Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)
Ein Baby aus dem Baukasten Die Erfurterin Karola Wegerich modelliert Puppen, die Neugeborenen zum Verwechseln ähnlich sehen. Für viele Menschen sind sie begehrte Sammlerobjekte
Erfurt. Überall Arme und Beine. Dazwischen liegen einzelne Babyköpfe. Haarbüschel warten darauf, dass sie implantiert werden. Jedes Haar wird einzeln eingestochen, mit feiner Nadel. Kleinste Äderchen im Gesicht sind zu erkennen, eine leichte Rötung unter der Nase und kleine Falten machen die Illusion perfekt.
Karola Wegerich ist hoch konzentriert, wenn sie ihre Puppen zum Leben erweckt. Die Künstlerin trägt mit einem Schwamm die blasse Acrylfarbe auf, bis zu zehn Schichten, in den unterschiedlichsten Schattierungen. Die Haut scheint zu atmen. Der kleine Leberfleck am Kinn – das ist künstlerische Freiheit.
Bevor eine Puppe bemalt werden kann, muss sie modelliert werden. Hierfür baut die Erfurterin ein Untergestell, setzt die Glasaugen ein, die extra in Lauscha bestellt wurden.
„Besonders aufwendig ist das Modellieren der Ohren – und auch die Augenpartie ist eine echte Herausforderung“, verrät die 55-Jährige. Über die Zeit vervollkommnete sie ihre Fertigkeit. Unter ihren Händen entstanden über 100 Baby-Puppen, viele schmücken heute noch die Wände ihres Hauses in der Windthorststraße. „Es ist ein toller Moment, wenn aus der Modelliermasse etwas Lebendiges wird, sagt Karola Wegerich. Diese Originale nennt man Ooaks.
Aus dem Hobby hat sich ein kleines Geschäft entwickelt. Karola Wegerich lässt mittlerweile einige ihrer Ooaks produzieren, die später als Puppenbausatz in die ganze Welt verkauft werden. Sie entwirft das Original und entscheidet, in welcher Auflage das Set auf den Markt kommt.
Besonders beliebt sind ihre Kreationen derzeit in Kanada, Russland und der USA, 80 Prozent der Bausätze( Kits) gehen an Großhändler. „Der Endkunde bekommt die Puppe zerlegt in Einzelteile – Haare, Farbe und Augen muss er sich noch zusätzlich besorgen“, erklärt Frau Wegerich. Zwischen 70 und 100 Euro werden für ein Set bezahlt.
Das Bemalen der Bausätze nennt man Rebornen. Das bedeutet so viel wie – wiedergeboren. Die Babys sehen Neugeborenen zum Verwechseln ähnlich: Größe, Gewicht, Körperhaltung.
Angefangen hat Karola Wegerich vor gut neun Jahren. Damals sah sie eine Reportage über den Trend – und sie verfiel ihm. „Gleich am nächsten Tag habe ich im Internet einen Bausatz gekauft und meine erste Puppe rebornt“, erinnert sie sich.
Der eigenwillige Trend stammt ursprünglich aus den USA. Ende der 90er-Jahre schufen dort die ersten Reborner, so nennen sich die Künstler, täuschend echt aussehende Puppen. Erst einige Jahre später schwappte der Trend nach Europa. Heute ist Deutschland der drittgrößte Markt.
Karola Wegerichs Arbeitsräume im Süden der Stadt sind ein eigentümlicher Mix aus Werkstatt und plüschiger Puppenstube. Überall stehen, sitzen und liegen ihre Baby-Puppen – alle liebevoll dekoriert. Hin und wieder haben sich Elfen, Teufel und andere bizarre Fabelwesen in die Puppenreihen geschlichen, die neue Leidenschaft von Karola Wegerich.
Die Schränke quellen über vor Babysachen, vieles davon hat ihr eine Freundin genäht. Zwischen all den Arbeits-Utensilien stehen einige Preise und Auszeichnungen, die sie für ihre Kreationen bereits bekommen hat. „Es gibt mittlerweile eine große Szene“, erklärt sie.
Unter dem Label „Zuckerschnütchen“verkauft sie ihre Babys im Internet. „Der Großteil meiner Kunden ist weiblich“, weiß Karola Wegerich, einige Stammkunden sind darunter, viele sind der Sammelleidenschaft verfallen.
Natürlich kennt die Künstlerin auch die kritischen Stimmen. Beispielsweise wenn die Puppen als Kinderersatz herhalten müssen. Spekulieren möchte sie über die Motivation ihrer Kundinnen aber nicht.
Schon mehr als 100 Ooaks hat die Thüringerin erschaffen. „Das Schöne daran ist, dass mich die Tätigkeit entspannt.“
Und dann taucht sie wieder ein in die Welt der Puppen – die auf den ersten Blick nicht zu unterscheiden sind von einem lebendigen Baby.
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Mehr Informationen unter: www.zuckerschnütchen.com