Vom Thüringer Wald zum Eiffelturm
Emma Götz war Junioren-Weltmeisterin im Bahnradsprint. Nun startet die Erfurterin beim Rennsteiglauf – und fiebert dem Jedermann-Marathon bei Olympia in Paris entgegen
Erfurt. Als Radsportlerin stand Emma Götz schon mal ganz oben – mit Gold bei der Junioren-Weltmeisterschaft. Nun startet die einstige Bahnradsprinterin zum ersten Mal beim Rennsteiglauf-Marathon. Der legendäre Cross durch Thüringens Wälder jedoch ist nur eine Zwischenstation. Am 10. August geht für die 23-jährige Erfurterin am Fuße des Eiffelturms ein Traum in Erfüllung. Sie ist Teilnehmerin des Jedermann-Marathons „Le Marathon Pour Tous“, der im Rahmen der Olympischen Sommerspiele in Paris ausgetragen wird.
„Ich war noch nie in Paris, wollte als junge Radsportlerin auch Olympia erleben. Dass ich nun auf diese Weise dabei sein kann, ist großartig“, sagt Götz mit einem Strahlen im Gesicht. Lediglich 2024 Startplätze – passend zur Jahreszahl – wurden vergeben. Verlost wurden die begehrten Plätze über eine App, sportliche Betätigungen vorausgesetzt. Herausforderungen mussten gemeistert werden wie diese: Laufe 18 Kilometer am Wochenende.
Das Glück war ihr aber erst hold, als sie sich beim Team Deutschland für einen freien Platz via Instagram bewarb. Nach einem Video-Interview hörte sie ein paar Wochen nichts. Bis sie sich mit ihrem Vater Stefan, selbst passionierter Läufer und Radfahrer, in ihrer Wohnung in Erfurt verabredete und er sie dort mit einem Kamerateam im Schlepptau und der frohen Botschaft überraschte, dass sie in Paris dabei sein würde. „Ich bin aus allen Wolken gefallen, habe damit nie gerechnet“, sagt Götz.
Corona-Krise raubte jegliche Motivation
Der Rennsteiglauf ist nun der letzte Test, die Generalprobe auf Paris sozusagen. „Normalerweise hätte ich danach Urlaub gemacht, das Laufen reduziert. So werde ich weiter trainieren“, sagt die Erfurterin, die im vergangenen Jahr beim Halbmarathon zum ersten Mal auf dem Rennsteig unterwegs war.
Dabei hatte die junge Thüringerin mit dem Laufen nichts am Hut. „Ich habe es gehasst“, sagt sie beim Blick zurück und muss lachen. Beim Bahnradsprint war nämlich das Gegenteil von dem gefordert, was einen Marathon ausmacht. Im Rennsattel kam es darauf an, in Bruchteilen von Sekunden für eine kurze Zeit das höchste Tempo zu erreichen. Nun ist Ausdauer gefragt.
Götz begann beim RV Elxleben mit dem Radsport, trainierte zusammen mit Olympiasiegerin Kristina Vogel, ging mit Weltmeisterin Pauline Grabosch an den Start und feierte im August 2018 den Höhepunkt ihrer Karriere. Im schweizerischen Aigle wurde sie an der Seite von Lea-Sophie Friedrich und AlessaCatriona Pröpster Junioren-Weltmeisterin im Teamsprint.
Doch die Corona-Krise raubte ihr jegliche Motivation – und dem Radsport ein großes Talent. Als sie im März 2020 aus dem Trainingslager auf Mallorca zurückkehrte, wähnte sie sich plötzlich in einer anderen
Welt. Sie meisterte zwar ihr Abitur. Abiball, Zeugnisausgabe, Abschlussfahrt? Alles ausgefallen. Mindestens genauso schlimm: Fortan musste sie allein trainieren, saß zu Hause einsam auf der Rolle und stemmte Gewichte. Es gab plötzlich keine Wettkämpfe mehr und damit auch keine Ziele: „Ich hatte keine Lust mehr und habe aufgehört.“
Beim Thüringer Radsport-Verband absolvierte sie zunächst ein freiwilliges soziales Jahr, jobbte beim Vater im Hotel und im Altenheim in Gebesee. Ein Wechsel in die Sportfördergruppe von Polizei und Bundeswehr war für sie nie ein Thema.
