10.000 Demonstranten in Gera
AfD, Freie Sachsen und Freies Thüringen vereint. Kaum Proteste bei Einheitsfeiern in Erfurt
Die groß angekündigte Kundgebung sah zunächst so aus, als sollte sie mit Blick auf die Teilnehmerzahl zu einem Fiasko für Christian Klar, den Anmelder aus der rechtsextremen Szene, geraten.
Vor Tagen hatte er noch in einem Live-Stream von 15.000 Demonstranten gesprochen, die er zu seiner Veranstaltung erwartet. Vor wenigen Tagen lag schließlich bei der Thüringer Polizei eine Information über „Kundgebung und Demonstration mit 10.000 Teilnehmern“vor. Und das Ergebnis? Zu Beginn kam nicht einmal die Hälfte der angemeldeten Menschen zur Kundgebung. Die Polizei sprach von 3000 Menschen. Später bestätigte eine Polizeisprecherin dann aber, dass sich 10.000 Personen an dem Protestzug beteiligt hatten.
Zunächst hatte die Kundgebung eher geringen Zulauf. Mit belastbaren Zahlen, wie viele Menschen schlussendlich demonstrierten, tat sich die Polizei lange schwer. Zunächst hieß es nach Demo-Beginn, dass 7000 Personen unterwegs seien, später wurden dann die 10.000 Demonstranten bestätigt. Die kamen aus allen Teilen Thüringens und aus Sachsen. Plakate aus Weimar und Greiz und aus weiteren Orten waren zu sehen.
Die, die von Beginn an vor Ort waren, durften sich über zweieinhalb Stunden vor allem Verschwörungserzählungen und Relativierungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine anhören. Denn in Gera hatte sich viel zweifelhafte Prominenz aus der Szene versammelt. Mit dabei diesmal: der Gründungsvorsitzende der in Sachsen vom dortigen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Kleinstpartei „Freie Sachsen“. Der Anwalt Martin Kohlmann betonte auf der Bühne nicht nur die Einheit mit der Gruppe „Freies Thüringen“, die der hiesige Verfassungsschutz ebenfalls im Fokus hat. Kohlmann instrumentalisierte auch die friedlichen Proteste 1989 und suggerierte den Zuhörern, dass man damals für das, was heute ist, „nicht auf die Straße gegangen“sei. Er behauptete beispielsweise, dass es in der Bundesrepublik in einem Jahr mehr Strafverfahren gegeben habe wegen vorgeblicher „Meinungsdelikte“, als in der gesamten Geschichte der DDR – ohne, dass er seine Behauptung unterlegt hätte. Außerdem würden die Menschen im Land wie in der DDR überwacht. Kohlmann geißelte außerdem, dass es eine Schulpflicht gebe und erklärte, dass in Deutschland, wie in der DDR, wieder Bücher verboten werden sollten – und bezog sich auf die jüngste Debatte um „Winnetou“, in der allerdings ein Verbot der Karl-May-Werke nie wirklich zur Debatte gestanden hatte.
Höcke: Phrasendrescherei bei den Einheitsfeierlichkeiten Neben dem sichtbaren Schulterschluss von „Freies Thüringen“und „Freie Sachsen“macht auch die Thüringer AfD keinen Hehl mehr daraus, dass sie diese Gruppierungen unterstützt und sich als ihr parlamentarischer Arm sieht. Thüringens AfD-Chef Björn Höcke kündigte an, dass seine Partei im Jahr 2024 „mit eurer Hilfe die Machtfrage“stellen werde. In zwei Jahren stehen in Thüringen die nächsten regulären Landtagswahlen an. Höcke, der eine halbe Stunde redete, hatte nach eigenen Angaben die Einladung zu den zentralen Feierlichkeiten der „Deutschen Einheit“in Erfurt ausgeschlagen, an denen er als Fraktionsvorsitzender einer Landtagspartei hätte teilnehmen können. Warum? Das rief er den Demonstranten zu: „Erfurt, das ist heute politische Phrasendrescherei.
das ist heute politischer Klartext.“Wie der aus seiner Sicht aussieht, dass machte er dann auch direkt deutlich. Russland nannte er den „natürlichen Partner“Deutschlands und erklärte: „Wir wollen Frieden. Von deutschen Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen.“Das Russlands Präsident Wladimir Putin allerdings den Befehl gegeben hat, die Ukraine anzugreifen, fiel dabei geflissentlich unter den Tisch.
Gegen die Kundgebung, auf der zahlreiche Flaggen aus der Reichsbürgerund rechtsextremen Szene gezeigt wurde, hatten sich 370 Menschen zu einer Demonstration zusammengefunden, die über eine Stunde durch Gera führte. Dabei ordnete die Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss (Linke) die Organisatoren der sogenannten Spaziergänge ein und zeigte Verbindungen in die rechtsextreme Szene in Thüringen auf.
Keine Zusammenstöße der politischen Lager
Nach Angaben der Polizei blieb es bis zum Abend, als die Demonstration gegen 19 Uhr startete, ruhig – abgesehen von einem kleineren Gerangel, weil sich Teilnehmer der Kundgebung mit Presseberichterstattung nicht einverstanden zeigten, was die Polizei schnell klärte.
Auch bei den zentralen Feierlichkeiten zur Deutschen Einheit in Erfurt hatte die Polizei mit Blick auf Protest und Kundgebungen keinerlei Probleme. Über die drei Tage des Bürgerfestes gab es vereinzelte kleinere Kundgebungen. Die einzige angemeldete Aktion am Einheitsfeiertag hatte die kommunistische MLPD am Montagvormittag auf dem Fischmarkt organisiert. Dort kamen etwa 40 Personen, hörten eine Rede des Landesvorsitzenden Tassilo Timm. Er warf dem Ostbeauftragten Carsten Schneider (SPD) aus Erfurt vor, die Situation 32 Jahre nach der Wiedervereinigung „schönzureden“. Statt das zu tun, solle Schneider die real existierenden Probleme anpacken und sie beseitigen -- „oder zurücktreten“.
Rücktritt war auch das große Thema in Gera. Auf mehreren Plakaten und in mehreren Reden wurde die Bundesregierung zum Rücktritt aufgefordert – zum Beispiel von Redner Ralph Eckardt vom sogenannten „Neuen Schmalkalder Bund“, der in Schmalkalden die sogenannten Spaziergänge organisiert. Eckardt stellte sich mit dem Zusatz „aus der Familie“vor. Dieser Code wird vor allem in der Reichsbürgerszene verwendet.