Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)
Der überhöhte Reformator
Ausstellung „Luther und die Deutschen“thematisiert reformatorische Leitgedanken und ihre Auswirkungen auf die deutsche Geschichte.
Eisenach. „Psst! Luther kommt am 4. Mai“steht mit Kreide auf einer kleinen Schiefertafel auf dem Innenhof der Wartburg. Am 4. Mai 1521 kam Luther auf der Wartburg an. Traditionell finden zu diesem Zeitpunkt auch die Reformationsausstellungen der Veste statt, so auch in diesem Jahr die Ausstellung „Luther und die Deutschen“, mit der sich Thüringen neben Berlin und Wittenberg in den Reigen der drei nationalen Luther-Ausstellungen einreiht.
Bereits auf dem Hof begrüßt die Besucher der Nachbau eines authentischen Reisewagens, in dem Luther damals von Wittenberg nach Worms unterwegs war, bevor man ihn auf die Wartburg brachte. So legt es jedenfalls ein zeitgenössischer Stich nahe, der ebenfalls in der Ausstellung gezeigt wird. Der halbrund überdeckte Planwagen wurde aufgrund seines Kobens oder „Kobels“, der einem Verschlag ähnelte, als Kobel-Wagen bezeichnet.
300 Exponate sind ab Donnerstag auf der Wartburg zu sehen, ein Drittel stammt aus Stiftungsbesitz, zwei Drittel von in- und ausländischen Leihgebern. Darunter die berühmte Bulle Papst Leos X. mit der Bannandrohung gegen Luther. Sie erschien am 15. Juni 1520 als direkte Antwort des Papstes auf die Schriften des Reformators und dessen Streit mit dem katholischen Theologen Johannes Eck während der sogenannten Leipziger Disputation im Jahre 1519. Leo X. forderte Luther darin auf, insgesamt 41 häretische Sätze zu widerrufen oder andernfalls den Kirchenbann zu erdulden, der Luther und seine Anhänger zu Ketzern erklären und somit ihre Gefangennahme und die Verbrennung ihrer Schriften nach sich ziehen würde. Luther verbrannte die Bulle am 10. Dezember 1520 am Wittenberger Elstertor, was den päpstlichen Bann zum 3. Januar 1521 nach sich zog.
Zeitreise zu Luthers Wirken und seinen Folgen
Die Ausstellung bietet eine sowohl chronologische als auch thematische Zeitreise zu Wirken und Folgen Luthers. Thema sind sowohl die reformatorischen Leitgedanken als auch ihre unmittelbaren Auswirkungen auf die deutsche Geschichte. Man wolle zeigen, wie jede Epoche ihr ganz eigenes Lutherbild prägte, sagt Kurator Marc Höchner. Um die erwarteten größeren Besucherströme gut lenken zu können, sollen sich die Besucher im Eingangsbereich fragen, was ihnen Luther heute bedeutet. Zur Auswahl stehen Luther als Kirchenspalter, typischer Deutscher, Sprachschöpfer, Ketzer, Rebell oder Antisemit. Man hoffe auf viele interessante Antworten, sagt Höchner.
So werden im ersten Raum die historischen Rahmenbedingungen im Heiligen Römischen Reich des Jahres 1517 skizziert. Ein Ablassbrief zur Finanzierung des Petersdorfes erinnert an das von Luther bekämpfte Versprechen der Kurie, sich sein Seelenheil zu erkaufen. Ob Luther seine 95 Thesen gegen den Ablass tatsächlich an die Kirchentür in Wittenberg heftete, kann auch die Eisenacher Ausstellung nicht endgültig klären.
Im 19. Jahrhundert erlebt Luther eine Art nationale Wiedererweckung. Beim Wartburgfest von 1817 wurde der traditionell gefeierte Luther zur Symbolgestalt deutscher Freiheit. Vollends überhöhte ihn das preußisch-deutsche Kaiserreich als heldenhaften Vorkämpfer der Nation und Urbild des Deutschtums. Spätestens seit Luthers 400. Geburtstag 1883 propagierten Kaiser und Reichskanzler den Reformator auch als Wegbereiter des deutschen Nationalstaates. Als solcher wurde er von der Propaganda auch in den beiden Weltkriegen dienstbar gemacht.
Die Schau thematisiert auch die dunklen Seiten des Reformators. Eine Replik der Judensau vom Portal der Wittenberger Stadtkirche symbolisiert den Antisemitismus des Wittenbergers, der sich schließlich gegen alles und jeden richtetet, die ihm nicht folgten. In die Zeit des Dritten Reiches beriefen sich die Nazis nur allzu gern auf diesen Luther. Die Ausstellung zeigt den Aufruf „Mit Luther und Hitler für Glauben und Volkssturm“des aus Eisenach stammenden sächsischen Landesbischofs Friedrich Coch, der seit 1933 versuchte, die sächsische Landeskirche nationalsozialistisch umzugestalten.
Die DDR drängte Luther lange in die Rolle des Verräters am eigenen Volk. Luthers Widersacher Thomas Müntzer wurde zum revolutionären Helden stilisiert. Die Umdeutung Luthers begann bereits 1967 und fand ihren Höhepunkt beim Jubiläum von 1983. Zu den Exponaten dieses Teils gehört das Mahnmal „Schwerter zu Pflugscharen“von 1989, gefertigt aus dem Stahl eines NVA-Schützenpanzers. Es belegt, dass das Luther-Jubiläum damals Menschen zu kritischem Engagement ermutigte.