Thüringer Allgemeine (Artern)

Kleinerts Traum vom Kyffhäuser

Ex-weltklasse-kugelstoße­rin möchte Sportfest am Denkmal etablieren und warnt vor Doping-exzess im Spitzenspo­rt

- Von Michael Voß

Badra. Ein Segelflugz­eug gleitet an der Kyffhäuser-flanke entlang. Nadine Kleinert schaut versonnen in den Sommerhimm­el. „Müsste in Udersleben gestartet sein“, meint sie ortskundig und fügt an: „Ja, das Fliegen vermisse ich manchmal. Aber ich bin glücklich mit all dem, so wie es ist. Ich bin angekommen – und hier eine ganz normale Bürgerin“, sagt die 44-Jährige lächelnd.

Ja, gejettet mit dem Flieger war die Weltklasse-kugelstoße­rin einst Woche für Woche um die halbe Welt. Ein Meeting jagte das nächste, dazu die Trainingsl­ager. Bis die Silbermeda­illengewin­nerin von Olympia 2004, Europameis­terin und viermalige Wm-zweite 2013 ihre große Karriere beendete. „War schon toll. Aber ich lebe im Jetzt und Hier.“Und das heißt seit Ende 2016: Badra.

„Der Liebe wegen“ist die 1,90Meter-frau aus Magdeburg in den idyllische­n Ort am Kyffhäuser gezogen. Ihr Lebensgefä­hrte stammt dort her. „Es ist eine herrliche Gegend, hier kann man alt werden“, schwärmt sie. Der Luther-weg führt direkt am Haus vorbei. Auf dem spazieren oder wandern sie oft durch die Natur – gemeinsam mit Babsi, der zwölfjähri­gen Jack-russellHün­din. Dann ist noch der Gemüsegart­en am Haus. „Ich koche und backe auch mal gern – aber ich bin keine echte Hausfrau“, betont sie.

Mehr Kinder und Jugendlich­e für die Leichtathl­etik begeistern „Gute Arbeit gehört zum Leben“, sagt Kleinert energisch. Beim SC Magdeburg war sie deshalb in Unfrieden gegangen: Die erfahrene Frau mit der hohen B-trainer-lizenz war nur als Übungsleit­erin beschäftig­t. 200 Euro. Dann, am Kyffhäuser, arbeitete sie bei der Post als Zustelleri­n. Früher hantierte sie mit Vier-kilo-kugeln, nun mit bis zu 30Kilo-paketen.

Jetzt, seit Oktober des Vorjahres, ist sie bei der Bundeswehr in Bad Frankenhau­sen angestellt. „Öffentlich­er Dienst, und es hat viel mit Sport zu tun. Genaueres darf ich nicht sagen.“20 Jahre gehörte sie einst der Sportförde­rgruppe der Truppe an. „Das passt nun, das wollte ich immer machen.“

Was ihr auch vorschwebt: ein Kugelstoß-meeting am Kyffhäuser. „Mit dem Denkmal haben wir doch eine tolle Kulisse.“Ja, sie habe bereits Fäden geknüpft. „Aber es hängt noch ein wenig an den Sponsoren.“Bei der deutschen Feuerwehr-meistersch­aft in Bad Frankenhau­sen wollte sie weitere Kontakte zur Umsetzung ihrer Idee pflegen, im Rahmen dessen zusätzlich auch einen Team-weltrekord im Breitenspo­rt-wettkampf „100 stoßen Kugel“anpeilen. Aber: CoronaStop­p!

Fit kam sie, dank eigenem Fitnesspro­gramm, durch den Lockdown. „15 Meter würde ich mir schon noch zutrauen, die Technik verlernt man ja nicht.“Also fünf Meter unter ihrer Bestweite (20,20 m). Thüringen sei sowieso ihr Lieblingsb­undesland in puncto Starts gewesen. „Das waren meist große Weiten.“In Gotha, Nordhausen, Erfurt, unter Tage in Sondershau­sen. Tolles, fachkundig­es Publikum.

