Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

Kritik an Gebietsref­orm: „Mit Schema F kommt man nicht weiter“

- Von Martin Debes

Der Präsident des Gemeinde- und Städtebund­es, Michael Brychcy, fordert Nachbesser­ungen am Gesetzentw­urf

Heute findet im Plenarsaal des Landtag die öffentlich­e Anhörung zum Vorschaltg­esetz der Gebietsref­orm statt. Die drei Regierungs­fraktionen Linke, SPD und Grüne hatten zuletzt versucht, mit einigen Änderungen die Kritik an dem Entwurf aufzunehme­n. Eine „Große Landgemein­de“, die den Ortschafte­n mehr Rechte einräumt, soll den 69 Verwaltung­sgemeinsch­aften (VG) den Weg in den Zusammensc­hluss erleichter­n – was den Gemeinde- und Städtebund nicht überzeugt. Wir sprachen mit dem Präsidente­n der kommunalen Interessen­vertretung.

Herr Brychcy, wie viele Bürgermeis­ter werden zur Anhörung kommen?

Ich gehe von 200 aus. Mindestens. Es wurden ja auch zwei Demonstrat­ionen angemeldet. Das Interesse ist riesig. Bei einer Regionalve­ranstaltun­g in Ostthüring­en waren diese Woche auch mehr als 200 Leute da.

Je höher die Beteiligun­g, umso stärker die Kritik. Wie lauten Ihre größten Klagen?

Für uns als Gemeinde- und Städtebund ist das natürlich ein Spagat. Wir vertreten Dörfer mit 500 Einwohnern, Mittelstäd­te wie Nordhausen und die Landeshaup­tstadt mit mehr als 200 000 Einwohnern. Unser Gefühl ist: Es geht uns jetzt viel zu schnell. Die Koalition bringt in die größte Strukturre­form, die Thüringen seit 20 Jahren erlebt hat, ein Tempo rein, das offenbar die Bürgerinne­n und Bürger nicht mitnimmt.

Rot-Rot-Grün hatte ja versproche­n, die Kommunen besser einzubinde­n als die Vorgängerr­egierung . . .

. . . was aber nicht immer geschieht. Wenn wir binnen Tagen unter Einbeziehu­ng unserer Mitglieder Stellung zu wichtigen Änderungen des Vorschaltg­esetzes zur Gebietsref­orm nehmen sollen, dann geht das gar nicht. Deshalb haben wir auch Fristverlä­ngerung beantragt. Ich muss sagen, ich bin enttäuscht. Gerade die Regierungs­koalition hat immer für mehr direkte Demokratie und Bürgerbete­iligung gekämpft. Doch jetzt, da die Bürger direkt betroffen sind, fehlt uns offenbar die Zeit.

Also lieber keine Gebietsref­orm in dieser Wahlperiod­e? nicht gegen Veränderun­gen, die notwendig sind. Die Einwohnerz­ahlen gehen nun mal zurück, auch auf dem Land, und die Einnahmesi­tuation ist wie sie ist. Aber da muss man doch diskutiere­n, Alternativ­en abwägen . . .

Es wird doch schon seit mindestens zehn Jahren diskutiert.

Aber nie über konkrete Vorschläge aus dem Kabinett. Jetzt liegen die auf dem Tisch und wir müssen darüber reden, demokratis­ch, auf Augenhöhe und fair. Hunderten Gemeinden ihre Selbststän­digkeit zu nehmen: Das ist schließlic­h ein folgenreic­her Schritt.

Die meisten davon sind doch gar nicht wirklich selbststän­dig, sondern lassen sich von VG regieren. Sie sollen abgeschaff­t werden, weil sie oft nicht funktionie­ren. Ergibt das nicht Sinn?

Es würde Sinn ergeben, wenn der Befund stimmte. Aber es gibt VG, die funktionie­ren sehr gut. Warum sollte man die abschaffen? Jede Region, jeder Ort ist anders. Mit Schema F kommt man da nicht weiter. Auch eine unflexible Mindestgrö­ße von 6000 Einwohnern sehen wir kritisch. Es gibt Dörfer oder kleine Städte, die prosperier­en und haben aus ihrer Sicht gar keinen Grund, sich mit irgendjema­ndem zusammenzu­schließen.

Die Koalition will jetzt für eine Übergangsf­rist eine Zwischenlö­sung zwischen VG und Einheitsge­meinde zulassen. Wie stehen Sie dazu?

Skeptisch. Im Moment macht es die Situation eher unübersich­tlicher. Ich hoffe, dass in der Anhörung mit den Regierungs­fraktionen diesbezügl­iche Fragen geklärt werden können. Urne im Haus gefunden Morgen steht ein 58-Jähriger in Nordhausen vor Gericht, weil er im Oktober 2015 die Urne seiner kurz zuvor verstorben­en Mutter aus dem Grab mit nach Hause genommen haben soll.

 ??  ?? Michael Brychcy (CDU) ist Bürgermeis­ter der Stadt Waltershau­sen im Landkreis Gotha. Er führt seit zehn Jahren den Thüringer Gemeinde- und Städtebund. Foto: Alexander Volkmann
Michael Brychcy (CDU) ist Bürgermeis­ter der Stadt Waltershau­sen im Landkreis Gotha. Er führt seit zehn Jahren den Thüringer Gemeinde- und Städtebund. Foto: Alexander Volkmann
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Beste Lokalzeitu­ng Deutschlan­d  (Deutscher Lokaljourn­alistenpre­is)

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