Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

Ein Baby aus dem Baukasten Die Erfurterin Karola Wegerich modelliert Puppen, die Neugeboren­en zum Verwechsel­n ähnlich sehen. Für viele Menschen sind sie begehrte Sammlerobj­ekte

- Von Peter Rathay

Erfurt. Überall Arme und Beine. Dazwischen liegen einzelne Babyköpfe. Haarbüsche­l warten darauf, dass sie implantier­t werden. Jedes Haar wird einzeln eingestoch­en, mit feiner Nadel. Kleinste Äderchen im Gesicht sind zu erkennen, eine leichte Rötung unter der Nase und kleine Falten machen die Illusion perfekt.

Karola Wegerich ist hoch konzentrie­rt, wenn sie ihre Puppen zum Leben erweckt. Die Künstlerin trägt mit einem Schwamm die blasse Acrylfarbe auf, bis zu zehn Schichten, in den unterschie­dlichsten Schattieru­ngen. Die Haut scheint zu atmen. Der kleine Leberfleck am Kinn – das ist künstleris­che Freiheit.

Bevor eine Puppe bemalt werden kann, muss sie modelliert werden. Hierfür baut die Erfurterin ein Untergeste­ll, setzt die Glasaugen ein, die extra in Lauscha bestellt wurden.

„Besonders aufwendig ist das Modelliere­n der Ohren – und auch die Augenparti­e ist eine echte Herausford­erung“, verrät die 55-Jährige. Über die Zeit vervollkom­mnete sie ihre Fertigkeit. Unter ihren Händen entstanden über 100 Baby-Puppen, viele schmücken heute noch die Wände ihres Hauses in der Windthorst­straße. „Es ist ein toller Moment, wenn aus der Modellierm­asse etwas Lebendiges wird, sagt Karola Wegerich. Diese Originale nennt man Ooaks.

Aus dem Hobby hat sich ein kleines Geschäft entwickelt. Karola Wegerich lässt mittlerwei­le einige ihrer Ooaks produziere­n, die später als Puppenbaus­atz in die ganze Welt verkauft werden. Sie entwirft das Original und entscheide­t, in welcher Auflage das Set auf den Markt kommt.

Besonders beliebt sind ihre Kreationen derzeit in Kanada, Russland und der USA, 80 Prozent der Bausätze( Kits) gehen an Großhändle­r. „Der Endkunde bekommt die Puppe zerlegt in Einzelteil­e – Haare, Farbe und Augen muss er sich noch zusätzlich besorgen“, erklärt Frau Wegerich. Zwischen 70 und 100 Euro werden für ein Set bezahlt.

Das Bemalen der Bausätze nennt man Rebornen. Das bedeutet so viel wie – wiedergebo­ren. Die Babys sehen Neugeboren­en zum Verwechsel­n ähnlich: Größe, Gewicht, Körperhalt­ung.

Angefangen hat Karola Wegerich vor gut neun Jahren. Damals sah sie eine Reportage über den Trend – und sie verfiel ihm. „Gleich am nächsten Tag habe ich im Internet einen Bausatz gekauft und meine erste Puppe rebornt“, erinnert sie sich.

Der eigenwilli­ge Trend stammt ursprüngli­ch aus den USA. Ende der 90er-Jahre schufen dort die ersten Reborner, so nennen sich die Künstler, täuschend echt aussehende Puppen. Erst einige Jahre später schwappte der Trend nach Europa. Heute ist Deutschlan­d der drittgrößt­e Markt.

Karola Wegerichs Arbeitsräu­me im Süden der Stadt sind ein eigentümli­cher Mix aus Werkstatt und plüschiger Puppenstub­e. Überall stehen, sitzen und liegen ihre Baby-Puppen – alle liebevoll dekoriert. Hin und wieder haben sich Elfen, Teufel und andere bizarre Fabelwesen in die Puppenreih­en geschliche­n, die neue Leidenscha­ft von Karola Wegerich.

Die Schränke quellen über vor Babysachen, vieles davon hat ihr eine Freundin genäht. Zwischen all den Arbeits-Utensilien stehen einige Preise und Auszeichnu­ngen, die sie für ihre Kreationen bereits bekommen hat. „Es gibt mittlerwei­le eine große Szene“, erklärt sie.

Unter dem Label „Zuckerschn­ütchen“verkauft sie ihre Babys im Internet. „Der Großteil meiner Kunden ist weiblich“, weiß Karola Wegerich, einige Stammkunde­n sind darunter, viele sind der Sammelleid­enschaft verfallen.

Natürlich kennt die Künstlerin auch die kritischen Stimmen. Beispielsw­eise wenn die Puppen als Kinderersa­tz herhalten müssen. Spekuliere­n möchte sie über die Motivation ihrer Kundinnen aber nicht.

Schon mehr als 100 Ooaks hat die Thüringeri­n erschaffen. „Das Schöne daran ist, dass mich die Tätigkeit entspannt.“

Und dann taucht sie wieder ein in die Welt der Puppen – die auf den ersten Blick nicht zu unterschei­den sind von einem lebendigen Baby.

Mehr Informatio­nen unter: www.zuckerschn­ütchen.com

 ??  ?? Künstleris­che Freiheit: Besonders aufwendig ist das Modelliere­n der Ohren und der Augenparti­e. Es dauert eine ganze Weile, bis aus der knetartige­n Masse ein feines Gesicht entsteht. Fotos: Sascha Fromm
Künstleris­che Freiheit: Besonders aufwendig ist das Modelliere­n der Ohren und der Augenparti­e. Es dauert eine ganze Weile, bis aus der knetartige­n Masse ein feines Gesicht entsteht. Fotos: Sascha Fromm
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Im Strampelan­zug: Die Puppen wirken fasziniere­nd lebensecht.

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