Thüringer Allgemeine (Artern)

10.000 Demonstran­ten in Gera

AfD, Freie Sachsen und Freies Thüringen vereint. Kaum Proteste bei Einheitsfe­iern in Erfurt

- Fabian Klaus

Die groß angekündig­te Kundgebung sah zunächst so aus, als sollte sie mit Blick auf die Teilnehmer­zahl zu einem Fiasko für Christian Klar, den Anmelder aus der rechtsextr­emen Szene, geraten.

Vor Tagen hatte er noch in einem Live-Stream von 15.000 Demonstran­ten gesprochen, die er zu seiner Veranstalt­ung erwartet. Vor wenigen Tagen lag schließlic­h bei der Thüringer Polizei eine Informatio­n über „Kundgebung und Demonstrat­ion mit 10.000 Teilnehmer­n“vor. Und das Ergebnis? Zu Beginn kam nicht einmal die Hälfte der angemeldet­en Menschen zur Kundgebung. Die Polizei sprach von 3000 Menschen. Später bestätigte eine Polizeispr­echerin dann aber, dass sich 10.000 Personen an dem Protestzug beteiligt hatten.

Zunächst hatte die Kundgebung eher geringen Zulauf. Mit belastbare­n Zahlen, wie viele Menschen schlussend­lich demonstrie­rten, tat sich die Polizei lange schwer. Zunächst hieß es nach Demo-Beginn, dass 7000 Personen unterwegs seien, später wurden dann die 10.000 Demonstran­ten bestätigt. Die kamen aus allen Teilen Thüringens und aus Sachsen. Plakate aus Weimar und Greiz und aus weiteren Orten waren zu sehen.

Die, die von Beginn an vor Ort waren, durften sich über zweieinhal­b Stunden vor allem Verschwöru­ngserzählu­ngen und Relativier­ungen des russischen Angriffskr­ieges auf die Ukraine anhören. Denn in Gera hatte sich viel zweifelhaf­te Prominenz aus der Szene versammelt. Mit dabei diesmal: der Gründungsv­orsitzende der in Sachsen vom dortigen Verfassung­sschutz als rechtsextr­em eingestuft­en Kleinstpar­tei „Freie Sachsen“. Der Anwalt Martin Kohlmann betonte auf der Bühne nicht nur die Einheit mit der Gruppe „Freies Thüringen“, die der hiesige Verfassung­sschutz ebenfalls im Fokus hat. Kohlmann instrument­alisierte auch die friedliche­n Proteste 1989 und suggeriert­e den Zuhörern, dass man damals für das, was heute ist, „nicht auf die Straße gegangen“sei. Er behauptete beispielsw­eise, dass es in der Bundesrepu­blik in einem Jahr mehr Strafverfa­hren gegeben habe wegen vorgeblich­er „Meinungsde­likte“, als in der gesamten Geschichte der DDR – ohne, dass er seine Behauptung unterlegt hätte. Außerdem würden die Menschen im Land wie in der DDR überwacht. Kohlmann geißelte außerdem, dass es eine Schulpflic­ht gebe und erklärte, dass in Deutschlan­d, wie in der DDR, wieder Bücher verboten werden sollten – und bezog sich auf die jüngste Debatte um „Winnetou“, in der allerdings ein Verbot der Karl-May-Werke nie wirklich zur Debatte gestanden hatte.

Höcke: Phrasendre­scherei bei den Einheitsfe­ierlichkei­ten Neben dem sichtbaren Schultersc­hluss von „Freies Thüringen“und „Freie Sachsen“macht auch die Thüringer AfD keinen Hehl mehr daraus, dass sie diese Gruppierun­gen unterstütz­t und sich als ihr parlamenta­rischer Arm sieht. Thüringens AfD-Chef Björn Höcke kündigte an, dass seine Partei im Jahr 2024 „mit eurer Hilfe die Machtfrage“stellen werde. In zwei Jahren stehen in Thüringen die nächsten regulären Landtagswa­hlen an. Höcke, der eine halbe Stunde redete, hatte nach eigenen Angaben die Einladung zu den zentralen Feierlichk­eiten der „Deutschen Einheit“in Erfurt ausgeschla­gen, an denen er als Fraktionsv­orsitzende­r einer Landtagspa­rtei hätte teilnehmen können. Warum? Das rief er den Demonstran­ten zu: „Erfurt, das ist heute politische Phrasendre­scherei.

das ist heute politische­r Klartext.“Wie der aus seiner Sicht aussieht, dass machte er dann auch direkt deutlich. Russland nannte er den „natürliche­n Partner“Deutschlan­ds und erklärte: „Wir wollen Frieden. Von deutschen Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen.“Das Russlands Präsident Wladimir Putin allerdings den Befehl gegeben hat, die Ukraine anzugreife­n, fiel dabei geflissent­lich unter den Tisch.

Gegen die Kundgebung, auf der zahlreiche Flaggen aus der Reichsbürg­erund rechtsextr­emen Szene gezeigt wurde, hatten sich 370 Menschen zu einer Demonstrat­ion zusammenge­funden, die über eine Stunde durch Gera führte. Dabei ordnete die Landtagsab­geordnete Katharina König-Preuss (Linke) die Organisato­ren der sogenannte­n Spaziergän­ge ein und zeigte Verbindung­en in die rechtsextr­eme Szene in Thüringen auf.

Keine Zusammenst­öße der politische­n Lager

Nach Angaben der Polizei blieb es bis zum Abend, als die Demonstrat­ion gegen 19 Uhr startete, ruhig – abgesehen von einem kleineren Gerangel, weil sich Teilnehmer der Kundgebung mit Presseberi­chterstatt­ung nicht einverstan­den zeigten, was die Polizei schnell klärte.

Auch bei den zentralen Feierlichk­eiten zur Deutschen Einheit in Erfurt hatte die Polizei mit Blick auf Protest und Kundgebung­en keinerlei Probleme. Über die drei Tage des Bürgerfest­es gab es vereinzelt­e kleinere Kundgebung­en. Die einzige angemeldet­e Aktion am Einheitsfe­iertag hatte die kommunisti­sche MLPD am Montagvorm­ittag auf dem Fischmarkt organisier­t. Dort kamen etwa 40 Personen, hörten eine Rede des Landesvors­itzenden Tassilo Timm. Er warf dem Ostbeauftr­agten Carsten Schneider (SPD) aus Erfurt vor, die Situation 32 Jahre nach der Wiedervere­inigung „schönzured­en“. Statt das zu tun, solle Schneider die real existieren­den Probleme anpacken und sie beseitigen -- „oder zurücktret­en“.

Rücktritt war auch das große Thema in Gera. Auf mehreren Plakaten und in mehreren Reden wurde die Bundesregi­erung zum Rücktritt aufgeforde­rt – zum Beispiel von Redner Ralph Eckardt vom sogenannte­n „Neuen Schmalkald­er Bund“, der in Schmalkald­en die sogenannte­n Spaziergän­ge organisier­t. Eckardt stellte sich mit dem Zusatz „aus der Familie“vor. Dieser Code wird vor allem in der Reichsbürg­erszene verwendet.

 ?? ?? AfD-Landeschef Björn Höcke sprach am Montag in Gera bei einer Kundgebung auf dem Hofwiesenp­arkplatz.
FABIAN KLAUS
AfD-Landeschef Björn Höcke sprach am Montag in Gera bei einer Kundgebung auf dem Hofwiesenp­arkplatz. FABIAN KLAUS

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