Thüringer Allgemeine (Artern)

In den Tunneln des Mussolini-Bunkers

Besucher erleben in den Schutzräum­en des früheren Diktators die Schrecken des Krieges

- Micaela Taroni

Rom. Steile Treppen führen die Besucher sechs Meter in die Tiefe. Ein Gefühl der Enge entsteht in den 15 Meter langen, kreisförmi­gen Tunneln, die durch eine vier Meter dicke Stahlbeton­wand geschützt sind. Sie führen hinein in den historisch­en Mussolini-Bunker in Rom, direkt unter der einstigen Residenz des Duce, der Villa Torlonia.

81 Jahre nach Baubeginn sind die privaten Schutzräum­e des früheren italienisc­hen Diktators Benito Mussolini wieder zugänglich. Eine Attraktion, die reichlich Besucher anlockt. Führungen setzen so sehr auf Authentizi­tät, dass sich bei den Interessie­rten eine beklemmend­e Stimmung breitmacht. Manche halten sich sogar die Ohren zu, als das Geheul von Sirenen ertönt. Dann scheint es, als wären Flugzeuge ganz nah über einem. Ein Luftangrif­f wird simuliert, es gibt Detonation­en und Bodenersch­ütterungen. Die Besucher zucken zusammen.

Die Menschen wirken erschütter­t von der Simulation des Krieges. Das Szenario des Schreckens soll Geschichte erfahrbar machen, erklärt Reiseführe­rin Carmela, die eine Gruppe von 20 Besuchern durch den Bunker führt. „So erhält man eine Ahnung von den Gefühlen der Menschen, die sich vor einem Bombenangr­iff in die Luftschutz­keller flüchten mussten.“

Der Kontrast zu den Bildern des Bombenangr­iffs auf Rom im Jahr 1943 könnte stärker nicht sein. Sie wühlen auf und wecken Erinnerung­en an das, was Familien durchleben mussten. Ein älterer Herr aus Rom ringt um Fassung: „Meine Schwester, die heute 87 Jahre alt ist, wurde als Sechsjähri­ge in einen Luftschutz­keller gebracht, um sich vor den Bombenansc­hlägen zu retten. Noch heute erinnert sie sich an die große Angst, die sie damals fühlte.“

Schutzräum­e sollen Teil der Erinnerung­skultur werden

Die Ausstellun­g, die von den Historiker­innen Federica Pirani und Annapaola Agati in Zusammenar­beit mit dem römischen Kulturamt und der Gesellscha­ft Zetema im Mussolini-Bunker organisier­t wurde, geht mit vielen Details in die Zeit des Zweiten Weltkriege­s zurück. Auch dank der Videobeitr­äge des Filminstit­uts Istituto Luce wird eine der dunkelsten Zeiten der Stadt Rom beleuchtet, die von Juli 1943 bis Mai 1944 insgesamt 51 Luftangrif­fen ausgesetzt war.

Auch die Beiträge von Wochenscha­uen aus dieser dramatisch­en Zeit, die die Bombardier­ung Roms, insbesonde­re den Angriff auf den Stadtteil San Lorenzo zeigen, scheinen die Besucher in tiefe Traurigkei­t

zu versetzen. Erläuterun­gen zum Bau versachlic­hen die Beklemmung kaum: Der Bunker galt seinerzeit als Beispiel innovativs­ter Technik. Die Decke besteht aus einer vier Meter dicken Stahlbeton­schicht, die Außenwände sind 120 Zentimeter dick. Eine Belüftungs­anlage sicherte bei Giftgasang­riffen bis zu sechs Stunden lang frische Atemluft für 15 Personen.

In Mussolinis Bunker haben nie Zivilisten Schutz gefunden, ebenso wenig der Diktator selbst. Bei dessen Sturz am 25. Juni 1943 war der Bunker noch nicht fertiggest­ellt. Dass er überhaupt gebaut wurde, lag daran, dass der Duce ahnte, wie sehr sein Leben in Gefahr war. Am 13. Juli 1943 wollte der britische Marschall Charles Portal im Rahmen der Operation „Dux“Benito

Mussolini mit zwei simultanen Bombenatta­cken in Rom vernichten. Ein Fliegerang­riff sollte Mussolinis Hauptquart­ier im Palazzo Venezia im Herzen der Ewigen Stadt zerstören. Ein zweiter Angriff sollte sich gegen seine Residenz in der Villa Torlonia richten.

Mithilfe von Videos und historisch­en Fotos erfahren die Bunkerbesu­cher auch vieles aus dem prallen Leben des Diktators in der Villa. Von 1925 bis 1943 lebte der Duce mit seiner Familie in dem prächtigen Anwesen. Hier veranstalt­ete er Feste, organisier­te politische Treffen, feierte die Hochzeit seiner Tochter Edda mit dem faschistis­chen Politiker Galeazzo Ciano und beteiligte sich, sportbegei­stert wie er war, an Tennismatc­hes und Reitübunge­n.

Nach dem Ende der Diktatur wurde Mussolinis Villa von 1944 bis 1947 als amerikanis­che Soldatenun­terkunft genutzt. Dabei verfiel das Gebäude komplett. Die Stadt Rom, in deren Eigentum sie sich seit 1978 befindet, wusste nie so recht, was sie mit diesem Erbe anfangen sollte. Seither wurde die Villa komplett restaurier­t und ist seit 2006 für die Öffentlich­keit zugänglich.

Der Park dahinter, ein beliebter Treffpunkt der Römer, soll ein Ort der Erinnerung­skultur werden. Bald soll hier ein Holocaust-Museum entstehen. Zehn Millionen Euro investiert der italienisc­he Staat in das Projekt. Im Museum sollen Erinnerung­sstücke, Fotos und Filme über die deutsche Besatzungs­zeit informiere­n und an die Schreckens­herrschaft erinnern.

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Vor seinem Sturz ließ Benito Mussolini private Schutzräum­e bauen – genutzt hat er sie nie.
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Beklemmend eng: Die Tunnel sind von vier Meter dickem Stahlbeton geschützt.
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MONKEYS VIDEO LAB / PR (3) Die Villa Torlonia des Duce. Die Schutzräum­e liegen unter dem Gebäude.

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