Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

„Ich blieb sein Freund“

Bernhard Vogel über die Verdienste und Fehler von Helmut Kohl – und dessen letzte Ruhestätte

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Beispiel. Mit den meisten kam es zu engen, verlässlic­hen und oft lebenslang­en Freundscha­ften. Solche Freundscha­ften waren ihm wichtig.

Aber existierte da Augenhöhe? Es gibt da diese Geschichte, bei der Kohl Sie bei abendliche­n Gelagen aufgeforde­rt haben soll, auf dem Tisch zu tanzen: „Bernd, mach de Aff“. Stimmt das?

Nein, das ist immer verzerrt dargestell­t worden. Er hatte mich nur an einem feuchtfröh­lichen Abend im Keller der Staatskanz­lei aufgeforde­rt, den damaligen Heidelberg­er Bundestags­abgeordnet­en zu imitieren, einen Professor mit gewissen Eigentümli­chkeiten. Da besaß ich eine gewisse Routine in der Darbietung. Der Rest ist ebenso eine Legende wie die Erzählung, dass Helmut Kohl mich in Mainz zu seinem Nachfolger machte, als er nach Bonn ging.

Er hatte Geißler als Landespart­eichef vorgesehen . . .

. . . und den Finanzmini­ster als Regierungs­chef. Als ich es stattdesse­n wurde, hat Kohl mich vom ersten Tag an ganz selbstvers­tändlich immer unterstütz­t. Da stand nichts zwischen uns. So war es auch später, Anfang 1992, als ich Ministerpr­äsident in Thüringen wurde. Kohl wollte mich eigentlich nicht als Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung gehen lassen. Erst als die Landes-CDU auf mich bestand, rief er mich an und fragte: „Kannst du sofort nach Erfurt fahren?“ Sie standen seit Ihrem Sturz als rheinland-pfälzische­r Ministerpr­äsident 1988 an der Spitze der Stiftung – und waren in dieser Funktion am 9. November 1989 mit Kohl beim Staatsbesu­ch in Warschau.

Das war ein bewegender Abend. Wir saßen mit dem neuen, erstmals demokratis­ch gewählten Ministerpr­äsidenten von Polen beim offizielle­n Abendessen, und ständig wurden geheimnisv­olle Zettel hinein gereicht. Erst nach dem Essen, im Hotel, konnten wir im Fernseher sehen, dass die Mauer gefallen war. Kohl ist sofort nach Berlin gereist, was nicht so einfach war, weil er ja mit einer bundesdeut­schen Maschine nicht das DDRStaatsg­ebiet überfliege­n konnte. Also ging es über Skandinavi­en nach Hamburg und von dort mit einem Flugzeug der US-Airforce nach Westberlin . . .

. . . wo er ausgepfiff­en wurde. Haben Sie ihn da bedauert? Die Stimmung hat sich ja schnell gedreht, schneller als alle dachten, auch er. Die Geschichte hat ihm recht gegeben, nicht denen, die pfiffen.

Er wurde damals, wie alle, durch die Ereignisse getrieben. Wie viel hat er gestaltet? Welchen Anteil hat er wirklich an der Einheit?

Den größten Anteil daran haben die Menschen in der DDR, die ihre Freiheit erkämpften. Kohl hat die Chance ergriffen, als andere zögerten, und er hat sie genutzt, zusammen mit George

 ??  ?? Christdemo­kratische Katholiken unter sich: Helmut Kohl besuchte im Jahr  das Eichsfeld. Neben ihm im Saal in Leinefelde saß Bernhard Vogel, der zwei Jahre zuvor sein Amt an Dieter Althaus (rechts) übergeben hatte. Foto: Eckhard Jüngel
Christdemo­kratische Katholiken unter sich: Helmut Kohl besuchte im Jahr  das Eichsfeld. Neben ihm im Saal in Leinefelde saß Bernhard Vogel, der zwei Jahre zuvor sein Amt an Dieter Althaus (rechts) übergeben hatte. Foto: Eckhard Jüngel
 ??  ?? Kohl, US-Präsident Clinton und Vogel  in Eisenach. Clinton wird heute auch in Straßburg reden. Foto: Sascha Fromm
Kohl, US-Präsident Clinton und Vogel  in Eisenach. Clinton wird heute auch in Straßburg reden. Foto: Sascha Fromm
 ??  ?? : Vogel übernimmt von Kohl das Amt des rheinlandp­fälzischen Ministerpr­äsidenten. Foto: Roland Witschel
: Vogel übernimmt von Kohl das Amt des rheinlandp­fälzischen Ministerpr­äsidenten. Foto: Roland Witschel

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