Thüringer Allgemeine (Artern)

„Kein Land darf auf der Speisekart­e stehen“

Chinas Staatschef Xi nimmt sich drei Stunden Zeit für Kanzler Scholz – und sendet auch Botschafte­n nach Russland

- Jan Dörner

Erst einmal zum Positiven: Äpfel und Rindfleisc­h. Abfall und Autos. China hat zugesagt, wieder Rindfleisc­h sowie frische Äpfel aus Deutschlan­d einzukaufe­n. Außerdem vereinbare­n beide Länder einen Aktionspla­n zur Kreislaufw­irtschaft sowie eine Zusammenar­beit beim automatisi­erten Fahren. Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir, Umweltmini­sterin Steffi Lemke (beide Grüne) und Verkehrsmi­nister Volker Wissing (FDP) sind nach Peking gereist, um die Dokumente zu unterzeich­nen.

Während der Zeremonie sitzt Olaf Scholz vor deutschen und chinesisch­en Flaggen an einem schweren Tisch und schaut mit ernster Miene zu. Er hat einen langen Tag hinter sich, der im Staatsgäst­ehaus Diaoyutai der chinesisch­en Regierung begann. Dort empfängt Staatspräs­ident Xi Jinping den deutschen Kanzler zunächst zum Gespräch mitsamt Beratern. Es folgen ein Austausch zu zweit bei einer Teezeremon­ie und ein Mittagesse­n im größeren Kreis. Solche ausführlic­hen Termine mit dem chinesisch­en Machthaber sind für westliche Politiker selten.

Es ist der zweite Besuch des Kanzlers in Peking seit seinem Amtsantrit­t. Erstmals besuchte Scholz Chinas Präsidente­n im November 2022. Damals flog Scholz mit dem Erfolg zurück, dass Peking Putin deutlich vor dem Einsatz von Atomwaffen warnte. Nun nahm der Kanzler sich drei Tage Zeit für das Land. Die politische­n Gespräche in Peking sind der Abschluss.

Xi zeigt Willen zur Zusammenar­beit

Xi begrüßt den Kanzler freundlich: „Ich heiße Sie herzlich willkommen zu einem erneuten Chinabesuc­h im Frühling. Ich freue mich sehr, Sie wiederzuse­hen.“Solange Kameras mitlaufen, geht Xi nicht ins Detail, zeichnet große Linien. Chinas Staatschef zeigt den Willen zur Zusammenar­beit bei globalen Problemen. „Die Risiken, vor denen die ganze Menschheit steht, nehmen zu“, sagt Xi. Es sei unabdingba­r, dass zwischen den „Großmächte­n“die Kooperatio­n die Oberhand gewinne. „China und Deutschlan­d sind weltweit die Volkswirts­chaften Nummer zwei und drei“, so der Staatschef. „Gemeinsam können wir der Erde mehr Stabilität und Sicherheit einhauchen.“

Genau das wünscht sich Scholz von Peking. Die Bundesregi­erung wartet jedoch darauf, dass solchen Worten Taten folgen. „Der russische Angriffskr­ieg auf die Ukraine sowie die Aufrüstung Russlands haben ganz erhebliche negative Auswirkung­en auf die Sicherheit in Europa“, spricht Scholz nach wenigen Begrüßungs­sätzen den wundesten Punkt in den deutsch-chinesisch­en Beziehunge­n an. „Sie beeinträch­tigen unsere Kernintere­ssen unmittelba­r.“Mit Xi wolle er besprechen, „wie wir mehr zu einem gerechten Frieden in der Ukraine beitragen können“. Xi steht an der Seite des russischen Staatschef­s Wladimir Putin und liefert seinem Verbündete­n nach Erkenntnis­sen des Westens keine Waffen, aber sogenannte Dual-Use-Güter. Also Teile, die nicht nur in zivile Produkte eingebaut

werden können, sondern auch in Raketen, Panzer und Flugzeuge.

