Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

Historisch­er Moment mit Konfetti

Requiem Der Bundestag gibt grünes Licht für die „Ehe für alle“. Was das Gesetz für Homosexuel­le und die große Koalition bedeutet

- Von Alexander Kohnen

Berlin. Die Totenmesse ist in der katholisch­en Kirche ein besonderer Gottesdien­st am Tag der Beerdigung. Die Liturgie, also der Ablauf der Messe, steht im Zeichen des Abschieds und folgt einer seit dem 16. Jahrhunder­t gepflegten Tradition. Zu Beginn wird der Eingangsve­rs gesprochen: „Requiem aeternam dona eis, Domine.“(Ewige Ruhe gib ihnen, Herr.) Das erste Wort Requiem ist als Bezeichnun­g für die gesamte Totenmesse übernommen worden – vielfältig vertont wie im Requiem von Mozart. Wie in jeder anderen Messe sind eine Lesung aus dem Evangelium, Predigt und Kommunion Bestandtei­le des Requiems. Nach dem Segen wird der Sarg mit Weihwasser besprengt und mit Weihrauch umhüllt. (dpa) Berlin. Bei den Grünen gibt es am Freitag schon um 9.15 Uhr ein Gläschen Sekt. Dann wird auch noch eine Torte angeschnit­ten, garniert mit den Regenbogen­farben der Lesbenund Schwulenbe­wegung. Volker Beck, populärste­r grüner Kämpfer für Homosexuel­le, umarmt Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt, hebt sie sogar kurz hoch. Sie sagt: „Ich freu mich einfach wahnsinnig.“Ausgelasse­ne Stimmung vor dem Fraktionss­aal der Öko-Partei im Bundestag. Es ist ein bisschen wie Karneval.

Es gibt was zu feiern: Im Bundestag wird an diesem Morgen die „Ehe für alle“beschlosse­n – mit den Stimmen von SPD, Grünen, Linken sowie etwa einem Viertel der Abgeordnet­en der Unionsfrak­tion. Als Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU) das deutliche Ergebnis verkündet, werden in den Reihen der Grünen Konfettika­nonen gezündet. Bunte Schnipsel rieseln auf die Abgeordnet­en nieder.

Es herrscht eine ungewöhnli­ch emotionale, aufgekratz­te Stimmung an diesem frühen Morgen im Bundestag. Es ist nicht irgendein Gesetz, über das hier ab acht Uhr debattiert wird. Es hat einen hohen symbolisch­en Wert: Die Abstimmung über die „Ehe für alle“ist, und das wird auch in vielen Reden erwähnt, eine historisch­e Entscheidu­ng. Die letzte rechtliche Gleichstel­lung ist vollzogen.

Was steht im Gesetz – und was bedeutet das?

In Paragraf 1353 des Bürgerlich­en Gesetzbuch­es heißt es in Zukunft: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiede­nen oder gleichen Geschlecht­s auf Lebenszeit geschlosse­n.“Der ursprüngli­che Satz wurde um sieben Wörter ergänzt: „von zwei Personen verschiede­nen oder gleichen Geschlecht­s“. Seit 2001 können gleichgesc­hlechtlich­e Paare eine Lebenspart­nerschaft eintragen lassen. Zunächst gab es viele Unterschie­de zur traditione­llen Ehe. Viele wurden auf Druck des Bundesverf­assungsger­ichts beseitigt, etwa im Erb- oder Steuerrech­t. Nun dürfen Homosexuel­le heiraten – wie in vielen anderen Ländern Europas. Was ändert sich konkret für Homosexuel­le? Praktisch ändert sich mit der „Ehe für alle“in erster Linie, dass ein homosexuel­les Paar das Recht haben wird, Kinder zu adoptieren. Aus eingetrage­nen Lebenspart­nern werden jetzt aber nicht automatisc­h Eheleute. Für die Heirat müssen die Partner gemeinsam zum Standesamt gehen. Neue Lebenspart­nerschafte­n können künftig nicht mehr eingetrage­n werden. Das Gesetz tritt allerdings nicht sofort in Kraft, sondern erst drei Monate nach der Verkündung im Bundesgese­tzblatt.

Wie hat die Kanzlerin abgestimmt?

Angela Merkel hat am Freitagmor­gen eine rote Karte in die Urne gesteckt – sie hat also mit Nein gestimmt. Die Kanzlerin begründet das so: „Für mich ist die Ehe im Grundgeset­z die Ehe von Mann und Frau.“Allerdings sprach sie sich dafür aus, dass Homosexuel­le Kinder adoptieren können. Mit Nein stimmten auch andere prominente Christdemo­kraten: Fraktionsc­hef Volker Kauder, Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) – und auch CSU-Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt. Für die „Ehe für alle“entschiede­n sich Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen und Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (beide CDU). Die Ministerri­ege der Union ist also ebenso gespalten wie die Unionsfrak­tion.

Was bedeutet die Abstimmung für die große Koalition?

Der letzte reguläre Sitzungsta­g dieser Legislatur­periode ist so etwas wie der schwarz-rote Scheidungs­tag. Die große Koalition ist de facto am Ende. Ab jetzt ist Wahlkampf, auch wenn sich bis zum 24. September die Kanzlerin und ihre Bundesmini­ster jeden Mittwoch an den Kabinettst­isch setzen werden. Die SPD hat die „Ehe für alle“in den Bundestag eingebrach­t – und die Union überrumpel­t. In der Union wird wahlweise von „Koalitions­bruch“(CSU-Chef Horst Seehofer) oder „Vertrauens­bruch“(Fraktionsc­hef Volker Kauder) gesprochen.

Der schlechte Zustand der Koalition wird in den Reden der Sozialdemo­kraten deutlich. So sagt Fraktionsc­hef Thomas Oppermann, die Neuregelun­g sei „vielleicht nicht gut für die Koalition, aber gut für die Menschen“. Ganz anders ist Johannes Kahrs drauf, Chef des Seeheimer Kreises. Der homosexuel­le Abgeordnet­e attackiert die Kanzlerin mit einer Härte, die so selten im Parlament zu sehen ist: „Frau Merkel, ich kann es Ihnen nicht ersparen, es war erbärmlich, es war peinlich, seit 2005 haben Sie die Diskrimini­erung von Lesben und Schwulen hier unterstütz­t und haben nichts dafür getan, dass es zu einer Gleichstel­lung kommt.“Die Kanzlerin blickt geradeaus.

 ??  ?? Kleine Party im Bundestag: Mit Konfetti bejubeln Volker Beck, Renate Künast und andere Grüne die „Ehe für alle“. Foto: dpa
Kleine Party im Bundestag: Mit Konfetti bejubeln Volker Beck, Renate Künast und andere Grüne die „Ehe für alle“. Foto: dpa
 ??  ?? Ulli Köppe vor dem Kanzleramt in Berlin. Foto: Sören Kittel
Ulli Köppe vor dem Kanzleramt in Berlin. Foto: Sören Kittel
 ??  ?? Angela Merkel (CDU) stimmt gegen das Gesetz. Foto: dpa
Angela Merkel (CDU) stimmt gegen das Gesetz. Foto: dpa

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