Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)
Sesam, öffne dich!
Elena Rauch
Seit Tagen starte ich meinen täglichen Arbeitweg mit einem lästigen Ritual. In der Großgarage, wo mein Auto steht, umschleiche ich mit der Fernbedienung aus allen denkbaren Positionen das Tor. Ich stelle mich auf Zehenspitzen, gehe in die Hocke und barme: Sesam öffne dich! Der Vorgang dauert zehn bis fünfzehn Minuten, bis das Tor die Gnade hat, mich und mein Auto in die Freiheit zu entlassen.
Es lässt sich kein Algorithmus feststellen, an der Fernbedienung liegt es auch nicht: Das Lämpchen leuchtet, ich bin ja nicht blöd. Vor zwei Tagen, ich war wieder mitten in meinen Tai-Chi-Übungen, kam der zuständige Hausmeister des Wegs. Super, freute ich mich. So und so, schauen Sie mal, sagte ich, hier muss wohl etwas repariert werden. Der Mann nahm die Fernbedienung, drückte, das
Tor ging auf. Zufall, sagte ich, tun Sie‘s noch einmal.
Der Hausmeister, ein geduldiger Mann, drückte wieder, das Tor hob sich höhnisch. So ging das noch zweimal, sogar als ich am Drücker war. Ich schwöre, sagte ich kleinlaut, wenn ich allein bin, ist das anders. Das muss der Vorführeffekt sein. Er lächelte nachsichtig. Sein Blick ähnelte dem meines Mannes, als ihm davon erzählte. Wenn du das nächste Mal nicht rauskommst, ruf mich einfach an, schlug er vor. Ich brauche keine Hilfe, rief ich, ich will eine Erklärung!
Am nächsten Tag, wieder allein mit dem Tor, das gleiche Spiel. Studien behaupten, Frauen seien besonders anfällig für‘s Esoterische. Was heißt hier Esoterik! Materie lebt, das sage ich schon immer.