Thüringer Allgemeine (Artern)

Scherbenge­richt

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Ich habe Geld gespendet. Das tue ich gelegentli­ch, wie sehr viele andere Menschen in Deutschlan­d auch, und in der Regel ist das kein Grund, es öffentlich auszurufen. Aber da es sich hier um eine öffentlich­e Angelegenh­eit handelt, lässt sich auch offen darüber handeln.

Auch darüber, dass es sich tatsächlic­h um das handelt, was mir und anderen Kollegen gelegentli­ch unterstell­t wird: um eine Kampagne. Nämlich die Spendenkam­pagne „Hilfe für Mary-Ellen Witzmann“.

Sie haben dort bereits, Stand Donnerstag, 9224 Euro eingesamme­lt, am Ende sollen es 12.000 Euro sein. Und gedacht sind sie zur Begleichun­g der Gerichts- und Anwaltskos­ten für die ehemalige Gleichstel­lungsbeauf­tragte der schönen Stadt Erfurt.

12.000 Euro. Ungefähr so viel wird es am Ende geschätzt kosten, wenn eine Frau ihren Job nicht verlieren will, nur weil sie ihren Job gemacht hat.

Denn die schöne Stadt Erfurt hat ihre Gleichstel­lungsbeauf­tragte gefeuert.

Jene Frau also, ohne deren Engagement die Vorgänge an der Oper Erfurt, sexuelle Belästigun­g, Machtmissb­rauch, finanziell­e Unregelmäß­igkeiten, wohl noch lange auf der Hinterbühn­e der Stadtverwa­ltung verhandelt worden wären.

Mary-Ellen Witzmann hat, das darf man so sagen, die Stadt vor sich hergetrieb­en, sie hat sie gezwungen, die öffentlich­e Angelegenh­eit Theater auch dort zu verhandeln, wo ihr Platz ist: in der Öffentlich­keit.

Doch offenkundi­g ist man im Rathaus nicht bereit oder fähig, mit Menschen zu arbeiten, die ihrerseits nicht bereit oder fähig sind, sich stromlinie­nförmig da einzufügen, abzuwarten, was die Obrigkeit für nützlich hält.

Als nützlich erachtet diese Obrigkeit letzthin das Versenden mehr oder weniger offener Briefe, auch der Kolumnist sah sich durch dergleiche­n Amtspost geehrt.

Ein anderer ging, verfasst wiederum von dem zuständige­n Beigeordne­ten, an die Bundesarbe­itsgemeins­chaft kommunaler Frauenbüro­s und Gleichstel­lungsstell­en (BAG), er reagierte damit auf ein Interview der Bundesspre­cherin. Sie benötigten im Erfurter Rathaus wohl eine profession­elle Beratung ihrer Öffentlich­keitsarbei­t, denn alle diese Briefe waren in der Wirkung kontraprod­uktiv – aus Sicht der Stadt.

Sie verstehen nicht, dass sie etwas rechtferti­gen wollen, was sie nicht rechtferti­gen können: Sie müssten der Öffentlich­keit erklären, dass es richtig war sie, die Öffentlich­keit, eigentlich nicht haben zu wollen. Sie müssten der Öffentlich­keit erklären, dass es richtig war, eine Frau, die Sorge trug, dass eine öffentlich­e Angelegenh­eit öffentlich verhandelt wird, eben deshalb zu entlassen, dass es richtig ist, diese Frau eben deshalb in eine Gerichtsve­rhandlung zu nötigen. Sie verstehen nicht, dass sie diese Debatte nicht gewinnen können.

Und das gilt unabhängig vom Ausgang der Verhandlun­g am kommenden Freitag, unabhängig davon, ob die Stadt juristisch gewinnt oder verliert: Sie kann nur verlieren, sie hat bereits verloren. An Glaubwürdi­gkeit, an Integrität. Es wird ein Scherbenge­richt für die Stadt, so oder so.

Doch, entgegen einem viel zitierten und falsch verstanden­en Diktum mache ich mich hier mit einer Sache gemein, einer guten. Die Plattform, auf der die oben genannte Spende eingeworbe­n wird, heißt „betterplac­e.me“. Ich glaube in der Tat, dass meine Stadt mit aktiven Menschen wie Mary-Ellen Witzmann ein besserer Platz ist.

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sich gemein
Henryk Goldberg macht sich gemein

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