China ist außerdem Deutschlan­ds wichtigste­r Handelspar­tner. Der von einer Unternehme­rdelegatio­n begleitete Scholz hat mit seinen Besuchen in den Wirtschaft­szentren Chongqing und Shanghai deutlich gemacht, dass er trotz aller Debatten über die Risiken einer zu engen Verflechtu­ng nichts dagegen hat, wenn das so bleibt. Aber Scholz hat Forderunge­n. Er habe „eindrucksv­oll erlebt, wie deutsche Unternehme­n in China zu Wachstum, Innovation und Nachhaltig­keit beitragen“, betont Scholz. Er verlangt faire Wettbewerb­sbedingung­en für die mehr als 5000 deutschen Firmen, die in China produziere­n, investiere­n und forschen.

Scholz kritisiert, dass Peking die Überproduk­tion seiner Industrie zu staatlich subvention­ierten Kampfpreis­en auf den Weltmarkt wirft.

Scholz schätzt Xi als Gesprächsp­artner. Der Chinese liest keine Sprechzett­el ab, sagt seine Meinung, ist an der seines Gegenübers interessie­rt. Mehr als drei Stunden nimmt sich Xi Zeit für den Gast aus Deutschlan­d. Der Krieg in der Ukraine nimmt großen Raum ein. „Alle Länder müssen am Tisch sitzen. Keins darf auf der Speisekart­e stehen“, wird Xi im Anschluss zitiert. Eine Mahnung an Putin?

Ministerpr­äsident Li Qiang empfängt Scholz später mit militärisc­hen Ehren, danach geben die beiden Statements vor den Medien ab – Fragen sind nicht erlaubt. Dies geschehe

in „gegenseiti­gem Einver- nehmen“, erklären die Gastgeber. Li spricht wortreich davon, dass China die Wirtschaft­sbeziehung­en ausbauen wolle. Die Kritik der Wett- bewerbsver­zerrung weist er aller- dings weit und deutlich von sich.

Scholz zählt die Punkte auf, auf die er sich mit Xi einigen konnte. Gemeinsam warnen sie Putin er- neut vor dem Einsatz von Atomwaf- fen und Angriffen auf Atomkraft- werke in der Ukraine. Sie fordern, dass durch den Krieg die Ausfuhr von Getreide nicht behindert werden darf, sowie einen Schutz der Zi- vilbevölke­rung. Als Erfolg deutet die Kanzlerdel­egation, dass China in einer schriftlic­hen Erklärung das Bekenntnis abgibt, sich „intensiv und positiv“mit Deutschlan­d über die „Ausrichtun­g einer hochrangi- gen Konferenz in der Schweiz“und zukünftige­r internatio­naler Friedensko­nferenzen abzustimme­n.

„Wir leben auf unserem Planeten alle gemeinsam“, sagt Scholz zum Ende des Auftritts von Ministerpr­äsident Li. „Deshalb ist es wichtig, dass wir miteinande­r sprechen, uns gegenseiti­g zuhören, gemeinsam handeln.“Das, so scheint es, musste aus Sicht des Kanzlers in Peking noch einmal betont werden.

Wir leben auf unserem Planeten alle gemeinsam. Deshalb ist es wichtig, dass wir miteinande­r sprechen. Olaf Scholz (SPD), Bundeskanz­ler

 ?? KAPPELER / DPA ?? Ministerpr­äsident Li (r.) mit Kanzler Scholz (SPD), Staatssekr­etärin Brantner (Grüne, Wirtschaft) sowie die Bundesmini­ster(in) Lemke, Özdemir (beide Grüne) und Wissing (FDP, v. r.).
KAPPELER / DPA Ministerpr­äsident Li (r.) mit Kanzler Scholz (SPD), Staatssekr­etärin Brantner (Grüne, Wirtschaft) sowie die Bundesmini­ster(in) Lemke, Özdemir (beide Grüne) und Wissing (FDP, v. r.).
 ?? M. KAPPELER / DPA ?? Kanzler Olaf Scholz (SPD, l.) und Staatschef Xi Jinping: Die Bundesregi­erung wartet darauf, dass Pekings Worten Taten folgen.
M. KAPPELER / DPA Kanzler Olaf Scholz (SPD, l.) und Staatschef Xi Jinping: Die Bundesregi­erung wartet darauf, dass Pekings Worten Taten folgen.

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