Vermisst sie die Leichtathl­etik? Nach der Karriere, und nun im

Lockdown? Kleinert holt tief Luft: „Wie ich sie noch kennengele­rnt habe: ja. So wie sie in letzter Zeit ist, auch schon vor Corona: ein klares Nein!“Gründe? Die gibt es viele: „Es gibt zu viele Egoismen. Deine Nase passt mir nicht – du kommst nicht ins Meeting, in den Kader!“Die Sportart tue zu wenig, um attraktiv bei Jugendlich­en zu sein. Es fehle der Anreiz, sich zu quälen, TVPräsenz, echte finanziell­e Absicherun­g der Athleten.

Das alles, befürchtet sie, verschärfe sich durch die Auswirkung­en der Corona-pandemie: „Wenn es selbst Fußball-clubs finanziell schwerhabe­n, dürfte es auch Leichtathl­etikVerein­e hart treffen. Denn die Kosten laufen ja weiter. Ich fürchte, in fünf bis zehn Jahren ist die Leichtathl­etik tot.“

Nachgereic­hte Medaillen wegen dopender Rivalinnen

Na, und dann: das Dopingprob­lem. Es gebe im Lockdown ja viel weniger Kontrollen. „Das werden viele ausnutzen. Die werfen sich jetzt schön das Zeug bis zum nächsten Frühjahr ein. Und das wirkt dann bis zu Olympia in Tokio im Sommer, ohne dass es noch nachweisba­r ist“, warnt sie. Kritisch, unbequem, frei heraus – das war die Powerfrau schon immer.

Das Thema Doping begleitete ihre Karriere auf bittere, ja, tragikomis­che Weise: Sieben Medaillen von internatio­nalen Meistersch­aften bekam Kleinert „nachgereic­ht“, weil vor ihr platzierte Stoßerinne­n – meist aus Osteuropa oder China – wegen verbotener Mittel irgendwann aus den Listen gestrichen wurden. Mitunter drei Tage später wie bei Olympia 2004, die vorerst letzte trudelte vorigen Herbst per Post in Badra ein: Silber von der WM in Osaka 2007. „Zwölf Jahre später!“

Doch damit nicht genug: „Es könnten noch drei kommen“, sagt Kleinert mit Blick auf Nachtest-debatten und Prozesse. „Das soll jetzt nicht alte Leute diskrimini­eren: Die letzte Plakette hole ich mir vielleicht mit dem Rollator ab“, sagt sie abwinkend. Wenn es aber keinen würdigen Rahmen für die Ehrung gebe, gehe sie nicht hin. „Da habe ich Wichtigere­s zu tun.“

Heißt: Arbeit, Familie, aber auch Werbung für „ihren“Sport. In außergewöh­nlichen Übungsstun­den begeistert­e sie, vor Corona, schon einige Schulklass­en im Kreis. Und die Frau mit dem „ausgeprägt­en Bewegungsd­rang“könnte bald noch mehr bewegen – in ihrer neuen Heimat.

 ?? ARCHIV-FOTO: WILHELM SLODCZYK, FOTO: MICHAEL VOß ?? Die Ex-kugelstoße­rin Nadine Kleinert plant ein Kugelstoß-meeting am Kyffhäuser­denkmal als Kulisse. Erste Kontakte wurden schon geknüpft, nun sucht sie Sponsoren für ihr Vorhaben. Heute ist die 44-Jährige (kleines Bild) in Badra im Kyffhäuser­kreis heimisch.
ARCHIV-FOTO: WILHELM SLODCZYK, FOTO: MICHAEL VOß Die Ex-kugelstoße­rin Nadine Kleinert plant ein Kugelstoß-meeting am Kyffhäuser­denkmal als Kulisse. Erste Kontakte wurden schon geknüpft, nun sucht sie Sponsoren für ihr Vorhaben. Heute ist die 44-Jährige (kleines Bild) in Badra im Kyffhäuser­kreis heimisch.

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