Ein kleiner Sensationsfund
Über die Entdeckung eines unbekannten Schülers von Johann Sebastian Bach aus Bretleben
Wie eine Vielzahl Thüringer Orte weisen auch Dörfer in der Kyffhäuserregion und der Stadt An der Schmücke eine große musikalische Tradition innerhalb des Musiklandes Thüringen auf. Das hat Hobby-Geschichtsforscherin Ines Telle herausgefunden, die sich inzwischen seit zwei Jahren mit der Kirchen- und Musikgeschichte der Region befasst. Ende 2021 hatte die Baden-Württembergerin bei einem Kurzurlaub im Thüringer Becken die Landschaft entlang der Unstrut erkundet und dabei eine Vielzahl baulicher Kleinode mit geschichtlichem Hintergrund entdeckt und war sofort verliebt in die Region, die sie seither nicht mehr loslässt. Dabei hat es ihr vor allem Gorsleben angetan, in dessen Kirchgemeinde sie inzwischen Mitglied ist.
Die kleinen Orte an der Schmücke bieten aus Telles Sicht eine „musikalische Entdeckungsreise“zu bekannten und unbekannten Namen der Musikgeschichte von Sethus Calvisius (Gorsleben) und Constantin Christian Dedekind (Reinsdorf) über Franz Stöpel (Oberheldrungen) und Hans Georg Tromlitz (Reinsdorf) zu zahlreichen weiteren Komponisten, Kantoren, Organisten
und Orgelbauern an. In diesem Zusammenhang will sie die umfangreichen Hinweise auf Adjuvantenchöre, die über Jahrhunderte in den Dörfern der Stadt An der Schmücke existierten, nicht unerwähnt lassen. Bei ihrer inzwischen über zweijährigen Archivarbeit zur Musikgeschichte der Dörfer der Stadt gelang Ines Telle nun ein besonderer Fund: Johannes
Jakob Carl. „Er war ein Schüler von Johann Sebastian Bach, dem einzigen äußerst berühmten Organisten der Familie Bach, welcher sich vor dem Jahre 1710 in Mühlhausen aufhielt. Am 21. Mai 1689 wurde Johannes Jakob Carl in Bretleben geboren. Dank der Unterstützung von Wohltätern und Patronen konnte er die Akademie zunächst in Mühlhausen und ab 1710 in Frankenhausen
besuchen“, verrät sie. „In seinem Lebenslauf steht: ‚Denn was das Studium der Musik, ganz besonders das der Orgel betrifft, genoss ich sehr den Unterricht des Herrn Bach, des äußerst berühmten Organisten von Mühlhausen.‘“
Nach dem von Bach erhaltenen Unterricht verfeinerte Johannes Jakob Carl laut Telle dreißig Jahre lang sein erworbenes Können als
Cantor in Hauteroda. „Weitere Details aus meinen Recherchen zur Biografie von Johannes Jakob Carl werde ich beim Forum Thüringische Musikgeschichte am 2. Juni in Gorsleben vortragen“, kündigt Telle an. Veranstalter des Forums sind die Academia Musicalis Thuringiae e. V. und das Thüringische Landesmusikarchiv, beide mit Sitz in Weimar.
Das Forum präsentiert mehrere Vorträge und ist Teil der diesjährigen Thüringer Adjuvantentage, die es seit 2008 gibt und die in diesem Jahr vom 31. Mai bis 2. Juni in den Orten Gorsleben, Hemleben, Hauteroda, Oberheldrungen und Etzleben stattfinden. Die Existenz der Adjuvantentage geht auf die reiche Musikkultur auf den Thüringer Dörfern des 16. bis 18. Jahrhunderts zurück, die als europaweit einzigartig beschrieben wird. Demnach halfen (= lat. adjuvare) Bauern und Handwerker an Sonntagen dem Kantor bei der musikalischen Ausgestaltung der Gottesdienste, woraus sich mit der Zeit die sogenannten Adjuvantenchöre entwickelten, die Vorläufer der heutigen Gemeindeund Kirchenchöre.