„Bargeld ist gelebte Freiheit“
Erfurter Unternehmen spürt Schwund bei Scheinen und Münzen deutlich
Erfurt. „Verschwindet langsam das Bargeld?“Diese Frage treibt WolfRüdiger Wirth gerade jetzt während der Corona-pandemie verstärkt um. Als Geschäftsführer eines mittelständischen Familienunternehmens in Erfurt ist die Antwort auf diese Frage für ihn geradezu existenzsichernd oder existenzvernichtend. Hunderte Arbeitsplätze hängen am Fortbestand des Bargelds.
Denn erst seit wenigen Wochen rasseln sie wieder kontinuierlich, die Sortier- und Zählmaschinen. Hunderttausende Münzen rauschen täglich durch die Anlagen. Auf den Cent genau werden die Summen erfasst, wird das Kleingeld abgepackt und nach Kunden sortiert gelagert. Mitte April standen die Münzanlagen bei der Erfurter ITT Industrie- und Transportschutz Thüringen Gmbh mehrere Tage in der Woche still. Es gab nichts zum Zählen.
Kurzer Run auf Bargeld zu beginnender Corona-krise
Nach einem anfänglich kurzen Run auf Bargeld zu Beginn der CoronaKrise – immerhin mussten die gut gesicherten Transporter des Unternehmens bis zu 50 Prozent mehr Geld ausliefern oder wieder einsammeln – sei die Nachfrage Ende März deutlich eingebrochen, erzählt Geschäftsführer Wirth. Er muss es wissen, transportieren, zählen und verwalten die Mitarbeiter seines Unternehmens doch täglich Millionenbeträge für die Kunden, egal ob Banken, Sparkassen oder Einzelhändler.
Verstärkt wurde die Bargeldflaute noch dadurch, dass im Lockdown viele Geschäfte ihre Kunden mit Verweis auf den Infektionsschutz aufforderten, mit Karte oder Handy zu bezahlen, weil das sicherer sei, so Wolf-rüdiger Wirth. Er ist deshalb überzeugt, dass die Corona-pandemie auch genutzt wird, um das ungeliebte Bargeld im Handel weiter zu verdrängen. Denn es verursacht für Händler und Banker vor allem Kosten. Belege dafür, dass Bargeld den Covid-19-virus überträgt, gibt es laut Bundesinstitut für Risikobewertung dagegen nicht.
Um ihre Kosten zu minimieren, lagern Geschäfte und Geldinstitute zunehmend auch in Thüringen den Umgang mit Banknoten und Münzen aus. Das reicht so weit, dass der Itt-service inzwischen selbst bei Geldinstituten den kompletten Bargeldumlauf abwickelt. Seine Firma bestücke, leere und warte die Geldautomaten und sogar die Kassensysteme am Kundentresen, erklärt Chef Wirth.
Erst im firmeneigenen Servicecenter, in dem ein Teil der Räume einen begehbaren Tresor bilden, werden die Geldkassetten geöffnet, geleert, ausgezählt und bei Bedarf wieder mit Scheinen oder Münzen bestückt. Die Geldinstitute und Einzelhandelsgeschäfte erhalten eine tägliche Abrechnung. Falschgeld, das die Zählmaschinen aussortieren, wird an die Bundesbank zur endgültigen Prüfung geschickt.
Wolf-rüdiger Wirth betont, dass Bargeld in Deutschland das einzige gesetzliche Zahlungsmittel und für die Kunden kostenfrei ist. Zudem sei es anonym und gebe den Menschen noch immer die Sicherheit, ihr Geldvermögen auch in Form von Barem abzuheben und mit nach Hause zu nehmen, wenn sie ihr Erspartes bedroht sehen, fügt er an.
Bundesfinanzministerium bekennt sich zum Fortbestand
Der Skandal um den deutschen Zahlungsabwickler „Wirecard“zeige gerade, wie risikobehaftet dagegen virtuelle Geschäfte ums digitale Bezahlen sein können und wie löchrig in Deutschland die Kontrollen sind. Aus Sicht des Thüringer Datenschutzbeauftragten erreicht das klassische bargeldlose Bezahlen mit EC- oder Kreditkarte inzwischen aber einen hohen Sicherheitsstandard. Allerdings sei das Recht auf informationelle Selbstbestimmung immer eingeschränkt, weil neben der Bank auch Zwischenstellen der Transaktion ein Teil der Daten kennen. Das erhöhe einerseits die Zahlungssicherheit, mache den Nutzer aber auch ein Stück weit durchschaubarer.
Die Corona-krise als einen „weiterer großer Schritt in Richtung Abschaffung des Bargelds“– so sieht es Guther Schnabl. Der Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig ergänzte Anfang Mai in einem Interview mit der Deutschen Welle, dass 500-EuroScheine nicht mehr geduckt werden und es in der EU auch Überlegungen gebe, kleinere Münzen abzuschaffen. Der Experte räumte ein, dass bargeldloses Bezahlen das Leben vereinfache. Andererseits „könnte der Staat direkt durch negative Zinsen auf die Ersparnisse der Bürger zugreifen“, warnte er.
Das Bundesfinanzministerium erklärt auf Nachfrage, dass sich die Bundesregierung „zum Fortbestand des Bargeldes“bekenne. Die EuroNoten seien „die einzigen Banknoten, die gesetzliches Zahlungsmittel sind“. Das gelte in beschränktem Umfang auch für Euro-münzen. Die Abschaffung des Bargelds als gesetzliches Zahlungsmittel wird ausgeschlossen.
Der Sparkassen- und Giroverband Hessen-thüringen versichert dieser Zeitung, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Bargeld auch künftig unverzichtbar für die Sparkassen sein werde. „Bargeld ist schließlich gelebte Freiheit“, erklärt Verbandssprecher Matthias Haupt.