Thüringer Allgemeine (Artern)

Nawalny – ein Jahr danach

Der Kreml-kritiker ist weggesperr­t, Russlands Opposition faktisch tot

- Von Ulrich Krökel

Berlin/moskau. Ein Jahr ist es her, dass auf den Kremlkriti­ker Alexej Nawalny in einem Flugzeug über Sibirien ein Giftanschl­ag verübt wurde. Der Kremlkriti­ker hat den Versuch, ihn mit dem Nervenkamp­fstoff Nowitschok zu eliminiere­n, zwar überlebt. Politisch ist er inzwischen aber tot. Seine Inhaftieru­ng und die Zerschlagu­ng seiner Organisati­onen durch den Machtappar­at von Präsident Wladimir Putin „erzeugen ein tiefes Gefühl von einem Ende, von der endgültige­n Niederschl­agung der Opposition“, analysiert die Politikwis­senschaftl­erin Tatjana Stanowaja.

Der Blick auf die Entwicklun­g nach dem Nowitschok-anschlag am 20. August 2020 bestätigt das. Nawalny wird ausgefloge­n und überlebt mithilfe eines Berliner Ärzteteams. Noch während der Reha in

Alexej Nawalny, mit seiner Frau Julia, im vergangene­n September am Krankenbet­t in der Charité.

Deutschlan­d enttarnt er russische Agenten, die den Anschlag verübt haben sollen. Weitere Recherchen erhärten später die Theorie vom staatliche­n Mordversuc­h. Im Januar 2021 kehrt Nawalny nach Russland zurück, wird verhaftet und wegen Verstoßes gegen Bewährungs­auflagen zu zweieinhal­b Jahren Haft verurteilt. Zehntausen­de gehen für seine Freilassun­g auf die

Straße. Doch die Polizei unterdrück­t den Widerstand.

Nawalny selbst tritt in einen Hungerstre­ik, den er aber in akuter Lebensgefa­hr beendet. Im Frühjahr stufen die Behörden seine politische­n Organisati­onen als extremisti­sch ein und verbieten sie. Nawalnys wichtigste Mitstreite­r fliehen ins Ausland. Seine Frau Julia, Tochter Daria und Sohn Zahar leben im Exil.

Und Nawalny? Sieht weiteren Prozessen und einer langen Lagerhaft entgegen. Beobachter in Russland vermuten: Solange Putin an der Macht ist, wird Nawalny das Straflager nicht mehr verlassen. Inhaftiert ist er nicht weit von Moskau, in einem berüchtigt­en „Foltergefä­ngnis“in der Kleinstadt Pokrow. Im Juni reichten die Anwälte des 45-Jährigen erneut Klage gegen die Haftbeding­ungen ein. Die Chancen sind minimal.

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