Baerbock wahlkämpft in Weimar
Die Kanzlerkandidatin der Grünen wirbt in der Kulturstadt um Zustimmung
Weimar. In den wolkenverhangenen Himmel über Weimar schraubt sich der laut Eigenwerbung höchste mobile Aussichtsturm der Welt, vor dem Studentenclub Kasseturm bieten Händler Klamotten an, auf dem Rost am Goetheplatz liegen gut gebräunte Bratwürste.
Es ist ein Donnerstag wie viele in der Klassikerstadt. Mit schlendernden Touristen und Einheimischen, die es etwas eiliger haben. Für die Thüringer Grünen jedoch ist es ein besonders Tag. Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock wird auf dem Theaterplatz erwartet.
Der Bereich vor dem Theaterplatz ist durch Absperrungen unterteilt. Ganz vorne dürfen einige ausgewählte Bürger auf Pappquadern Platz nehmen. Wegen Corona sollen die Menschen nicht zu dicht stehen. Um die 400 Menschen sind gekommen.
Es ist Mittagszeit, als die grüne Hoffnungsträgerin ihren Auftritt hat. Baerbock – senffarbener Mantel, grüne Hose, schwarze Schuhe – steht auf der mit Kunstrasen belegten Bühne, davor Sonnenblumen, in ihrem Rücken als schöne Kulisse das Goethe-schiller-denkmal. Sie will gerade über die zentralen grünen Themen referieren, da schallt es von den Stufen des Deutschen Nationaltheaters: „Schluss mit der Klimahysterie. Schluss mit der Abzocke.“
Der Störer ist durch sein Megafon gut zu hören, auch ein Plakat wird hochgehalten. Doch Baerbock meistert die Situation souverän. „Sie haben eine Frage?“, ruft sie und eilt zu dem Mann, ihre Sicherheitsleute folgen ihr. Dann ist die Situation bereinigt und Baerbock sagt, Widerspruch gehöre zu einer Demokratie, und legt los.
Sie wirbt für das Kernthema Klimaschutz und wettert gegen den zu späten Kohleausstieg, den ihre Konkurrenten ums Kanzleramt, Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD), erst 2038 angehen wollen. „Das gefährdet den Industriestandort Deutschland“, ruft sie.
Baerbock pflügt sich einmal durchs bündnisgrüne Wahlprogramm, versucht Ängste zu zerstreuen, dass ökologische Politik vor allem eins ist: teuer.
Zwar müsse man „Geld in die Hand nehmen“; aber um all das zu bezahlen sollen unter anderem Reiche stärker besteuert werden. In strukturschwache Regionen will sie investieren und kleine und mittlere Einkommen entlasten. Kinder und Jugendliche müssten in der Bundespolitik Priorität haben. Der Mindestlohn
Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, spricht beim Wahlkampftermin der Grünen auf dem Weimarer Theaterplatz.
soll auf zwölf Euro steigen. Baerbock spricht frei, wirkt rhetorisch souverän. Manchmal schnellt der linke Arm nach vorne, als wolle sie die Argumente unter die Leute werfen. Das kommt an. In ihren wohl gesetzten Redepausen gibt es immer wieder Beifall.
„Wenn wir nicht investieren, werden wir die Krise nicht bewältigen“, ist die Grüne überzeugt. Deshalb dürfe man nicht wie ein Fetisch an der schwarzen Null festhalten.
Hier in Weimar scheinen die selbstverschuldeten Probleme Baerbocks durch nicht ordnungsgemäß gemeldete Nebeneinkünfte, einen geschönten Lebenslauf und ein in Teilen abgeschriebenes Buch weit weg. Noch im Mai lagen die Grünen bei 28 Prozent, vor Union und SPD. Inzwischen sind sie auf den dritten Platz abgerutscht.
Katrin Göring-eckardt, Grünenfraktionschefin im Bundestag und Thüringer Spitzenkandidatin, hat anfangs bereits die Werbetrommel für Baerbock gerührt: Die sei „eine Frau, die steht“. Auch bei Gegenwind. „Das braucht man als Bundeskanzlerin“, ist Göring-eckardt überzeugt.
Der anhaltende Beifall lässt es erahnen. In Weimar scheint Baerbock viele überzeugt zu haben. Ob das deutschlandweit bis zur Bundestagswahl zum 26. September auch so sein wird und fürs Kanzleramt reicht, bleibt ungewiss.