Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)
Krawallo traut sich und lässt Leser in ihr Leben
Hannalore Gewalt hat voller Mut ihre Autobiografie geschrieben
Kleinfahner. Sie nimmt jetzt die Erdbeeren ab, erntet das erste, zarte Gemüse und kocht schon wieder ein. Der Garten wirkt fast unheimlich, so akurat sind die Beete bestellt. Roland Gewalt, ein betagter und kranker Mann, geht von seinen Ansprüchen keinen Millimeter ab.
Und Hannalore, seine Frau? Sie ist 78 Jahre alt und hat gerade ihr neuntes Buch veröffentlicht. Es sind diesmal keine Erinnerungen an das ländliche Thüringen, keine munteren Streiche von Dorfe, keine Gedichte oder kleinen Geschichten und schon gar keine Worte in Mundart, die heutzutage kaum noch jemand versteht.
Zugleich ist immer das ländliche, ja das bitterarme Leben, die geliebte Heimat, die Freude am Schabernack und erst recht das manchmal überschäumende Temperament dabei. Das kann überhaupt nicht fehlen, denn Hannalore Gewalt hat endlich aufgeschrieben, was sie all die Jahre vor sich hergeschoben hat: Ihr eigenes Leben.
Natürlich steckte es bisher in allen ihren Geschichten mit drin. Woher sonst sollte sie ihren Stoff haben, wenn nicht aus dem eigenen Erleben.
Nu n aber traut sie sich, ihr Leben pur zu schildern. Sie schreibt, wie sie als jämmerlich schwaches Kind doch immerzu schuften muss, wie die Tuberkulose sie packt, wie sie an der eigenen Familie leidet, wie sie beinahe verzweifelt an schier unmenschlicher Härte und wie sie ihren Roland kennen lernt und sich mit ihm auf den Lebensweg macht. Über viele Abschnitte handelt das Buch vom Kranksein, von Operationen, weil sie im Alter von 51 Jahren mit „hochgradiger Osteoporose“invalidisiert werden muss. Die Knochen, überhaupt der ganze Körper haben ihr schon übel mitgespielt. Das Köpfchen, auch ein Gutteil Eigensinn hat sie energisch dagegen gesetzt.
Mit feinem Sinn und zartem Empfinden schöpft sie, seit sie schreibt, aus allem Erlebten die Episoden, die sie als authentisches Landleben ihrer Generation überliefern kann. Ein Naturtalent. Mit der Hand hat sie alle ihre Bücher geschrieben. Auf dem Wohnzimmertisch liegen immer ein Stift, ein Block und der Duden. Sie schreibt, wie sie spricht, und berichtet auch Heiteres, offenbart sich als Krawallo, als Kollegin, mit der in der Pause gute Stimmung war.
Wirklich mutig ist sie mit diesem Buch, weil sie in aller Ehrlichkeit gesteht, wie schmerzlich sie die Liebe der Eltern zu ihrem Kind vermisst hat, wie unendlich sehr sie Wärme ersehnt und nicht einmal einen Hauch davon bekommen hat.
Dieses Dilemma, wie sie es nennt, wollte sie sich von der Seele schreiben. Und sagt nun: „Das gelingt einfach nicht.“
Vielleicht ja doch noch, damit die Narben auf der Seele wenigstens weniger schmerzen.