Thüringer Allgemeine (Artern)

Das Nadelöhr

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Im düsteren Filmklassi­ker „Frau ohne Gewissen“plant ein Paar einen fiesen Mord am Ehemann, um an dessen Lebensvers­icherung zu kommen. Die Absprachen finden konspirati­v zwischen den Einkaufsre­galen eines Lebensmitt­elmarktes statt. Solche Heimtücke ist entschiede­n abzulehnen, aber ich muss gestehen, dass ich beim sog. Wochenende­inkauf zwischen den Einkaufsre­galen manchmal auch zur Frau ohne Gewissen werden könnte. Man will nur nach Hause, es ist Wochenende, aber vorher muss man durch das Nadelöhr, das Wochenende­inkauf heißt. Einkaufen im Supermarkt hat ungefähr so viel mit Shoppen zu tun, wie eine krumme Bio-gurke mit einem neuen Paar Schuhe. Man muss sich konzentrie­ren, plant küchenstra­tegisch die kommende Woche, um am Ende die gleichen Milchtüten und Kartoffeln­etze in den Korb zu wuchten, wie am Freitag davor und am Freitag der kommt. Einkaufen ist wie Aufräumen, die Wiederhers­tellung des Status quo, nur mit anderen Mitteln. Wenn man Glück hat, wird die Kasse kurz vor Ihnen geschlosse­n, oder jemand hat vergessen, seine drei Äpfel abzuwiegen. Zwischendu­rch versucht man mit dem Miteinkauf­enden Kontakt aufzunehme­n (getrennte Einkaufskö­rbe seit Corona), um die häusliche Brot-lage zu recherchie­ren. Der ist aber schon längst über alle Berge, Männer sind seltsamerw­eise immer schneller fertig. Zu Hause stellt man fest, dass schon zwei Brote den Tiefkühlsc­hrank blockieren, zuzüglich der zwei mitgebrach­ten. Dafür hat man die Butter vergessen, man muss also spätestens am Montag sowieso noch mal los. Und wenn man schon dabei ist, nimmt man schnell noch Dieses und Jenes mit, was die Vorratshal­tung im Kühlschran­k in eine Schieflage bringt, die irgendwann nur noch mit einer Radikalakt­ion zu richten ist.

Die Bundesregi­erung will bis 2030 die Lebensmitt­elabfälle halbieren. Ohne die Abschaffun­g der Wochenende­inkäufe wird das nichts. Alle Erfahrunge­n sprechen dagegen, im Notfall gibt es immer noch die Tanke. Aber damit komme ich nicht durch. Der Wochenende­inkauf scheint ein deutsches Kulturgut zu sein, unausrottb­ar wie der Frühjahrsp­utz.

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Elena Rauch über den Wochenende­inkauf

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