Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)
Zeit macht nur vor dem Teufel halt
Bin gleich dran, postete Kollege G. am vergangenen Sonnabend fröhlich. Er, einer der Treuesten der Treuen, ein Dauerläufer im besten Sinne, gehörte zur TA-Staffel auf dem Rennsteig. Etappe neun. Seine Nachricht schickte er nachmittags gegen vier in die Welt, sein Start stand für halb sieben in Aussicht. Ein schönes Beispiel dafür, dass die Zeit gefühlt immer schneller vergeht. Zweieinhalb Stunden sind ein Nichts. Erst recht, wenn man dem Uhrzeiger im verdienten Ruhestand zusehen kann wie G. Aber Zeit macht ja auch bekanntlich nur vor dem Teufel halt, wie schon der gute Barry Ryan wusste.
Am Abend vor dem Fernseher geriet das Zeitgefühl abermals aus den Fugen. Fußball zur besten Sonnabendabend-Fernsehzeit! In der ARD! Haben wir etwa schon 2018? Ist denn schon WM? Nein, es ist nur die Europameisterschaft. Die des Nachwuchses. Doch die Fernsehleute sind nie verlegen, wenn es um die Auslotung des kleinsten populistischen Nenners geht. Wem gar nichts mehr einfällt, der bringt Fußball. Ein Nachwuchs-Gruppenspiel als große Samstagabendshow. Dagegen wäre prinzipiell nichts einzuwenden, wenn es andere Sportarten wie etwa die Leichtathletik, wo gerade das Ausnahmetalent Konstanze Klosterhalfen eine läuferische Barriere nach der anderen einreißt, wenigstens überhaupt noch angemessen iauf den Bildschirm schaffen würden.
Und so wäre jetzt der rechte Zeitpunkt für eine ordentliche Wutrede. Deren von Giovanni Trapattoni (Was erlauben Strunz?) begründeter und von Rudi Völler (Weißbier! Tiefpunkt! Käse!) kulinarisch veredelter Fundus wurde jüngst durch Christoph Daum um ein sehens- wie hörenswertes Stück erweitert und dank des in polterndem Englisch vorgetragenen Vorwurfs sogar internationalisiert. „I’m more Romanian than you, ich bin mehr Rumäne als Sie“, warf er einem Reporter entgegen, der Daums Ergebnisse und Identifikation als Trainer der dortigen Nationalmannschaft in Zweifel gezogen hatte. So wie er empört deklarierte, mit dem schrillen Tremolo und dem unverkennbar transsilvanischen Blick, kam man nicht umhin, es Daum, dem alten Rumänen, glatt abzunehmen.
Großer Sport. Und eine schöne Anregung fürs Fernsehen. Lieber eine politisch inkorrekte Wutrede als eine amputierte Berichterstattung mit politisch korrekt erhobenem Zeigefinger. Die steht uns jetzt wieder drei Wochen lang bei der heute beginnenden Tour de France ins Haus. Besinnungslosigkeit ist nur beim Fußball erlaubt.
Vielleicht sind aber auch alle so aufgeregt, weil keiner weiß, wie lange er noch welches Balla-balla senden darf. Und der Fan bald nicht mehr durchblickt, wo er wann was sieht. Der angestammte Fußball-bis-zum-AbwinkenSender Sky sah sich jetzt sogar einem juristischen Konter ausgesetzt, weil er immer noch mit dem alten Slogan von allen Spielen und allen Toren warb. Doch in der neuen Saison wandern etwa die neu erfundenen Montags- und Sonntagmittagsspiele zum Rivalen Eurosport, der diese wiederum nur im Internet zeigt. Gegen Bezahlung versteht sich. Es ist das bewährte Geschäftsmodell vom Teilen und Herrschen.
Der Fernsehfußball hat es vor zehn Jahren entdeckt. Damals kaufte der aus dem Boden gestampfte Sender Arena überraschend die Bundesligarechte auf, die bis dahin im Sportpaket des Sky-Vorgängers Premiere steckten. Der Fußballfan sah in die Röhre und musste in der Saison 2006/07 erstmals doppelt bezahlen: den Sport inklusive der Champions League bei Premiere, die Bundesliga bei Arena. Nur ein Jahr später verlor Arena plötzlich die Lust am Fußball und die Bundesliga wanderte zu Premiere zurück. Alles war wieder wie früher – mit einem kleinen Unterschied. Der Sender beließ es fortan bei der Teilung von internationalem Fußball und Bundesliga. Und der Premierezuschauer zahlte von da an für beides extra. So generiert man Einnahmequellen!
Heute, elf Jahre später, ist die Lage vergleichbar. Die Schraube des Profits wird weiter angezogen und die Bundesliga selbst filetiert. Wer ab August die Bayern & Co. komplett sehen will, dem reicht ein Abo nicht mehr. Er braucht zwei, denn er muss neben Sky zusätzlich für die Streaming-Plattform von Eurosport bezahlen. Erst dann kann er alle 306 Saisonspiele empfangen. Freitag, Samstag, Sonntag, Montag.
Die Frage ist, ob man das braucht. Und überhaupt will. Oder, um es mit dem großen Wutredner Rudi Völler zu sagen: In was für einer Welt lebt ihr denn alle?