Attentäter von Halle wollte fliehen
Stephan B. klettert über einen Zaun des Gefängnisses in Halle. Erst nach drei Tagen meldet die Haftanstalt die Panne
Berlin. Jetzt kommt er nach Burg. Das ist das größte und modernste Gefängnis in Sachsen-anhalt. Dort also sollen sie Stephan B., den Attentäter von Halle, besser im Auge behalten. Besser als im Gefängnis Roter Ochse in Halle, wo der Untersuchungshäftling am Samstag über den Zaun geklettert war und seinen Aufsehern fast entkommen wäre.
Die Flucht wurde zwar vereitelt. Angeblich war der Gefangene auch nur fünf Minuten lang unbeaufsichtigt gewesen. Doch Landesjustizministerin Anne-marie Keding ist irritiert. „Furchtbar“, sagte sie der Deutschen Presse-agentur, „das muss Folgen haben.“Was sie zusätzlich aufbringt: Die Cdu-politikerin wurde über den Fluchtversuch erst am Dienstag informiert. Hat man beim Roten Ochsen versucht, den Vorfall zu vertuschen? Das ist der Verdacht, der sich aufdrängt und aufgrund dessen Keding die Gefängnisleitung für den heutigen Donnerstag ins Ministerium nach Magdeburg bestellte. Ganz offensichtlich seien Vorschriften verletzt worden, erkannte sie.
Es blieb beim Schockmoment. Nicht auszudenken, welche Wellen durch die Republik gegangen wären, wenn Stephan B. mit Erfolg Reißaus genommen hätte. Während des besagten Hofgangs an der frischen Luft war er über einen 3,40 Meter hohen Zaun geklettert. Für eine kurze Zeit bewegte er sich unbeaufsichtigt – im Innenbereich der Haftanstalt –, ehe die Aufseher ihn in Gewahrsam nahmen. Stephan B. leistete keinen Widerstand.
Er hatte am 9. Oktober 2019 – am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur – schwer bewaffnet versucht, in die Synagoge in Halle einzudringen. Er schoss auf eine Holztür und warf Sprengsätze. Zum Glück für die Gläubigen hielt die Tür. Daraufhin erschoss er auf der
Straße eine 40-jährige Frau und in einem nahen Döner-imbiss einen 20-jährigen Mann.
Es war 2019 der zweite große rechtsradikal motivierte Anschlag nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Der 27-jährige Attentäter von Halle hat nach seiner Festnahme die Tat gestanden. Einem Bericht zufolge erzählte er den Ermittlern, dass er eigentlich Juden töten wollte. Andererseits bedauere er, nicht noch mehr Menschen getötet und vor allem keine Migranten getroffen zu haben.
Die Bundesanwaltschaft hat ihn im April am Oberlandesgericht Naumburg wegen zweifachen Mordes und mehrfachen Mordversuchs zum Nachteil von insgesamt 68 Menschen angeklagt. Der Vorwurf: Mordanschlag „aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus“.
Auslöser für seine Tat soll der Anschlag auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch im März 2019 gewesen sein. Dabei wurden 51 Menschen getötet. B. sagte, dies sei für ihn eine Zäsur gewesen. Daraufhin habe er entschieden, sich zu bewaffnen. Im Netz traf er sich mit Gleichgesinnten – überwiegend aus den USA. Kurz vor dem Angriff kündigte er den Anschlag im Bilderforum „Meguca“an: Er habe in den letzten Jahren mit einem 3D-drucker Waffen hergestellt. Wer wolle, könne ihn jetzt bei einem „Live-test“beobachten. Dazu setzte er einen Link zu seinem Livestream auf. Laut „Stern“war er zwei Polizisten aufgefallen, weil er eine uniformähnliche Bekleidung mit Stahlhelm und Einsatzweste sowie Helmkamera trug. Ihrer kurzen Zufallsbeobachtung im Vorbeifahren sollen sie aber keine weitere Bedeutung beigemessen haben.