Kleinerts Traum vom Kyffhäuser
Ex-weltklasse-kugelstoßerin möchte Sportfest am Denkmal etablieren und warnt vor Doping-exzess im Spitzensport
Badra. Ein Segelflugzeug gleitet an der Kyffhäuser-flanke entlang. Nadine Kleinert schaut versonnen in den Sommerhimmel. „Müsste in Udersleben gestartet sein“, meint sie ortskundig und fügt an: „Ja, das Fliegen vermisse ich manchmal. Aber ich bin glücklich mit all dem, so wie es ist. Ich bin angekommen – und hier eine ganz normale Bürgerin“, sagt die 44-Jährige lächelnd.
Ja, gejettet mit dem Flieger war die Weltklasse-kugelstoßerin einst Woche für Woche um die halbe Welt. Ein Meeting jagte das nächste, dazu die Trainingslager. Bis die Silbermedaillengewinnerin von Olympia 2004, Europameisterin und viermalige Wm-zweite 2013 ihre große Karriere beendete. „War schon toll. Aber ich lebe im Jetzt und Hier.“Und das heißt seit Ende 2016: Badra.
„Der Liebe wegen“ist die 1,90Meter-frau aus Magdeburg in den idyllischen Ort am Kyffhäuser gezogen. Ihr Lebensgefährte stammt dort her. „Es ist eine herrliche Gegend, hier kann man alt werden“, schwärmt sie. Der Luther-weg führt direkt am Haus vorbei. Auf dem spazieren oder wandern sie oft durch die Natur – gemeinsam mit Babsi, der zwölfjährigen Jack-russellHündin. Dann ist noch der Gemüsegarten am Haus. „Ich koche und backe auch mal gern – aber ich bin keine echte Hausfrau“, betont sie.
Mehr Kinder und Jugendliche für die Leichtathletik begeistern „Gute Arbeit gehört zum Leben“, sagt Kleinert energisch. Beim SC Magdeburg war sie deshalb in Unfrieden gegangen: Die erfahrene Frau mit der hohen B-trainer-lizenz war nur als Übungsleiterin beschäftigt. 200 Euro. Dann, am Kyffhäuser, arbeitete sie bei der Post als Zustellerin. Früher hantierte sie mit Vier-kilo-kugeln, nun mit bis zu 30Kilo-paketen.
Jetzt, seit Oktober des Vorjahres, ist sie bei der Bundeswehr in Bad Frankenhausen angestellt. „Öffentlicher Dienst, und es hat viel mit Sport zu tun. Genaueres darf ich nicht sagen.“20 Jahre gehörte sie einst der Sportfördergruppe der Truppe an. „Das passt nun, das wollte ich immer machen.“
Was ihr auch vorschwebt: ein Kugelstoß-meeting am Kyffhäuser. „Mit dem Denkmal haben wir doch eine tolle Kulisse.“Ja, sie habe bereits Fäden geknüpft. „Aber es hängt noch ein wenig an den Sponsoren.“Bei der deutschen Feuerwehr-meisterschaft in Bad Frankenhausen wollte sie weitere Kontakte zur Umsetzung ihrer Idee pflegen, im Rahmen dessen zusätzlich auch einen Team-weltrekord im Breitensport-wettkampf „100 stoßen Kugel“anpeilen. Aber: CoronaStopp!
Fit kam sie, dank eigenem Fitnessprogramm, durch den Lockdown. „15 Meter würde ich mir schon noch zutrauen, die Technik verlernt man ja nicht.“Also fünf Meter unter ihrer Bestweite (20,20 m). Thüringen sei sowieso ihr Lieblingsbundesland in puncto Starts gewesen. „Das waren meist große Weiten.“In Gotha, Nordhausen, Erfurt, unter Tage in Sondershausen. Tolles, fachkundiges Publikum.
Vermisst sie die Leichtathletik? Nach der Karriere, und nun im
Lockdown? Kleinert holt tief Luft: „Wie ich sie noch kennengelernt habe: ja. So wie sie in letzter Zeit ist, auch schon vor Corona: ein klares Nein!“Gründe? Die gibt es viele: „Es gibt zu viele Egoismen. Deine Nase passt mir nicht – du kommst nicht ins Meeting, in den Kader!“Die Sportart tue zu wenig, um attraktiv bei Jugendlichen zu sein. Es fehle der Anreiz, sich zu quälen, TVPräsenz, echte finanzielle Absicherung der Athleten.
Das alles, befürchtet sie, verschärfe sich durch die Auswirkungen der Corona-pandemie: „Wenn es selbst Fußball-clubs finanziell schwerhaben, dürfte es auch LeichtathletikVereine hart treffen. Denn die Kosten laufen ja weiter. Ich fürchte, in fünf bis zehn Jahren ist die Leichtathletik tot.“
Nachgereichte Medaillen wegen dopender Rivalinnen
Na, und dann: das Dopingproblem. Es gebe im Lockdown ja viel weniger Kontrollen. „Das werden viele ausnutzen. Die werfen sich jetzt schön das Zeug bis zum nächsten Frühjahr ein. Und das wirkt dann bis zu Olympia in Tokio im Sommer, ohne dass es noch nachweisbar ist“, warnt sie. Kritisch, unbequem, frei heraus – das war die Powerfrau schon immer.
Das Thema Doping begleitete ihre Karriere auf bittere, ja, tragikomische Weise: Sieben Medaillen von internationalen Meisterschaften bekam Kleinert „nachgereicht“, weil vor ihr platzierte Stoßerinnen – meist aus Osteuropa oder China – wegen verbotener Mittel irgendwann aus den Listen gestrichen wurden. Mitunter drei Tage später wie bei Olympia 2004, die vorerst letzte trudelte vorigen Herbst per Post in Badra ein: Silber von der WM in Osaka 2007. „Zwölf Jahre später!“
Doch damit nicht genug: „Es könnten noch drei kommen“, sagt Kleinert mit Blick auf Nachtest-debatten und Prozesse. „Das soll jetzt nicht alte Leute diskriminieren: Die letzte Plakette hole ich mir vielleicht mit dem Rollator ab“, sagt sie abwinkend. Wenn es aber keinen würdigen Rahmen für die Ehrung gebe, gehe sie nicht hin. „Da habe ich Wichtigeres zu tun.“
Heißt: Arbeit, Familie, aber auch Werbung für „ihren“Sport. In außergewöhnlichen Übungsstunden begeisterte sie, vor Corona, schon einige Schulklassen im Kreis. Und die Frau mit dem „ausgeprägten Bewegungsdrang“könnte bald noch mehr bewegen – in ihrer neuen Heimat.