Unternehmen verzweifeln bei Azubi-suche
Firmen suchen nach Bewerbern. Arbeitgeber, Gewerkschaften und der Arbeitsminister sind alarmiert
Berlin. Die ersten drei Wochen im Berufsleben sind für viele junge Auszubildende an diesem Freitag geschafft. Der August gilt als klassischer Start ins Ausbildungsjahr. Andere müssen sich noch zwei Wochen gedulden, ehe sie am 1. September von ihren Unternehmen in Empfang genommen werden und ein neues Leben für sie beginnt. Raus aus der Schule, rein in die Arbeitswelt.
In vielen Unternehmen aber sind die Arbeitsplätze, die für die Azubis vorgesehen sind, verwaist. Daran wird sich auch im September nichts ändern. Deutschlands Unternehmen tun sich schwer damit, überhaupt Bewerberinnen und Bewerber zu finden. Nach dem Einbruch der Ausbildungszahlen im Coronajahr 2020 setzt sich der Trend fort. Der Ausbildungsmarkt steckt in einer tiefen Krise. „Für das neue Ausbildungsjahr haben wir nur noch 404.000 Bewerberinnen und Bewerber – 7,9 Prozent weniger als noch im Vorjahr“, sagte Detlef Scheele, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit (BA), unserer Redaktion.
Dabei war schon das vergangene Jahr ein historisch schlechtes.
465.700 Ausbildungsverträge wurden laut Statischem Bundesamt abgeschlossen – so wenige wie noch nie seit Beginn der Messung im Jahr
1977. Auch viele Unternehmen sind durch die Krise angeschlagen und vorsichtig geworden, was neue Ausbildungsverträge angeht. Und dennoch: Mit rund 480.000 Ausbildungsplätzen, die zur Verfügung stehen, gäbe es rechnerisch für jede Bewerberin und jeden Bewerber einen Platz. Nur finden Unternehmen und Auszubildende offenbar nicht zusammen. „31 Prozent der gemeldeten Bewerberinnen und Bewerber sind bislang unversorgt, 40 Prozent der Ausbildungsplätze sind noch frei“, sagt Scheele.
Warum fällt es Unternehmen und Bewerbern so schwer zusammenzukommen? „Das liegt zum einen an der enormen Verunsicherung junger Menschen durch die Pandemie und zum anderen an der fehlenden Berufsorientierung während des letzten Schuljahres“, sagt Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrieund Handelskammertages (DIHK). Berufsberater konnten nicht mehr in die Schulen kommen, Messen fielen aus, Betriebe konnten keine Praktika anbieten, zählt Dercks auf. Mit digitalen Angeboten habe man versucht gegenzusteuern. Offenbar mit begrenztem Erfolg, wie die Auszubildendenzahlen zeigen.
150 Millionen Euro an
Förderung bereits abgeflossen
Dabei hätte die Corona-krise eine Chance für die seit Jahren schwächelnde Ausbildung sein können. Die systemrelevanten Berufe waren vielfach die Berufe, bei denen angepackt werden musste. Die Pfleger, die Handwerkerinnen, die Supermarktbeschäftigten hielten den Laden am Laufen. Trotzdem bleiben Ausbildungsplätze unbesetzt.
Besonders drastisch ist die Situation laut Bundesarbeitsagentur im Verkauf. Hier sind noch 30.700 Stellen unbesetzt. Aber auch im Handel ist für rund 10.400 Lehrstellen noch kein passender Bewerber gefunden.
Selbst begehrte Branchen mit hohen Löhnen wie die Metall- und Elektroindustrie haben Probleme, Auszubildende zu finden. „Aktuell haben wir noch mehr als 6000 freie Ausbildungsplätze in der Metallund Elektroindustrie. Einen so hohen Wert hatten wir seit Jahren nicht mehr“, klagt Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall.
Der Bundesarbeitsminister will dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen. „Wir müssen weiter alles daransetzen, die Ausbildung in Zeiten von Corona zu stärken“, sagte Hubertus Heil (SPD) unserer Redaktion. „Wir kämpfen weiter um jeden Ausbildungsplatz.“Die Bundesregierung versucht, Anreize für die Ausbildung zu schaffen. Bilden Unternehmen gleich viele oder noch mehr Lehrlinge als bisher aus, erhalten sie pro Auszubildenden eine Prämie von 6000 Euro. 150 Millionen Euro seien so bereits in die betriebliche Berufsausbildung investiert worden, sagte Heil: „Das ist gut investiertes Geld in die Zukunft unseres Landes.“
Dem stimmt Markus Jerger, Bundesgeschäftsführer des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW), zu. Doch nur Geld allein reiche nicht, meint der Chef von Deutschlands größtem Mittelstandsverband. „Das Wichtigste ist ein Umdenken in unserer Gesellschaft: Berufliche und akademische Bildung müssen als gleichwertig anerkannt werden“, sagte Jerger.
Mittel- und langfristig sind die Folgen noch nicht absehbar, sollte sich der Trend fortsetzen. Schon vor der Pandemie hatte Deutschland mit akutem Fachkräftemangel zu kämpfen. Jeder fehlende Auszubildende von heute ist eine fehlende Fachkraft von morgen.
Doch es gibt auch Lichtblicke. Etwa auf dem Bau, wo die Zahl der besetzten Lehrstellen um 4,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr anzog. Stark nachgefragt sind in diesen Tagen zudem Handwerker. Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, will das nutzen und spielt dabei die Klimakarte. „Auch wenn ,Klimaschützerin‘ oder ,Klimaschützer‘ kein Ausbildungsberuf ist, eine Ausbildung im Handwerk ist der erste Schritt in diese Richtung“, wirbt Wollseifer. Offenbar fruchten die Bemühungen. Zwar sind noch rund 30.000 Ausbildungsplätze unbesetzt, gemessen am Vorjahr erholt sich das Handwerk aber – im Juni wurden 13 Prozent mehr neue Ausbildungsverträge als noch 2020 geschlossen, im Juli immerhin noch 6,5 Prozent mehr.