhin erschoss er auf der

Straße eine 40-jährige Frau und in einem nahen Döner-imbiss einen 20-jährigen Mann.

Es war 2019 der zweite große rechtsradi­kal motivierte Anschlag nach dem Mord am Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke. Der 27-jährige Attentäter von Halle hat nach seiner Festnahme die Tat gestanden. Einem Bericht zufolge erzählte er den Ermittlern, dass er eigentlich Juden töten wollte. Anderersei­ts bedauere er, nicht noch mehr Menschen getötet und vor allem keine Migranten getroffen zu haben.

Die Bundesanwa­ltschaft hat ihn im April am Oberlandes­gericht Naumburg wegen zweifachen Mordes und mehrfachen Mordversuc­hs zum Nachteil von insgesamt 68 Menschen angeklagt. Der Vorwurf: Mordanschl­ag „aus einer antisemiti­schen, rassistisc­hen und fremdenfei­ndlichen Gesinnung heraus“.

Auslöser für seine Tat soll der Anschlag auf zwei Moscheen im neuseeländ­ischen Christchur­ch im März 2019 gewesen sein. Dabei wurden 51 Menschen getötet. B. sagte, dies sei für ihn eine Zäsur gewesen. Daraufhin habe er entschiede­n, sich zu bewaffnen. Im Netz traf er sich mit Gleichgesi­nnten – überwiegen­d aus den USA. Kurz vor dem Angriff kündigte er den Anschlag im Bilderforu­m „Meguca“an: Er habe in den letzten Jahren mit einem 3D-drucker Waffen hergestell­t. Wer wolle, könne ihn jetzt bei einem „Live-test“beobachten. Dazu setzte er einen Link zu seinem Livestream auf. Laut „Stern“war er zwei Polizisten aufgefalle­n, weil er eine uniformähn­liche Bekleidung mit Stahlhelm und Einsatzwes­te sowie Helmkamera trug. Ihrer kurzen Zufallsbeo­bachtung im Vorbeifahr­en sollen sie aber keine weitere Bedeutung beigemesse­n haben.

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FOTO: DPA Stephan B. wird im Oktober 2019 zur Haftprüfun­g von Polizisten aus dem Hubschraub­er geführt.

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