„Ich wollte immer mit Menschen arbeiten, ihnen helfen“, sagt Götz. Sie nahm ein Fernstudium für Gesundheitspsychologie auf. Inzwischen arbeitet sie in Bischleben bei der Gesellschaft Topoi und hilft Menschen mit Suchterkrankung, wieder Halt im Leben zu finden.
Ganz ohne Sport ging es aber auch nicht. Zumal der Hund von Papa Stefan viel Auslauf brauchte. „Der musste ja auch raus. Am Anfang war er schneller als ich“, sagt Emma Götz lachend. Doch das änderte sich schnell. Die Lust an der Bewegung war zurück. Dann hatte sie zum ersten Mal Glück, als sie beim Berlin-Marathon im April 2022 einen Startplatz im Halbmarathon zugelost bekam. Als Emma Götz das Ziel erreichte, war endgültig ihr sportlicher Ehrgeiz wieder geweckt. Unterstützt wird sie dabei von Leichtathletik-Trainer Enrico Aßmus, der auf Vermittlung der Stiftung Thüringer Sporthilfe die Trainingspläne schreibt.
Noch im selben Jahr meisterte sie den München-Marathon. Im Ziel fiel alle Last ab, Tränen rannen übers Gesicht. In der Nacht nach der Marathon-Premiere schmerzten die Beine so sehr, dass sie sich im Bett nicht umdrehen konnte. „Ich war überwältigt, aber so kaputt, dass ich meinem Vater gesagt habe: nie wieder!“Jener Entschluss war freilich schnell verworfen.
Die 23-Jährige will in Paris eine neue Bestzeit aufstellen
Zu euphorisch war die Stimmung an der Strecke und im Pulk der Läufer. Zwei weitere Starts in Berlin sowie in Barcelona folgten. Ihre Bestzeit liegt inzwischen bei 4:14 Stunden. Nun wartet der große Auftritt im nächtlichen Paris, wenn am vorletzten Tag der Sommerspiele um 21 Uhr der Startschuss am Place de l’Hôtel de Ville ertönt. Das Ziel ist klar abgesteckt. Die Stimmung genießen, das Flair der Olympiastadt einsaugen. Aber vor allem: „Bei der Zeit soll vorne eine drei stehen“, sagt Emma Götz.
Längst ist sie vom Laufvirus infiziert, der Olympia-Marathon für Jedermann soll nur noch mehr Motivation liefern. Die nächsten Vorhaben hat die einstige Radsprinterin schon abgesteckt. „Bis ich 30 bin, will ich die großen Sechs der Marathonläufe mal absolviert haben“, sagt die Thüringerin, der dafür noch die Stationen in Tokio, Boston, London, Chicago und New York fehlen.
Ihr Auftritt in Paris hat nun einen besonderen Anstrich. Schließlich vertritt sie das Team Deutschland. Sie wird auch das Deutsche Haus besuchen, traditionell der Treffpunkt für die deutschen OlympiaTeilnehmer. Weil am letzten Wettkampf-Wochenende auch die Bahnradsprinterinnen um Medaillen ringen, ist es gut möglich, dass Emma Götz dort sogar ihre einstige Erfurter Trainingskollegin Pauline Grabosch wiedertrifft. „Dass ich Olympia auf diese Weise erleben darf, ist für mich ein Traum“, sagt Emma Götz, die sich einst als Bahnradsprinterin mit einer Goldmedaille belohnte und nun als Marathonläuferin Paris erobert.