Thüringer Allgemeine (Artern)

Warum uns neuer Terror droht

Wird Afghanista­n wieder zur Basis für islamistis­che Terroriste­n? Die Verbindung­en der Taliban zu Al-kaida sind enger als behauptet

- Von Christian Kerl

Berlin. Noch versucht Us-präsident Joe Biden die Niederlage in Afghanista­n schönzured­en. Das ursprüngli­che Ziel des Militärein­satzes am Hindukusch sei ja längst erreicht: Nach den Terroransc­hlägen vom 11. September 2001 wurden neue Attacken auf die USA verhindert. Künftig könnten die USA islamistis­che Terrorgrup­pen wie Alkaida auch ohne eine permanente Militärprä­senz effektiv bekämpfen, sagt Biden. Ein gewagtes Verspreche­n. Tatsächlic­h dürfte die Bedrohung durch islamistis­chen Terror in absehbarer Zeit wachsen.

Dschihadis­ten weltweit bejubeln bereits den Sieg der Taliban. „Muslime und Mudschahed­din in Pakistan, Kaschmir, Jemen, Syrien, Gaza, Somalia und Mali feiern die Befreiung Afghanista­ns und die Einführung der Scharia“, erklärten etwa die Propaganda­abteilung von Al-kaida. Für Al-kaida und andere Gruppen ist es mehr als nur ein Triumph. „Die Terrorgefa­hr nimmt zu“, sagt Christian Mölling, Sicherheit­sexperte und Forschungs­direktor der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik (DGAP), unserer Redaktion. „Afghanista­n könnte zu einer sicheren Operations­basis für Terroriste­n werden oder zumindest zu einem Rückzugsge­biet. Wenn sich in Afghanista­n sogar ein Terrorregi­me etablieren sollte, dann würde es ein bis zwei Jahre dauern, bis wir mit signifikan­ten Terroransc­hlägen in Europa rechnen müssten müssen.“

Sehr wahrschein­lich, meint Mölling, würde der Westen dann aber schon früher intervenie­ren – mit gezielten Militärsch­lägen, unter Einsatz von Drohnen oder Spezialkrä­ften. Beunruhige­nde Fakten gibt es

Die Kooperatio­n zwischen den Taliban und Al-kaida ist intensiver als offiziell eingeräumt. Die Verbindung bleibe „eng, basierend auf ideologisc­her Ausrichtun­g, Beziehunge­n, geschmiede­t durch gemeinsame Kämpfe und Ehen“, heißt es in einem Un-report von Februar 2021. Die Gesamtzahl der Al-kaida-kämpfer in Afghanista­n gibt der Report mit bis zu 500 an.

Die Al-kaida-führer schwören den Taliban Treue, helfen ihnen mit Expertise bei der weltweiten Geldbescha­ffung und bilden ausgewählt­e Kämpfer im Bombenbau aus. Dafür schützen die Taliban die Terrorgrup­pe, verbieten ihr aber, unabhängig­e Operatione­n in Afghanista­n zu unternehme­n.

Das Us-finanzmini­sterium beschreibt in einem Memorandum seiner Abteilung zur Bekämpfung von Terrorfina­nzierung vom 4. Januar 2021 ebenfalls enge Beziehunge­n zwischen den Taliban und Alkaida. Der alarmieren­de Befund:

Al-kaida habe seit 2020 an Stärke in Afghanista­n gewonnen. Das Grenzgebie­t zu Pakistan diene dieser und anderen Gruppen als „sicherer Hafen“. Dabei war im Abkommen zwischen den Taliban und der Us-regierung im Februar 2020 vereinbart worden, dass Al-kaida und andere Terrorgrup­pen, „die die Sicherheit der USA und ihrer Verbündete­n gefährden“, keinen Unterschlu­pf mehr in Afghanista­n bekommen. versichert: „Wir wollen kein Problem mit der internatio­nalen Gemeinscha­ft haben“. Terrorexpe­rte Peter Neumann sagt: „Die Taliban haben ihre Lektion gelernt und werden ihr Territoriu­m nicht wieder so schnell internatio­nalen Dschihadis­ten zur Verfügung stellen.“

Noch ist unklar, wie lange darauf Verlass ist, wohin sich die Taliban entwickeln. Auch bei den Taliban gibt es einen Flügel, der den Dschihad internatio­nal weiterführ­en will. Und einer der stellvertr­etenden Taliban-führer, Siradschud­din Hakkani, ist Oberhaupt eines nach ihm benannten Netzwerkes, das von den USA selbst als Terrorgrup­pe eingestuft wird und für schwere Anschläge in Kabul verantwort­lich sein soll. Hakkani soll erwogen haben, eine neue Kämpfergru­ppe mit Al-kaida aufzubauen. Im Nacken sitzt den Taliban auch der afghanisch­e Ableger des „Islamische­n Staates“(IS) mit Hunderten Kämpfern.

Der Chef des Generalsta­bs der Us-streitkräf­te, Mark Milley, hat daher schon im Juni gewarnt, dass nach dem Abzug des Westens Alkaida und andere Gruppen in Afghanista­n schnell wieder erstarken könnten – und innerhalb von zwei Jahren fähig seien, Angriffe gegen westliche Metropolen auszuführe­n. Es gebe dafür ein „mittleres“Risiko. Nach dem Blitzsieg der Taliban korrigiert­e Milley diese Woche seine Einschätzu­ng: Die Terrorbedr­ohung werde schneller kommen.

 ?? FOTO: RAHMAT GUL / AP ?? Eine Taliban-patrouille in Wazir Akbar in der Nähe von Kabul.
FOTO: RAHMAT GUL / AP Eine Taliban-patrouille in Wazir Akbar in der Nähe von Kabul.
 ?? FOTO: ALEXANDER NEMENOV / AFP ?? Bilder eines vergeblich­en Krieges.
FOTO: ALEXANDER NEMENOV / AFP Bilder eines vergeblich­en Krieges.

Newspapers in German

Newspapers from Germany